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07.07.01 Hans-Joachim von Leesen über Hans Josef Horchems »Erinnerungen«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Juli 2001


Mosaiksteine für die Geschichtsschreibung
Hans-Joachim von Leesen über Hans Josef Horchems »Erinnerungen«

Es drängt im fortschreitenden Leben viele Frauen und Männer, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, das Geschehen, so wie es sich in ihren Augen widergespiegelt hat, schriftlich festzuhalten. Das ist ein Unterfangen, zu dem man jeden, der sich dazu in der Lage fühlt, ermuntern kann. Für die einen ist es ein Akt der Selbstbefreiung von Eindrücken, wie sie eindringlicher nicht sein können; für die anderen ist es die Mitteilung an die Familie. Und eine dritte Gruppe ist sogar fähig, ihre Erinnerungen zu einer Schrift von literarischem Rang, die allgemeines Interesse beanspruchen kann, zu formulieren. Immer aber sind solche persönlichen Aufzeichnungen Mosaiksteine für die Geschichtsschreibung.

Hüten sollten sich die Autoren nur, wenn sie über die Schilderung des Selbsterlebten hinaus meinen, in Retrospektiven hohe Politik schildern und Gesamtzusammenhänge herstellen zu wollen. Das wäre Sache der Historiker. Meist kommt bei Ausflügen in den Versuch, Gesamtdarstellungen zu liefern, Peinliches heraus.

Ideal ist es, wenn aus in jenen Jahren sofort angefertigten Aufzeichnungen geschöpft werden kann, etwa aus Briefen oder Tagebüchern. Allzu groß ist sonst die Gefahr, daß sich im Laufe der Jahrzehnte die Erinnerungen verschoben haben, daß man Erhofftes, Erwünschtes, aus zweiter Hand Gehörtes zusammenmischt.

Der Name Hans Josef Horchem war bisher den politisch Interes-sierten bekannt als der eines füh-renden Mannes des innerdeut-schen Geheimdienstes. Er war als Jurist im Bundesamt für Verfas-sungsschutz in Köln tätig und zwölf Jahre lang Leiter des Lan-desamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. Er wurde 1927 in einem tief katholischen Gebiet des Rheinlandes geboren und wuchs in den festen Institutionen der römisch-katholischen Kirche auf. Das Fundament seiner Jugend war der Katholizismus. Horchem hat sich nicht damit begnügt, in seinen Jugenderinnerungen nie-derzuschreiben, was er in den Jahren bis 1945 selbst erlebt hat, sondern er erlag der Versuchung, auch die Überlegungen und Pla-nungen sowie die Ereignisse zu deuten und niederzuschreiben, die sich weit oberhalb der Sphäre eines damaligen Mitgliedes der katholischen Jugend, der Hitler-Jugend, der Luftwaffe und der Marine abgespielt haben. Das ist dann der Niederschlag des später Angelesenen.

Sein Buch "Kinder im Krieg" ist überall dort lebendig und lesenswert, wo er seine engere Umgebung und die Ereignisse, die er selbst erlebt hat, beschreibt. Aufschlußreich sind auch manche wörtlich wiedergegebenen Zeitdokumente wie etwa die Predigt des Bischofs von Münster, Graf von Galen, in der er die Euthanasie anprangerte und erreichte, daß die Tötung unheilbar kranker Erwachsener 1941 eingestellt wurde.

Wir verfolgen den Weg des jungen Hans Josef durch die katholischen Institutionen in der Hitler-Jugend, vor der er sich weitgehend drückte, ohne daß es für ihn unangenehme Folgen gehabt hätte, erfahren von den Überlegungen seiner Familie in jenen Jahren der nationalsozialistischen Umwelt gegenüber. Horchem bemüht sich dabei, nicht von heute her zu argumentieren, sondern einen Standpunkt innerhalb der damaligen Zeit zu finden, so daß es zu bemerkenswert sachlichen Schilderungen kommt. Dabei geht er so weit, daß ihn, hätte er nicht selbst zum Verfassungsschutz gehört, heute manche Überwachungsinstitution "Verharmlosung des Nationalsozialismus" zeihen könnte.

Horchem, Jahrgang 1927, ging den Weg seiner Altersgenossen. 1943, also 15 oder 16 Jahre alt, wurde er Luftwaffenhelfer, was ihn wohl zu dem etwas albernen Titel seines Buches "Kinder im Krieg" inspiriert hat. (Hätte er als 16jähriger lieber im Keller gesessen und darauf gewartet, daß er von einer britischen Bombe getötet wurde? Und ein weiteres: Im Warschauer Aufstand kämpften bekanntlich selbst zwölfjährige polnische Pfadfinder, denen dafür ein Denkmal errichtet wurde.) Anschließend diente er sechs Wochen im Reichsarbeitsdienst und wurde dann zur Kriegsmarine eingezogen. Auf der Marineschule Mürwik, wo er als Kadett zum Offizier ausgebildet werden sollte, endete am 8. Mai 1945 die Soldatenlaufbahn des Achtzehnjährigen. n

Offensichtlich standen Hor-chem keine Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit zur Verfü-gung. Er versuchte sich zurück-zuerinnern, und hat sich dabei durchaus bemüht, fair und sach-lich zu bleiben. Das hat wohl den Vorwortschreiber Rüdiger Proske dazu bewegt, seine Einleitung mit dem Satz zu beenden, das Buch sei "ganz ungewollt ein Dokument gegen jeden Versuch, dem deutschen Volk eine Kollektivschuld aufzudrängen."

 

Hans Josef Horchem: "Kinder im Krieg – Kindheit und Jugend im Dritten Reich". E. S. Mittler & Sohn, Hamburg, 2000. 256 Seiten. ISBN 3-8132-0716-1. Preis: 48,-- DM.