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04.08.01 125 Jahre Bayreuth – Richard Wagner und seine Königsberger Zeit

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. August 2001


»Affenschande« oder ein Muß?
125 Jahre Bayreuth – Richard Wagner und seine Königsberger Zeit
Von SILKE OSMAN

In Bayreuth kann man dieses Jahr gleich drei Jubiläen begehen: 125 Jahre Festspiele, 50 Jahre "Neu-Bayreuth", also die Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, und 35 Wolfgang Wagner als alleinverantwortlicher Festspielleiter. Wenn auch gerade in jüngster Zeit besonders um den Wagner-Enkel Wolfgang und dessen Nachfolge die Wogen der Erregung hochschlugen, sind die Festspiele seit je bei Musikfreunden ein "Muß". Richard Wagner selbst wird kaum geglaubt haben, wie sehr er auch mit seiner Idee eines eigenen Festspielhauses verbunden sein mochte, daß eben diese Idee auch 125 Jahre nach der ersten Aufführung noch Musikfreunde nach Bayreuth locken würde.

Nachdem vom 13. bis 30. August 1876 dreimal der gesamte "Ring" gegeben wurde – übrigens im Beisein gekrönter Häupter wie Kaiser Wilhelm I. und König Ludwig II. sowie mit einem Defizit von fast 150 000 Mark – las man in der Presse gar von einer "Affenschande": "Das deutsche Volk hat mit dieser Affenschande nichts gemein; und sollte es an dem falschen Golde des ,Nibelungenringes‘ Wohlgefallen finden, so wäre es durch diese bloße Tatsache ausgestrichen aus der Reihe der Kulturvölker des Abendlandes ..." – Welch ein Irrtum! Wenn auch die Meinungen über Richard Wagner und sein Schaffen noch heute weit auseinandergehen, so ist doch zweifellos nicht von der Hand zu weisen, daß viele Komponisten bis in die Gegenwart hinein nachhaltig von ihm beeinflußt wurden.

Richard Wagner hat zeitlebens um Anerkennung kämpfen müssen. Er war ein ruheloser Geist, oft auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Mit großer Konsequenz und mit Energie aber verfolgte er seine Pläne – und schuf Opern von Weltgeltung.

Nicht viele Musikfreunde werden wissen, daß der 1813 in Leipzig geborene Wagner auch eine kurze Zeit seines Lebens im ostpreußischen Königsberg verbrachte, eine Zeit, die er selbst als "verloren" betrachtete, die ihn aber als Mensch wie als Künstler hat reifen lassen. Wagner kam Anfang Juli 1836 nach Königsberg; er war seiner Angebeteten, der Schauspielerin Minna Planer, gefolgt, die ein Engagement am dortigen Schauspielhaus erhalten hatte. Auf Betreiben Minnas sollte der junge Komponist (seine Oper "Das Liebesverbot" war gerade in Magdeburg mit nicht großem Erfolg aufgeführt worden) die Stelle des Musikdirektors erhalten. Doch Wagner hatte in Königsberg kein Glück; die Stelle wurde nicht frei und Wagner mußte sehen, wie er im "preußischen Sibirien" , so in einem Brief an Robert Schumann, seinen Lebensunterhalt bestritt. Als Hilfskapellmeister kam er einigermaßen über die Runden. Um so mehr klammerte er sich an Minna und überredete sie zur Eheschließung.

In der Königlich Preußischen Staats-, Kriegs- und Friedenszeitung, der späteren Hartungschen Zeitung, las man am 19. November 1836, daß am 23. November zum Hochzeitsbenefiz für Fräulein Minna Planer "Die Stumme von Portici", eine Oper von Daniel Francois Esprit Auber, die bei der Aufführung 1830 in Brüssel zur belgischen Revolution führte, gegeben werden sollte (von Wagner inszeniert und dirigiert). Am 24. November 1836 dann wurden Minna Planer und Richard Wagner in der Tragheimer Kirche von Pfarrer Johann Friedrich Haspel getraut. In seiner Autobiographie "Mein Leben", die er übrigens seiner zweiten Frau Cosima diktierte, erinnerte sich der Komponist an dieses denkwürdige Ereignis: "Die am Vorabend stattfindende Benefizvorstellung der ,Stummen von Portici‘, welche ich mit allem Feuer dirigierte, ging gut vonstatten und lieferte die erwartete gute Einnahme. Nachdem wir den Polterabend, vom Theater heimkehrend, still und ermüdet verbracht, nahm ich zum ersten Male Besitz von der neuen Wohnung (Steindamm, Ecke Monken-, später Heinrichstraße, d. Red.), ohne mich jedoch in das zur Hochzeit aufgeputzte Brautbett zu legen, wogegen ich auf einem harten Kanapee, übel zugedeckt, weidlich dem Glücke des kommenden Tages entgegenfror.

Nun setzte es mich des andern Morgens in angenehme Aufregung, als Minnas Habseligkeiten in Koffern und Körben bei mir ankamen; auch hatte sich das regnerische Wetter vollständig verzogen, die Sonne strahlte hell am Himmel; nur in unserem Gastzimmer wollte es nicht warm werden, und ich zog mir für lange Zeit die Vorwürfe Minnas wegen vermeintlich unterlassener Pflege der Heizung zu. Endlich kleidete ich mich in den neuen Anzug, für welchen ich einen dunkelblauen Frack mit goldenen Knöpfen erwählt hatte.

Der Wagen fuhr vor, und ich machte mich auf, die Braut abzuholen. Der helle Himmel hatte uns alle freundlich gestimmt; in bester Laune traf ich Minna in ihrem prächtigen, von mir ausgewählten Anzuge. Mit wirklicher Innigkeit und Freude im Auge begrüßte sie mich; das schöne Wetter für ein gutes Anzeichen erklärend, machten wir uns zu der plötzlich uns lustig dünkenden Trauung auf. Wir genossen die Genugtuung, die Kirche wie zu einer glänzenden Theatervorstellung überfüllt zu sehen. Es kostete Mühe, bis zum Altar vorzudringen, wo uns die nicht minder weihevolle Versammlung unserer Trauungszeugen im theatralischen Putze empfing. Es war nicht eine wahrhaft befreundete Seele unter allen Anwesenden, denn selbst unser sonderbarer alter Freund Möller fehlte, weil sich für ihn keine schickliche Paarung gefunden hatte.

Das tief Ungemütliche, erkältend Frivole der Umgebung sowie des ganzen durch sie unwillkürlich beeinflußten Vorganges blieb nicht einen Augenblick meiner Empfindung fremd. Der Traurede des Pfarrers, von dem man mir später berichtete, daß er bei der früheren Muckerei, die Königsberg so unsicher gemacht hatte, nicht ganz unbeteiligt gewesen, hörte ich wie im Traume zu. Mir wurde nach einigen Tagen gemeldet, man trage sich in der Stadt mit dem Gerücht, daß ich den Pfarrer wegen in seiner Rede enthaltener gröblicher Beleidigung verklagt hätte: ich begriff nicht, was man meinte, und vermutete, daß ein Passus, welchen ich allerdings mit einiger Verwirrung vernommen hatte, zu jener Übertreibung Veranlassung gab. Der Prediger nämlich verwies uns für die leidvollen Zeiten, denen auch wir entgegengehen würden, auf einen Freund, den wir beide nicht kennten. Einigermaßen gespannt, hier etwa von einem heimlichen einflußreichen Protektor, der auf diese sonderbare Weise sich mir ankündigte, Näheres zu erfahren, blickte ich neugierig auf den Pfarrer: mit besonderem Akzent verkündigte dieser wie strafend, daß dieser uns unbekannte Freund – Jesus sei, worin ich keineswegs, wie man in der Stadt vermeinte, eine Beleidigung, sondern nur eine Enttäuschung fand, während ich andererseits annahm, daß derlei Ermahnungen dem Ritus bei Trauungsreden entsprächen.

Doch war im ganzen meine Zerstreutheit bei dem im tiefsten Grunde mir unbegreiflichen Akte so groß, daß, als der Pfarrer uns das geschlossene Gebetbuch hinhielt, um darauf unsere Trauringe zu sammeln, Minna mich ernstlich anstoßen mußte, um mich zur Nachfolge ihres sofort gegebenen Beispiels zu ermuntern. Mir wurde es in diesem Augenblick wie durch eine Vision klar, daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei ineinanderfließenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt.

Der unerhörte Leichtsinn, mit welchem ich die oft jäh sich aufdrängenden Vorstellungen des Doppelfrevels, den ich beging, ebenso schnell wieder zu verjagen wußte, fand einen freundlichen, für alles entschuldigenden Anhalt an der wirklich herzlichen Wärme, mit welcher ich auch das in ihrer Art und namentlich in ihrer Umgebung wahrhaft seltene und eigentümliche Mädchen blickte, das sich so rückhaltlos mit dem im Leben so ohne allen Rückhalt dastehenden jungen Mann verband. Es war Mittag 11 Uhr am 24. November 1836; ich war 23 Jahre und sechs Monate alt. Bei und nach der Heimkehr aus der Kirche gewann meine gute Laune die volle Oberhand über alle Bedenken. Minna trat sogleich in wirtschaftliche Sorge für den Empfang und die Bewirtung der Gäste ein, die Tafel war gedeckt und ein reiches Gastmahl, an welchem auch der energische Stifter unserer Ehe, Abraham Möller, trotz einigen Verdrusses über seine Ausschließung beim kirchlichen Akte teilnahm, mußte für die zum großen Leidwesen der jungen Hausfrau vorgefundene und lange unbezwinglich bleibende Kälte des Zimmers entschädigen.

Alles nahm seinen gemeinen, eindruckslos vorübergehenden Verlauf; doch blieb mir die gute frische Laune noch bis zum anderen Vormittag zu eigen, wo ich meinen ersten Ausgang nach dem Stadtgericht zu nehmen hatte, um mich gegen Verklagungen zu stellen, welche aus Magdeburg von meinen dortigen Gläubigern nach Königsberg mir nachgesandt worden waren ..."

Es war wahrlich keine Ehe aus dem Bilderbuch, die Minna und Richard Wagner führten. Stieftochter Natalie wußte sich zu erinnern: "... wenn er es recht toll und roh getrieben", lag er "vor ihr auf den Knien und weinte und bettelte um Verzeihung wie ein Kind. Doch währte der Friede nur ein paar Stunden; dann ging diese rohe, entwürdigende Behandlung von neuem los."

Hinzu kommt die berufliche Ungewißheit. Erst im April 1837 übernimmt Wagner die ihm versprochene Stelle. Im August des gleichen Jahres noch geht er allerdings nach Riga ans dortige Stadttheater. Bis Bayreuth ist es von da noch ein weiter Weg voller Höhen und Tiefen. Doch so verloren wie Wagner seine Königsberger Zeit ansah, war diese denn doch nicht. Neben der Orchesterouvertüre "Rule Britannia" nennt Dr. Erwin Kroll in seinem Buch "Musikstadt Königsberg" (Freiburg, 1966) eine Musik zu dem romantisch-historischen Schauspiel "Die letzte Heidenverschwörung in Preußen" oder "Der deutsche Ritterorden in Königsberg", die Wagner in der alten Krönungsstadt der preußischen Könige schuf. Weiter fand man Wagner als Dirigenten von Orchesterkonzerten, auch entwarf er einen Operntext nach einem Roman "Die hohe Braut" von Heinrich König und stellte nach einer Erzählung aus "Tausendundeine Nacht" den Text für eine zweiaktige komische Oper mit dem Titel "Männerlist ist größer als Frauenlist" oder "Die glückliche Bärenfamilie" zusammen. Er verfaßte weiter eine Abhandlung über "Dramatischen Gesang" und eine Einführung zu einer Aufführung von Bellinis Oper "Norma". Im Sommer 1837 begegnete Wagner auch dem Roman "Rienzi, der letzte Tribun" des englischen Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton. Wagners Oper "Rienzi" wurde schließlich zu seinem ersten großen Erfolg (1842) und begründete seine Berufung als Kapellmeister an die Dresdner Hofoper. – Am Ende seines Lebens hatte sich Wagner mit Königsberg offensichtlich ausgesöhnt, schrieb er doch noch zwei Tage vor seinem Tod in einem Brief aus Venedig anläßlich der Aufführung des Nibelungenringes in Königsberg über "das treffliche Benehmen" der Stadt.

Als Wagner mit seiner Frau Minna 1839 Riga Hals über Kopf verlassen muß – die Gläubiger sind ihm wieder einmal auf den Fersen – und sie über Pillau per Schiff nach London und Paris fliehen, ist es die stürmische Seefahrt, die derart tiefe Eindrücke hinterläßt, daß Wagner sie in seiner Oper "Der fliegende Holländer" verarbeiten kann. "So ist ein ostpreußischer Fischertanz für den Matrosentanz in dieser Oper Vorbild geworden" (Kroll).

Friedrich Nietzsche hat einmal über Wagner geschrieben, "daß er allem in der Natur, was bis jetzt nicht reden wollte, eine Sprache gegeben hat". Vielleicht liegt darin auch die Faszination, die alljährlich Tausende Musikbegeisterter nach Bayreuth zieht.

Richard Wagner und Minna Planer: In Königsberg den Bund fürs Leben geschlossen. Königsberg um 1840: Blick in den Zuschauerraum des Opernhauses