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14.07.01 Deutsche Interessen / Ein Land zwischen Irrweg und beschwerlicher Suche

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Juli 2001


Betrachtungen:
Deutsche Interessen
Ein Land zwischen Irrweg und beschwerlicher Suche
von Gerd-H. Komossa

Der 17. Juni bleibt ein besonderer Tag unserer Geschichte. Die Medien ignorierten ihn in diesem Jahr allerdings – wie auch den 18. Januar. "Spitzbart, Bauch und Brille, sind nicht des Volkes Wille!", dies war am 17. Juni 1953 der erste öffentliche Aufschrei des Volkes in der DDR gegen das SED-Regime. Es war das Präludium zum Ruf "Wir sind das Volk"! Es war der erste Versuch, das verhaßte Regime abzuschütteln. Der Ruf erstarb im Feuer sowjetischer Panzer. Seitdem sind 48 Jahre vergangen. Auf die Wiederherstellung der Einheit und die Freiheit für alle Deutschen mußte unser Volk danach lange warten.

Der 17. Juni wie auch der 3. Ok-tober geben uns Anlaß zum Nachdenken über Deutschland heute.

Die Wiederherstellung der Einheit wird einmal als das herausragende politische Ereignis nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen und gewürdigt werden. Viele haben es heute noch nicht erkannt, haben nicht begriffen, was hier – geschichtlich betrachtet – geschehen ist. Wir sollten uns dabei stets daran erinnern, daß die Menschen in der DDR die Einheit durch ihren Mut ermöglicht haben. Der alte Traum von der Einheit der Deutschen ging – wie schon 1871 – in Erfüllung. Aber es darf nicht vergessen werden, welchen Preis wir diesmal zahlen mußten. Ost- und Westpreußen, Danzig und Schlesien, Teile der Mark Brandenburg, Hinterpommern, das Sudetenland und das Memelland waren Opfer der Einheit.

Wenn die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, feststellte, die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten sei als "ein bedauerliches persönliches Schicksal" anzusehen, dann ist dies eine Verhöhnung der Opfer. Wir sollten immer noch unserer Ostprovinzen gedenken, die 700 Jahre von Deutschen besiedelt waren.

Beim Lesen von Gorbatschows Buch "Wie es war" kommen Zweifel auf, ob dieser Verzicht tatsächlich zwangsläufig war und unvermeidlich. Nachdenklich wird der Leser, wenn Gorbatschow in seinem Buch zu den Verhandlungen über die Wiedervereinigung schreibt: "Mit einer deutschen Regierung kann man nur dann über Deutschland verhandeln, wenn sie auch deutsch denkt." Was meinte er wohl mit dieser Feststellung?

Man kann nicht über die Einheit der Deutschen sprechen, ohne des Schöpfers und Gestalters der Einheit Deutschlands vor mehr als 130 Jahren zu gedenken. Nachdem die Heere Napoleons das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zerschlagen hatten, war es Otto Fürst von Bismarck, der mit Weitsicht, Beharrlichkeit, Klugheit, Ausdauer und Diplomatie die Deutschen einte. Er tat dies zu einer Zeit, als in den USA der Kampf gegen die Indianer seinen Höhepunkt mit der blutigen Schlacht am Little Big Horn erreicht hatte. Es war die Zeit, als Frankreich und England sich um die Ausweitung ihrer außereuropäischen Kolonien intensiv bemühten, in Afrika und Asien und vor allem in Ägypten. Zu dieser Zeit hatte Rußland mit Waffengewalt seinen Weg zum Indischen Ozean und zum Kaukasus gesucht. Es war die Zeit des ersten Tschetschenienkrieges. Damals war Rom noch eine französisch besetzte Stadt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. Bismarck, dieser hervorragende Politiker, Soldat und Diplomat, gehört zu den größten Staatsmännern der Geschichte.

Wir feiern seit elf Jahren statt des 17. Juni nun den 3. Oktober als den Tag der deutschen Einheit. Wir tun dies in Freude, aber doch auch anders als andere Nationen. Diese begehen Nationalfeiertage. Die Franzosen ihren 14. Juli mit Panzern und Kampfflugzeugen über dem Arc de Triumphe, die Amerikaner mit großen Paraden im Zentrum von New York. Auch in Großbritannien wird demonstriert, wie wichtig dem britischen Volk die eigene Nation ist. Tony Blair bestätigte es. Nein, Großbritannien wie Frankreich lassen sich nicht in einen europäischen Einheitsanzug zwängen. Wenn unsere Regierung immer noch anderes glaubt, dann irrt sie.

Chirac sagte am 13. 12. 1996: "Mein Ehrgeiz ist es, einen Euro zu schaffen, der allein den Interessen Frankreichs entspricht." Es bedarf hierzu wohl keines besonderen Kommentars.

Aber wir – in Deutschland – haben ja heute allein schon mit dem Begriff "Nation" unsere Schwierigkeiten. Wo sind die großen Männer im Deutschland unserer Zeit, in Politik und Kunst, in Literatur und Musik, die den 3. Ok- tober so gestalten, wie es unserer Nation würdig wäre? Wir haben es bisher nicht geschafft, den "Tag der Einheit" zum "Tag der deutschen Nation" zu machen.

Vergleichen wir den Amtsantritt von Präsident Bush mit der Kanzler- und Ministerverteidigung im Bundestag. Da werden Unterschiede deutlich. Bush sprach über Werte und rief Amerika zur Einheit auf. Er versprach, er werde die Interessen des Volkes vertreten. Bush forderte "Mut und Tapferkeit unserer Nation, Würde und Pflichterfüllung". Am Ende rief er den Bürgern Amerikas zu: "Gott schütze Euch und unser Land!" und ein amerikanischer Soldat sang zum Schluß: "Gott segne Amerika!" Tony Blair versprach am 7. Juni, alles zu tun für Großbritannien. Können wir uns Ähnliches im deutschen Bundestag vorstellen?

Die Frage ist gestellt: Steht Deutschland auf den Feldern politischer Gestaltung heute besser da als vor etwa fünf Jahren? In der Außenpolitik wurde Entscheidendes nicht bewegt. Der EU-Gipfel von Nizza war ein Flop. Für den unvoreingenommenen Beobachter war es ein Gipfel der Schein-Kompromisse und nicht mehr. Der französische Präsident Chirac stellte am 11. Dezember gleichwohl mit Genugtuung fest: "Nizza ist einer der erfolgreichsten Gipfel der EU." Warum sagte er dies, wo doch die meisten Mitgliedstaaten von dem Gipfel enttäuscht abgereist waren und Korrekturen forderten? Er traf diese Feststellung, weil Frankreich sich auch in Nizza wieder gegenüber den Partnern durchgesetzt hatte. Chirac sagte den Franzosen weiter: "Wir können den Vorschlägen – gemeint denen der Deutschen – nicht zustimmen, weil Frankreich dann die Nummer Zwei in Europa wäre." So bleibt u. a. das Vetorecht als Fußfessel erhalten und sichert weiterhin den französischen Einfluß in der Union. Auch der Gipfel von Göteborg führte nicht weg von nationalen Vetos, Prestige und Macht, sondern festigte die alten Strukturen. Und die bevorstehende Erweiterung der EU gibt eher Anlaß zur Besorgnis statt Hoffnungen zu wecken. Immer noch gibt es dazu das Problem mit Übersetzung ins Deutsche, nunmehr auch unter der schwedischen Präsidentschaft, obwohl in Europa 100 Millionen Europäer deutsch sprechen.

Wir Deutsche müssen dafür sorgen, daß wir uns in die Union europäischer Staaten einbringen mit dem Mut zur gemeinsamen Zukunft und unter Wahrung unserer nationalen Interessen. Die Sicherheitspolitik mit Schrumpfung der Bundeswehr und Schließung von Standorten ist primär eine Folge der Haushaltspolitik. Eine sparsame Haushaltspolitik ist zu begrüßen, doch der Soldat, als Verteidiger unseres Landes, muß im Mittelpunkt der Planung stehen. Nicht der Bundeshaushalt. Hier hat sich Grundlegendes verschoben und in der Truppe spürt man es. Die Bundesregierung will die Bundeswehr für neue Aufgaben optimieren und effizienter machen. Sie konzentriert unsere Streitkräfte auf Einsätze außerhalb des Landes. Daraus resultieren viele Probleme. Minister Scharping mußte zugeben, daß Deutschland zur Zeit nicht "bündnisfähig und nicht verteidigungsfähig" ist.

Die Krisenregion Balkan wird uns auf viele Jahre weiter beschäftigen. Niemand kann sagen, wann unsere Soldaten zurückkommen. In fünf plus x Jahren? Zum Schutz der Albaner zogen unsere Soldaten in den Kosovo. Wer schützt sie aber nun selbst vor den Albanern? In Mazedonien herrscht Bürgerkrieg, kämpfen Albaner gegen Slawen. Die Nato überlegt, was sie tun könnte, ohne ihren Soldaten einen Kampfauftrag zu erteilen. Und die Bundesregierung reagiert zögerlich, wenngleich Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer nicht abgeneigt scheinen, auch die Bundeswehr hier wieder einzusetzen.

Dazu kommt, daß der Nahe Osten offensichtlich zu einem Dauerkrisenherd geworden ist. Darauf müssen wir uns noch einstellen. Zu fragen ist, ob wir für alle Möglichkeiten der Gefährdung unserer Sicherheit ausreichend gerüstet sind. Die Hauptaufgabe der Bundeswehr muß bleiben: Bewahrung von Freiheit und Sicherheit deutscher Staatsbürger und der Unversehrtheit unseres Staatsgebietes. Die neue Struktur der Bundeswehr droht am Mangel an Haushaltsmittel zu scheitern. Und der Soldat spürt dies. Das Bewerberaufkommen an Freiwilligen gleicht der Fahrt mit der Achterbahn. Wurde früher einer von 14 Bewerbern angenommen, so kann heute jeder mit Einstellung rechnen. Der Mangel an Geld – heute fehlen rund drei Milliarden – wird bleiben und muß sich auf die Stimmung in der Truppe auswirken. Die Hoffnung auf Gewinne durch Kasernenverkauf ist trügerisch. Der Gewinn wird den Mangel nicht ausgleichen. Es ist wie bei der T-Aktie, wo damals die Immobilien überbewertet wurden und die Aktien in den Keller fielen. Trotzdem: unsere Soldaten sind gut!

Innenpolitisch ist die Lage nicht entspannt. Kriminalität und Extremismus geben Anlaß zur Besorgnis. Obwohl die letzten Berichte der Ämter für Verfassungsschutz die Bedrohung "von rechts" besonders herausstellen, sieht der Bürger in der Realität von Gorleben und Göttingen, welche Gefährdung nach wie vor von militanten Kräften des linken politischen Spektrums zu erwarten ist. Die Autonomen, die auf deutschen oder schwedischen Straßen zusammenschlagen, was ihnen in den Weg kommt, einschließlich Polizisten, sind doch wohl keine rechten Trupps.

Die Wirtschaft hat zur Zeit, wie alle Experten bestätigen, an Schwung verloren. Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist für die Gewerkschaften sicher gut und nützlich, für den Mittelstand jedoch eine Belastung. Für mittlere Betriebe scheint es vernünftiger zu sein, Überstunden zu machen, statt die Zahl der Beschäftigen zu erhöhen und damit weitere Betriebsräte bei voller Bezahlung von der Arbeit freizustellen. Mit der erweiterten Gründung von Betriebsräten in mittelständischen Betrieben wird ein Vorteil gegenüber den Großbetrieben aufgegeben. Die mittelständischen Betriebe haben in diesem Jahr eine höhere Steuerbelastung als bisher, weil sie weniger Investitionen abschreiben können. Anstelle der versprochenen Entlastung ist so tatsächlich eine Mehrbelastung eingetreten. Und der Arbeitnehmer, der im Januar 2001 plötzlich 100 Mark mehr in der Lohntüte hatte, mußte für das vergangene Jahr für Heizöl 1000 Mark mehr ausgeben als im Vorjahr, und an der Tankstelle nahm ihm der Staat bei einer Jahresfahrleistung von 15 000 Kilometer zusätzlich 216 Mark Ökosteuer ab. Seit 1999 ist die Ökosteuer auf Benzin um 24 Pfennig pro Liter gestiegen. So ist es kein Wunder, daß in Deutschland die Zahl der Zulassungen von Kfz um 7,5 Prozent zurückgegangen ist. Großbritannien hingegen hat ein Plus von zwei Prozent und Frankreich von drei Prozent zu verzeichnen. Nicht nur die überhöhten Benzinpreise haben das Autofahren in Deutschland verteuert, sondern auch die Fahrzeugkosten mit einem Anstieg von 4,1 Prozent. Was wir brauchen, ist nicht stetiges Ansteigen der sogenannten Ökosteuer, sondern eine langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen, besonders für Jugendliche und in den neuen Ländern. Wer mehr Beschäftigung erreichen will, der muß vor allem die Hindernisse beseitigen, die dem entgegenstehen. (Fortsetzung folgt)

Die Deutschen haben es nach wie vor schwer mit dem Begriff Nation: Blick aus der Berliner Reichstagskuppel auf die unfertige Hauptstadt Foto: dpa