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07.04.01 Im Banat ist die Lage besser, trotzdem gibt es Probleme zuhauf

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. April 2001


Rumänien:
Balkanische Wirtschaft
Im Banat ist die Lage besser, trotzdem gibt es Probleme zuhauf
von Horst Schinzel

"Von der neuen Führung sind wir angenehm überrascht", kommentiert die Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit der Industrie-, Landwirtschafts- und Handelskammer in Temeschwar (rumän.: Timisoara) die bisherige Arbeit des sozialistischen Kabinetts Nastase. Schließlich hatte sich die letzte rote Regierung in den Jahren 1992 bis 1996 nicht gerade als reformfreudig erwiesen.

Die nach eigenen Worten sozialdemokratische PDSR setzt plötzlich auf konsequente Privatisierung der noch in Staatsbesitz befindlichen Wirtschaftsteile und auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Eine fortschrittliche Steuergesetzgebung soll reinvestierte Gewinne – abgestuft für die verschiedenen Ökonomiezweige – auf mehrere Jahre von der Besteuerung freistellen. Außerdem will man Investitionsgüter für Neuanlagen ohne Abgaben ins Land lassen.

Gerade hier war den Investoren in der Vergangenheit mit einer unsäglichen Rechtsunsicherheit das Leben schwer gemacht worden.

Zahllose Probleme gründen in den Rahmenbedingungen der Gesetzgebung und leider auch in der Mentalität großer Teile des rumänischen Volkes. Da das Verfassungsrecht des Landes die Diskontinuität nicht kennt, also den Verfall aller Gesetzesvorlagen am Ende einer Legislaturperiode, schieben die gesetzgebenden Körperschaften über 800 Vorlagen vor sich her. Darunter befinden sich mehr als 600 "Eilerlasse" der Regierungen der letzten vier Jahre, die zwar schon angewendet werden, aber ihre Rechtsgültigkeit erst nach der Bestätigung durch die Parlamentskammern erhalten.

Da das Abgeordnetenhaus und der Senat nicht permanent tagen und die Ausschüsse noch unterentwickelt sind, ist überhaupt nicht abzusehen, wie dieser Gesetzesberg jemals abgetragen werden soll.

Auch für gutwillige Regierungen fast unlösbar ist das Problem der Korruption. "In diesem Lande kannst du alles kaufen, notfalls Vater und Mutter", beschreibt eine Temeschwarer Bürgerin die Lage. Beispiele für die Bakschisch-Mentalität in Rumänien kann der staunende Besucher aus Deutschland täglich erleben – bis hin zu Kontrolleuren des Staatsfernsehens, die auf die Nacherhebung nicht entrichteter TV-Gebühren gegen eine kräftige Handsalbe verzichten.

Bezeichnend ist die auf Einschätzungen aus der Bevölkerung beruhende jüngste Rangliste bestechlicher Verwaltungen. An führender Stelle finden sich so sensible Bereiche wie die Finanz- und Zollverwaltung. Nicht minder nachdenklich stimmt einen die im Februar bekannt gewordene Statistik, wonach Rumänien in seiner Wirtschaftsentwicklung so weit zurück liegt, daß es bei einem Wachstum von vier Prozent (ein Wert, der bisher nie erreicht wurde) 35 Jahre bräuchte, ehe der heutige Standard der ärmsten EU-Mitglieder Griechenland und Portugal erreicht wäre.

Ein großer Nachteil ist auch, daß Rumänien ein zentralistisch regierter Einheitsstaat ist, der vom Moloch Bukarest aus mehr schlecht als recht verwaltet wird. Es gibt keine Mittelbehörden, und die Leitungen der untergeordneten Behörden bis hin zu denen für Landwirtschaft oder Forsten werden von den jeweiligen Regierungsparteien mit eigenen Gefolgsleuten besetzt.

Die Selbstverwaltung der Gemeinden und Kreise ist schwach entwickelt, vor allem fehlt es dort an den finanziellen Mitteln zur Umsetzung eigener Vorhaben. Zudem gibt es weder ein Bankensystem nach unserem Verständnis, das heißt mit Konten der jeweiligen Ämter und des einzelnen Bürgers, und auch keine Steuerverwaltung in unserem Sinne. Die Steuern müssen in bar bei den Kassen der Städte und Gemeinden entrichtet werden, vor deren Schalter sich an Werktagen endlose Schlangen bilden.

Im westlichen Europa muß man sich darüber klar sein, daß im rumänischen Wirtschafts- und Alltagsleben weitgehend balkanische Verhältnisse herrschen. Die Jahrhunderte türkischer Oberhoheit haben auch das Denken und Arbeitsverhalten beeinflußt. Die Vorstellung, daß der "liebe Gott" oder "die Regierung" es schon richten werden, ist weit verbreitet. Eigeninitiative wird kleingeschrieben, und pragmatisches Handeln ist flächendeckend unbekannt.

Diese Mentalität übt sogar auf das nachhaltig von der k.u.k.-Ära geprägte westrumänische Banat ihren negativen Einfluß aus. Dennoch ist die Region im landesweiten Vergleich begünstigt: So gibt es vor allem um die Stadt Reschitz (Reschitza) herum schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine hochentwickelte Eisen- und Stahlindustrie und somit eine qualifizierte (oft auch mehrsprachige) Arbeiterschaft, auf die heutige Investoren zählen können.

In Temeschwar ist man stolz darauf, daß hier 1884 zum ersten Mal auf dem Kontinent elektrische Straßenlaternen brannten und daß die 1899 eingeführte elektrische Straßenbahn die erste auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens war. Auch die Industrie-, Landwirtschafts- und Handelskammer gibt es schon seit 1850, allerdings mit Unterbrechung in der kommunistischen Zeit von 1949 bis 1989. All dies und natürlich die relative Nähe zu den Absatzmärkten im Westen kommt der Banater Wirtschaft zugute.

Die Liste der Firmen, die im letzten Jahrzehnt in der Gebietshauptstadt aktiv geworden sind, kann sich sehen lassen und reicht von Siemens über Alcatel bis zu Continental. Der Kreis Temeschwar belegt in bezug auf Umfang ausländischer Investitionen landesweit den zweiten Platz hinter Bukarest. Allmonatlich werden im örtlichen Handelsregister 15 bis 20 neue Firmen eingetragen.

An vorderster Stelle liegen deutsche Unternehmen, gefolgt von italienischen. Ein Schwerpunkt ist die Informationstechnologie; allein aus Baden-Württemberg, wo die Handelskammer Temeschwar seit 1997 eine Verbindungsstelle unterhält, haben sich bislang acht entsprechende Firmen niedergelassen.

Die von der Kammer vorgelegten Zahlen sind beeindruckend: Zwischen 1991 und Mitte Februar 2001 wurden 27 356 Firmen mit einem Kapital von 8,2 Billionen Lei (etwa 6,5 Milliarden Mark) registriert. Davon waren nur 93 reine Staatsbetriebe und 320 teilweise. Bei 1260 Unternehmen mit einem Finanzumfang von 1,9 Billionen Lei (ca. 1,6 Milliarden Mark) spielten deutsche Beteiligungen eine entscheidende Rolle.

Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch vieles im argen liegt, was sich zum Beispiel am Zustand der Tourismusbranche ablesen läßt. Eine 1998 mit EU-Mitteln von der Banater Kulturstiftung gegründete Touristeninformation ist wieder eingegangen, nachdem die Anschubfinanzierung ausgelaufen war. Für die von der Kulturstiftung ausgearbeiteten Reiserouten in Te- meschwar und seiner Umgebung gibt es kaum Verwendung.

Bürgermeister Gheorghe Ciu-handu beklagt sich, daß die Fremdenverkehrsfirmen alle das schnelle Geld durch den Personentransport in den Westen machen wollten, es ihnen jedoch am Willen mangele, die Infrastruktur vor Ort auszubauen. Dabei ist die Zahl der eintreffenden Gäste beachtlich, wenngleich es sich fast nur um Geschäfts- oder Durchreisende handelt.

Einige touristische Hoffnungen setzt Ciuhandu allerdings in das Projekt zur Wiederbelebung des Bega-Kanals. Dieser besteht bereits seit dem Jahr 1730 und war damals der erste künstliche Wasserweg in der Südostecke des Kontinents. Als solchen nutzte man ihn in großem Stil bis Ende der 1950er Jahre; danach verfiel er infolge der Streitigkeiten zwischen Rumänien und Jugoslawien zusehends.

Ein letztes Frachtschiff soll noch 1985 auf dem rumänischen Teilstück des Bega-Kanals gefahren sein. Seither bewegt sich nichts mehr – abgesehen vom serbischen Teil bis zur Theiß-Einmündung und sommerlichen Ausflugsbooten in Temeschwar. Dabei wäre ein in vollem Umfang befahrbarer Kanal hinsichtlich möglicher Schiffsrundfahrten oder des Wassersports ein Juwel für den Fremdenverkehr.

Davon ist nicht nur der Temeschwarer Bürgermeister fest überzeugt. Allein, es fehlt der Glaube, das Mammutprojekt auch umsetzen zu können – es sei denn, die EU oder Förderländer wie Deutschland, Italien oder Frankreich springen wieder einmal in die Bresche.