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09.06.01 Das lange Leben schauriger Legenden: Beispiel Euthanasie an schwerstverwundeten deutschen Soldaten

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. Juni 2001


Kriegspropaganda:
»Bewußt lügen!«
Das lange Leben schauriger Legenden: Beispiel Euthanasie an schwerstverwundeten deutschen Soldaten
von H.-J. v. Leesen

Als sich die Studierenden zu Beginn des Sommersemesters 2001 im Hörsaal des Historischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität in Kiel versammelten, erfuhren sie, daß Prof. Dr. Helmut Grieser seine Vorlesung über "Europäische Geschichte Teil VI" mit dem nicht eben originellen, wohl aber probaten Thema "Warum Auschwitz?" beginnen werde. Er zählte die ermordeten Euthanasie-Opfer ebenso auf wie die von Einsatzgruppen Getöteten, die in Ghettos verstorbenen wie die vergasten Juden.

Dann aber horchten vor allem die "Alt-Kommilitonen" auf – Vorlesungen über neuere Geschichte sind beliebte Treffpunkte für im Ruhestand befindliche ältere Herren, die hoffen, die von ihnen erlebte Zeit gedeutet zu bekommen, denn Prof. Dr. Grieser behauptete nicht mehr und nicht weniger, als daß im Zweiten Weltkrieg die deutschen schwerstverwundeten Soldaten, also etwa die Doppelamputierten oder die durch Kriegsereignisse schwer neurotisch Gewordenen, mittels Giftspritzen im Rahmen der Euthanasie getötet worden seien.

Das war vor allem jenen Gasthörern, die noch am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatten, nicht nur neu, sondern erschien ihnen auch im höchsten Grade unwahrscheinlich. Auf mehrfaches, zunehmend dringlicher werdendes Nachfragen gab Grieser seine Quelle preis. Er verwies auf das Buch "Warum Auschwitz?" von Gunnar Heinsohn.

Die deutsche Öffentlichkeit ist über deutsche Greueltaten hinreichend unterrichtet: bei jüngeren Deutschen sind Judenverfolgung und Judentötung, Euthanasie und deutsche Kriegsverbrechen manchmal das einzige, was sie von deutscher Geschichte überhaupt wissen. So rührte sich denn auch im Hörsaal bei Professor Griesers Behauptung von der Ermordung schwer kriegsversehrter Soldaten nichts, während nicht wenige Alt-Kommilitonen unruhig wurden und sich nach Ende der Vorle-sung auf dem Flur erregt unterhielten.

Nun darf man als kritischer Staatsbürger nicht alles glauben, was einem gerade auf diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten geboten worden ist. Darum tat es gut, das von Professor Grieser als Quelle für die als Faktum gebotene Euthanisierung Schwerverwundeter genannte Buch zu überprüfen.

Gunnar Heinsohn, Autor des Buches "Warum Auschwitz?" (rororo aktuell Nr. 1490), ist Professor an der Universität Bremen. Das Nachschlagewerk "Gelehrten-Kürschner" weist ihn aus als Diplomsoziologen sowie als Dr. phil. und Dr. rer. pol. Sein Terrain sind Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften, insbesondere frühkindliche Sozialisation und Vorschulerziehung. Der Titel seines ersten Buches lautet "Vorschulerziehung und Kapitalismus". Er hat noch vielerlei veröffentlicht, so über "Geschlechtsrollenaufhebung", "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft". Die Liste seiner Arbeiten endet im "Kürschner" mit dem Buchtitel "Das Kibbutz-Modell".

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sein 1998 ebenfalls bei rororo veröffentlichtes Taschenbuch "Lexikon der Völkermorde" bekannt.

In dem von Grieser als Quelle benutzte Taschenbuch "Warum Auschwitz?" findet sich tatsächlich auf Seite 31 die Behauptung, "deutsche Soldaten (Beinamputierte u. a.) ..." seien "mit Giftinjektionen von Krankenschwestern und Ärzten entweder in Heimatlazaretten oder direkt an der Front umgebracht" worden.

Auch in dem anderen Heinsohn-Taschenbuch "Lexikon der Völkermorde" wird diese Behauptung aufgestellt, nämlich auf den Seiten 129 und 130. Dort heißt es: "Im Krieg gibt es Euthanasie auch für verletzte deutsche Soldaten, Mehrfachamputierte werden mit Giftinjektionen von Krankenschwestern und Ärzten entweder in Heimatlazaretten oder direkt hinter der Front umgebracht." In beiden Büchern nennt Heinsohn als seine Quellen das Buch von Ernst Klee "Euthanasie im NS-Staat" sowie "Ärzte im Dritten Reich" von Robert Jay Lifton.

Ernst Klee schreibt auf Seite 446 in dem Kapitel "Die Intensivierung der Euthanasie bis 1945": "Doch nicht einmal die Kriegsverletzten werden geschont. Die Chefsekretärin der Anstalt Kaufbeuren über eine T4-Schwester in der Zweiganstalt Irsee: ‚Acht Soldaten hat sie z. B. einmal gespritzt und weggeräumt. Das hat sie uns selber erzählt. Die sind weggestorben wie die Fliegen. Beinamputierte, Doppelamputierte, die hat sie alle weggeräumt.‘"

Das ist alles. Weder erfahren wir den Namen der Chefsekretärin noch den der Schwester. Kein Dokument, keine Akten, keine Anordnung, kein sonstiges amtliches Papier kann herangezogen werden, sondern nur die angebliche Erzählung einer Krankenschwester, die wiederum angeblich von einer Sekretärin weiterberichtet worden ist. Unter seriösen Wissenschaftlern wäre ein solches Zeugnis ohne Wert.

Was aber sagt die zweite der genannten Quellen, nämlich das Buch des amerikanischen Autors Robert Jay Lifton "Ärzte im Dritten Reich"? Sein angeblicher Beweis findet sich auf Seite 169. Lifton berichtet von einem Arzt Menecke, der an der Aktion T4 (= Euthanasie) beteiligt war, er habe am 12. Januar 1942 seiner Frau berichtet: "Seit vorgestern ist eine große Abordnung unserer Aktion unter Führung von Herrn Brack im Kampfgebiet des Ostens, um an der Bergung unserer Verwundeten in Eis und Schnee zu helfen." Dieser Auftrag sei "streng geheim! Nur diejenigen, die zur Durchführung der dringendsten Arbeiten unserer Aktion nicht entbehrt werden konnten, sind mitgenommen." Weiter Lifton: "Die Gruppe, die aus 20 bis 30 Ärzten, Krankenschwestern und Bürokräften vor allem aus Hadamar und Sonnenstein bestand, überschritt die russische Grenze und fuhr in die Gegend von Minsk. Natürlich konnte es keinen Grund dafür geben, einen augenscheinlich so humanitären und patriotischen Auftrag geheim zu halten. Das Tarnunternehmen diente offensichtlich zwei Zwecken. Erstens nahm diese Gruppe, wie manche Beobachter glauben, Euthanasie an deutschen Soldaten vor, die entweder schwer verwundet, vor allem hirngeschädigt, oder einfach aus psychischen Gründen nicht mehr kriegsverwendungsfähig waren ... Zweitens hatte dieses Projekt ganz offensichtlich mit der Errichtung von Todeslagern in Polen zu tun, wofür einige Mitglieder der Gruppe im Osten blieben ..." Und das soll ein Beweis sein, nennt sich "Quelle". Da "glauben manche Beobachter", da könnte es "offensichtlich" so gewesen sein. Auch hier kein Dokument, keine amtliche Anordnung, nur ein Gerücht. Da Lifton davon schreibt, daß vor allem hirngeschädigte oder "ganz einfach aus psychischen Gründen nicht mehr kriegsverwendungsfähige" Soldaten getötet worden sein sollen, könnte noch ein Blick in ein Fischer-Taschenbuch über die Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie, "Maschinengewehre hinter der Front", von Peter Riedesser und Axel Verderber sinnvoll sein. Aber auch in diesem Buch, das sich bereits in der Diktion als ausgesprochen ideologisch motiviert zu erkennen gibt, findet man nichts davon, daß etwa unter den Einwirkungen des Krieges nervlich schwer erkrankte Soldaten umgebracht worden wären.

Mehrere von Griesers Historiker-Kollegen zeigten sich überrascht von dessen Behauptungen; niemals seien sie auf dergleichen gestoßen. Hohe Bundeswehroffiziere waren konsterniert. Einer der höchsten Generale meinte, das Ganze sei von Anfang an unglaubwürdig, weil es sich kein Regime leisten könne, schwerverwundete eigene Soldaten umbringen zu lassen. Das hätte nicht geheimgehalten werden können. Wenn aber bei der Truppe bekannt geworden wäre, daß die Soldaten damit rechnen müßten, bei schwerer Verwundung von eigenen Kameraden ermordet zu werden, wäre daran der Wehrwille zerbrochen.

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam, mit Griesers Ausführungen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten, konnte nur auf das Buch von Klee verweisen; andere Unterlagen zu diesem Thema gibt es in jenem Forschungsamt nicht.

Wie kann es zur Kolportierung solcher Vorwürfe, für die es keine seriösen Belege gibt, kommen? Ein Historiker verwies auf ein 1945 in New York erschienenes zweibändiges Werk eines gewissen Waverley L. Root mit dem Titel "The Secret History of the War", das im wesentlichen eine Sammlung von Gerüchten und Greuelgeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg enthält. Darin wird u. a. behauptet, die Deutschen hätten ganze Lazarettzüge mit eigenen Verwundeten in Eisenbahntunnels gefahren und unter Giftgas gesetzt, um so "unnütze Esser" loszuwerden. Hier handelt es sich offenbar um eine Fortsetzung der im Ersten Weltkrieg von Briten und Amerikanern verwendeten Greuelpropaganda. Heute hört man von den Eisenbahntunnels mit den vergasten Verwundeten nichts mehr. Fündig wird man auch in dem Buch von Sefton Delmer "Die Deutschen und ich" (Nannen-Verlag, Hamburg 1962).

Journalist Delmer leitete im Zweiten Weltkrieg die "Schwarze Propaganda", eine Abteilung der britischen Psychologischen Kriegführung. Bekannt geworden sind britische Rundfunksender, die sich als deutsche Stationen ausgaben, in Wirklichkeit aber der Zersetzung der deutschen Kampfmoral dienten. Dazu gehörte es, erfundene Gerüchte auszustreuen – sie wurden abgekürzt "sibs" genannt. Diese sollten, so Delmer, "zu einer mächtigen Waffe der psychologischen Kriegführung werden". Auf Seite 499 seines Buches nennt Chef-Propagandist Delmer seine Arbeitsprinzipien: "Vor allem Genauigkeit!, predigte ich meinen Leuten immer wieder. Wir dürfen nie zufällig oder aus Nachlässigkeit lügen, sondern immer nur bewußt und überlegt."

Auf den Seiten 542 ff. schildert er eine Aktion, welche die Vorlesungsbesucher im Kieler Historischen Seminar aus dem Munde von Prof. Grieser wieder hörten. Die britische Psychologische Kriegführung hatte einen Weg gefunden, an die Adressen von Angehörigen deutscher Gefallener zu gelangen. Ihnen schrieb die britische Psychologische Kriegführung amtlich erscheinende Briefe, "um den Angehörigen toter Soldaten mitzuteilen, daß diese nicht an ihren Verwundungen, sondern an einer Todesspritze gestorben seien. Der nationalsozialistische Arzt im Lazarett, so ließen wir durch die angebliche Krankenschwester erklären, sei zu der Ansicht gelangt, der Verwundete werde vor Beendigung des Krieges nicht wieder kampffähig sein. Deshalb habe der Arzt das Bett für einen anderen Soldaten freimachen wollen, der bessere Aussichten auf baldige Genesung hatte."

Der Psychokrieger Sefton Delmer besuchte nach dem Krieg das besiegte Deutschland, um festzustellen, welche Wirkung seine psychologischen Kampfmaßnahmen gehabt haben. Dabei, so berichtete er triumphierend, sei er immer wieder darauf gestoßen, daß die von ihm und seiner Abteilung erfundenen Lügen von den Deutschen als Wahrheiten verbreitet worden seien. Man hatte sie geglaubt und ließ sich nicht mehr von deren "Wahrheitsgehalt" abbringen.

Ein später Beweis für die Wirksamkeit der britischen Psychologischen Kriegführung war die Vorlesung im Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität in Kiel am 23. April 2001.

 

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