19.04.2024

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09.06.01 Prinzessin Ilka

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. Juni 2001


Prinzessin Ilka
von Margot Kohlhepp

Der Jagdhund Hektor wurde im Alter krank und mußte von seinen Leiden erlöst werden. Unserem Vater fiel es schwer, seinem langjährigen Gefährten den Gnadenschuß zu geben. Schon in der folgenden Woche fuhr er zu einem Kollegen und holte eine junge Irish-Setter-Hündin, die gerade von der Hundeschule gekommen war. Nach seiner Rückkehr trat er in unser Wohnzimmer, der Hund stand aufmerksam neben ihm: "Das ist Ilka." Wir waren begeistert von dem wunderschönen Tier mit dem glänzenden, seidigen, leicht gewellten schwarzen Fell. Unsere Mutter saß im Korbsessel vor dem Nähtisch undrief Ilka zu sich. Die schritt bedächtig hin, legte den Kopf auf Mutters Knie und sah ihr unverwandt in die Augen. "Du liebe Zeit, das ist doch kein Blick von einem Hund. Es scheint mir, als ob eine verwunschene Prinzessin etwas sagen möchte."

Muttis Worte waren so überzeugend, daß auch wir Kinder nun in Ilka etwas Besonderes und Geheimnisvolles sahen. Sie bewegte sich sehr elegant, und wenn sie in der Sonne lag, hatte ihr schwarzes Fell zur Bauchseite hin einen goldenen Schimmer. Vielleicht war in ihrer Ahnenreihe einmal ein goldbrauner Vorfahre gewesen.

Eines Tages kam eine Frau zur Försterei, um sich einen Erlaubnisschein zum Sammeln von Reisig im Wald zu holen. Bei Ilkas Anblick fragte sie: "Na, wem sein Schuterche bist denn du?" Mutti erstarrte förmlich bei dieser Majestätsbeleidigung. Wie konnte man nur unsere verwunschene Prinzessin so despektierlich anreden!

1945, als es auf die Flucht ging, wurde Ilka hinten an den Leiterwagen gebunden. Zwei Tage lang ging es gut, aber dann verdrehte sich die Leine. Um den Schaden zu beheben, wollte ich den Hund kurz losmachen. In dem Augenblick wurde unser Treck von Tieffliegern angegriffen, und im Beschuß und dem Durcheinander jagte Ilka von dannen.

Mutter sagte als Trost, daß Hunde immer ihr Zuhause wiederfänden. Im Hinblick auf ihre eigene Erfahrung im Ersten Weltkrieg meinte sie, daß wir nach wenigen Wochen ja zurückkommen und dann Ilka uns dort erwarten würde.

Erwachsen mußten wir werden, grauhaarig mußten wir werden, und erst dann war es uns vergönnt, einen Blick auf die Ruine zu werfen, die einmal unser Elternhaus war. Die Natur hatte von allem weitgehend Besitz ergriffen. Auch streunende Hunde gab es überall. Die Dolmetscherin sagte, den Tieren würde ab und zu etwas Futter zugeworfen, ansonsten seien sie verwildert. Ein Hund und eine Hündin liefen zwischen unserem früheren Feld und dem Wald herum. Sie hatte ein schwarzes, leicht gelocktes, allerdings zerzaustes Fell und erinnerte mich schmerzlich an unsere Prinzessin. Ich setzte mich abseits hin und warf ihr Wurststückchen zu. Vorsichtig holte sie diese ab und lief damit sofort wieder an eine Stelle, von der sie einen vermeintlich sicheren Abstand hatte. Unaufhörlich sprach ich zu ihr und redete sie mit "Ilka" an.

Am darauffolgenden Tag fuhr ich erneut zu ihr. Das Futter ließ ich sie in immer kürzerer Entfernung zu mir abholen. "Komm Ilka, komm!" Meine ausgestreckte Hand hielt ich ihr entgegen. Es war ein Geduldsspiel. Ängstlich und leicht geduckt kam sie an, um nach wenigen Schritten erschrocken fortzulaufen. Ich bewegte mich nicht, sprach aber weiter leise zu ihr. Das für mich kleine Wunder geschah endlich: Ihre vorgestreckte Nase berührte meine Hand und beschnupperte sie, vorsichtig, aber ausgiebig. Langsam, wie beruhigt, zog sie sich etwas zurück, setzte sich und sah mich mit dem Blick einer verwunschenen Prinzessin an. Der Sonnenschein fiel auf das Fell, so daß auf der Bauchseite deutlich ein goldbrauner Schimmer sichtbar wurde.

Die Zeit war vorüber, ich mußte abfahren. Ilkas Kind saß hoch aufgerichtet auf der Ruine unseres Hauses und sah unbeweglich mir nach. Langsam ging ich den Weg zurück, und solange ich durch den Tränenschleier noch etwas erkennen konnte, sog ich den Anblick von der Hüterin unserer Heimattrümmer fest in meine Seele.