19.04.2024

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16.06.01 Mit Spenden unterwegs nach Ostpreußen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Juni 2001


Ortelsburg:
Mit Spenden unterwegs nach Ostpreußen
Die Hilfsgüter im Rücken – die Vergangenheit vor uns
von Edgar Lössmann

Durch einen Briefkontakt mit der Krankenschwester Barbara Smolinska in Masuren und ihre Nachricht, daß das Ortelsburger Kreiskrankenhaus in Not geraten sei, begann in Kiel eine großangelegte Sammlung, an der sich Bürger, Ärzte und Apotheken, Ärzteverein, Kirchen-gemeinden, die örtliche Tages-presse, Das Ostpreußenblatt, die "Nordelbische Kirchenzeitung", die Kreisgemeinschaft der ehemaligen Bewohner des Kreises Ortelsburg sowie Firmen und Krankenhäuser beteiligten. Die Johanniter-Unfallhilfe in Eutin stellte den größten Teil der medizinischen Geräte, des Verbandsmaterials und der Medikamente und ermöglichte den Transport. Die Spedition Moser in Eutin stellte den Lastkraftwagen.

Nachts um 2.00 Uhr rollen wir vom Hof der Johanniter-Unfall-Hilfe in Eutin. Hans-Ulrich König und Klaus Behrendt haben den Transporter rundherum reisefertig gemacht. Viele Stunden haben die beiden Helfer dafür aufgebracht. Der Leiter der Eutiner Johanniter, Uwe Kuschel, veranlaßte alle büro- und zolltechnischen Vorbereitungen. An unserem Last-kraftwagen prangen die Johanniter-Kreuze. An der Wind- schutzscheibe findet man den Hinweis, daß der LKW mit humanitären Gütern unterwegs ist. Nachdem wir in der Dämmerung Mecklenburg und später Vorpommern durchquert haben, verläuft die Grenzprozedur problemlos. Innerhalb einer halben Stunde setzen wir die Fahrt fort. Wir passieren Stettin, fahren wegen der Straßenverhältnisse über Marienburg, Elbing bis Osterode. Das erste Etappenziel ist erreicht. Uns erwartet ein Hotel am See. Die Abendson-ne sendet ihre Strahlen aus. Angler stippen hoffnungsvoll den Haken ins Wasser. Ein alter Bismarck-Turm verziert das Hotelgrundstück. Ein Park schließt sich an und lädt zum Spaziergang ein. Die bekannten ostpreußischen Mücken ma- chen erste Annäherungsversuche.

Am nächsten Morgen geht es zeitig weiter. Unterwegs sauge ich förmlich die Eindrücke auf. Rapsfelder blühen, die noch grünen Kornfelder bewegen sich im Wind. Ein Teppich der Natur. Bauernhäuser künden von alter Zeit. Sie reizen zum Verweilen. Endlos scheinen die Alleen und die Mischwälder. Blütenreiche Obstbäume lassen reiche Ernte erahnen. Der Flieder blüht, wohin man schaut. Butterblumenmeere leuchten. Seen schimmern, als hätte man große Spiegel in die Landschaft eingebettet. Störche durchschreiten stolz die saftigen Wiesen. Die Insassen eines deutschen Reisebusses grüßen beim Überholen. Kinder am Straßenrand winken uns zu. Kleingärten präsentieren ihre schnurgerade angelegten Beete. Das Grün einer BP-Tankstelle leuchtet uns entgegen. Eine bekannte deutsche Supermarkt-Kette hat Werbe-Wegweiser aufgestellt. Autohäuser mit geläufigen Marken säumen die Straßen in den Städten. In den Städten herrscht reges Treiben. Bauleute zementieren Neues, Grünanlagen werden gepflegt, Straßengräben gesäubert. Gelegentlich finden sich auch nagelneue, prachtvolle Einfamilienhäuser im Grünen.

Mit Masuren hat Gott etwas ganz Besonderes geschaffen. Warum Masuren von unseren ostpreußischen Landsleuten so innig geliebt wird, kann ich jetzt um so besser verstehen. Was ich sehe, überwältigt mich. Wir kommen nach Sensburg. Herr Czerwinski von der Deutschen Minderheit trifft uns an der örtlichen Zollstelle. Die junge Zollbeamtin kennt bereits die Hilfstransporte mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund. Schnell sind die Papiere ausgefertigt. Etwas länger dauert dagegen die Reparatur des Auspuffs, der unterwegs gerissen war. An der Zollstation befindet sich eine gute Fachwerkstatt. Indes treffe ich mit Helmut Maczasek, dem Leiter der Lazarus-Sozialstation Ortelsburg, zusammen. Wir nutzen die Zeit zu einem ersten Gedankenaustausch und einem kurzen Spaziergang durch Sensburg. Helmut wird uns nach Ortelsburg geleiten. Das letzte Stück unserer Reise führt uns durch Alleen, Hügel und Felder, Wiesen und Seen. In Ortelsburg werden wir schon erwartet. Barbara eilt mir entgegen. Bisher waren nur freundschaftliche Briefe hin- und hergewandert. Jetzt stehen wir uns gegenüber. Wir suchen die beste Zufahrt auf das Krankenhausgelände. Im Vorübergehen bemerke ich, wie eine ältere Frau, nachdem sie erfährt, daß es sich um einen deutschen Hilfstransport handelt, in Tränen ausbricht. Den Lastkraftwagen stellen wir an der Notrufzentrale ab. Hanna von der Abteilung Technik und wei-tere Mitarbeiter beratschlagen, wo das Material vorübergehend eingelagert werden soll. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit be-schließen wir, das Entladen auf den nächsten Tag zu verschieben. Edmund Nozdrowicz, der Direktor, empfängt uns freudig in seinem Büro. Hanna und Barbara begleiten uns durch das Haus. Ein Imbiß wird gereicht, unsere Unterbringung organisiert. Barbara bietet mir an, bei ihr zu Hause zu wohnen. Helmut, der auch Mitglied des Vorstandes der deut-schen Minderheit ist, übersetzt. Wir erfahren, daß das Krankenhaus kurz vor unserem Eintreffen nur knapp einer Brandkatastrophe entronnen ist. Auf dem Flur der Chirurgischen Station sehe ich rauchgeschwärzte Wände. Noch rechtzeitig konnte der Brand gelöscht werden – Gott sei Dank!

Barbara und ihre Eltern wohnen auf dem Lande. Ein alter Bauernhof empfängt mich. Stallungen, Brunnen, Wohnhaus, alte landwirtschaftliche Geräte, ein Stor-chenpaar. Eine sehr freundliche Begrüßung. Barbaras Mutter, eine Ostpreußin, verblieb nach dem Krieg im Land und heiratete. Der Dialekt ist unverkennbar. Die Gastfreundschaft rührt an, wir verstehen uns prächtig. Nach dem Abendessen zieht es mich in die Natur. Ein alter Landweg, am Anfang gesäumt von hohen Bäumen, führt durch die Felder. Die Stille wird nur unterbrochen vom Brüllen der Kühe, dem Surren der Telegraphenmasten, dem Gesang der Vögel, dem Rufen des Kuckucks. Hasen springen auf und schlagen ihre Haken auf der Wiese. Zum ersten Mal seit der Kindheit sehe ich wieder Mai-käfer.

Am nächsten Morgen fahren wir zum Krankenhaus. Der Lastkraftwagen wird in Position gebracht. Die Mitarbeiter der Abteilung Technik sind zur Stelle. Soldaten treffen ein. Wir haben beim Abladen Mühe, die Güter mit dem Tempo nach den Empfängern zu trennen. Bett um Bett, Rollstuhl um Rollstuhl, Karton um Karton wandert in den Lagerraum des Krankenhauses. Die Freude der polnischen Mitarbeiter ist unverkennbar. Nach der Entladeaktion dusche ich im Krankenhaus und sehe im Haus nun selbst, wie dringend notwendig unsere Hilfe ist. Der Direktor bittet uns nach dem Entladen der Hilfsgüter zu sich und dankt uns offiziell. Zugleich signalisiert der Direktor im lockeren Gespräch, daß er an weiteren Kontakten interessiert ist. Beiläufig schwärmt er von einer privaten Segeltour in deut-schen Gewäs-sern vor einigen Jahren. Schließ- lich präsentiert er uns die visionäre Idee, ein kleines Hospiz mit zwölf bis 15 Betten in der Krankenhausnachbarschaft zu er-richten. Dazu ist ein finanzstarker deutscher Partner nötig. Wir werden sehen, ob dieser sich finden läßt.

Auf die Mitarbeiter der Johanniter-Unfall-Hilfe warten zwi-schenzeitlich noch andere Aufgaben. Für mich beginnt ein Programm, ein Gemisch aus Besuchen der Sozialstation, der Behinderten-Tagesstätte, einem Stadtrundgang sowie einem Ausflug nach Fürstenwalde, dem Wohnort meiner Großeltern zu deutscher Zeit. Ich lerne viele interessante, freundliche Menschen kennen. Die Kinder der Behinderten-Tagesstätte packen freudig das mitgebrachte Spielzeug aus. Die Pakete der Kieler Kirchengemeinden werden nach einem Bedürftigkeitsschlüssel durch die Sozialstation an kranke Rentner verteilt. Mit Barbara schlendere ich durch die Stadt und genieße die Eindrücke. Mit ihr und Helmut Maczasek fahre ich in das Dorf unserer Familie nach Für-stenwalde. Vom Seyda’schen Gehöft steht nur noch die Schmiede. Das Gebäude wird als Heuschober genutzt. Auf dem brachliegenden Land weiden die Kühe. Die Fundamente der Gebäude sind mit Moos über-wachsen, Sträucher wachsen ungehindert zwischen den Gemäuerresten. Flieder blüht. Er erinnert mich daran, wie sehr meine Großmutter diese Blüten liebte. Ich klaube kleine Ziegelsplitter vom Erdboden als Andenken auf und nehme einen schiedeeisernen Ring an mich, um ihn meiner Mutter zu überbringen. Wir treffen eine sehr alte Frau, die meine Großeltern und die sechs Kinder noch kannte. Sie breitet die Vergangenheit vor mir aus. In Lucka stoßen wir auf Fritz Przygodda, den Neffen eines damaligen Fürstenwalders. Er sprüht vor Witz und hat die La-cher auf seiner Seite. In Lindenort werden wir von einem pensio-nierten Landschullehrer und seiner Frau Emma spontan zum Kaffee eingeladen. Lehrer Tadeusz Lech beschäftigt sich mit der örtlichen Geschichte und weiß viel über die Nachkriegsjahre zu berich-ten. Auf dem Land beeindrucken mich die vie- len, alten masurischen Holzhäuser mit kunstvollen Verzierungen. Daß der Zahn der Zeit an ihnen nagt, ist allerdings unverkennbar. Ich empfinde tiefe Dankbarkeit für das, was ich erleben darf. Es ist allerdings auch ein merkwürdiges Gefühl, daß vor einigen Jahrzehnten mein Großvater als ostpreußischer Bauer auf den Wegen unterwegs war, die ich jetzt mit dem Auto befahre, und meine Mutter und die Geschwister über die Wiesen und Felder sprangen, die ich mit meiner Kamera einfange. Familienvergangenheit und Ge-genwart vermischen sich. Die Begegnung mit dem Land der

Väter berührt bis ins Mark.

Klar ist mit Antritt der Rückreise, daß wir mit den Sachspenden vielen Menschen Freude und Hilfe gebracht haben, daß neue Freundschaften entstanden sind und daß es eine Fortsetzung der Kontakte geben wird. Klar ist ebenso, daß im deutsch-polni-schen Verhältnis die Brücke aus der deutschen Vergangenheit in Ostpreußen nur gemeinsam begangen werden kann. Nur gemeinsam kann sie die Brücke in die Zukunft sein. Es wäre an der Zeit, daß auch die polnische Regierung endlich ein klares Wort der Entschuldigung an die vertriebenen Deutschen richtet.

Ein weiterer Hilfstransport soll Anfang August fahren. Und es bleibt zu hoffen, daß wieder viele beherzte Hände mit anpacken. Der Leser ist herzlich eingeladen mitzutun. Für Anfragen hinsichtlich der dringend benötigten medizinischen Sachspenden so-wie Geldspenden wählen Sie bitte die 0 45 21/7 91 90 (Die Johanniter-Unfall-Hilfe, Uwe Kuschel).