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11.08.01 Paris – an der Seite der USA / Spekulationen über eine Wiedergeburt der Ostpolitik

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. August 2001


Frankreich:
Paris – an der Seite der USA
Spekulationen über eine Wiedergeburt der Ostpolitik
von Pierre Campguilhem

Ende Juli war der französische Staatspräsident Jacques Chirac auf Reise in den drei baltischen Staaten. Kurz zuvor besuchte der Regierungschef Lionel Jospin Rumänien. Und obgleich die Türkei seit langem Mitglied der Nato ist, muß man in diesem Zusammenhang wohl auch einen kurzen Besuch in diesem Land durch höhere französische Diplomaten unter der Leitung des französischen Außenministers Hubert Védrine erwähnen. Insofern kann man durchaus von einer Wiedergeburt der Ostpolitik Frankreichs sprechen, und zwar vor dem für September 2002 in Prag geplanten Nato-Gipfeltreffen, bei dem über die nächste Erweiterung der atlantischen Allianz beraten wird.

Sicherlich bleibt man im Quai d’Orsay zurückhaltender und verwendet allenfalls den Ausdruck eines "engbegrenzten Fortsetzens" der französischen Ostpolitik. Die Kontakte mit führenden Politikern der an Rußland angrenzenden Staaten dauerten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion an.

Das hindert Altgaullisten jedoch nicht, davon zu sprechen, daß Chirac bei seinen Bemühungen, die Annäherung zwischen den Reformländern und Frankreich zu fördern, als "der kleine Telegrammbote" der Vereinigten Staaten fungierte. Sie äußern den Wunsch, Paris solle im engen Kontakt mit Moskau bleiben, um eine breitere Handlungsfähigkeit seiner Diplomatie zu erlangen. Auf jeden Fall: Sollte es in der Außenpolitik Frankreichs nach der Präsidentschaftswahl im Mai 2002 nicht einen totalen Umsturz geben, hat es den Anschein, daß Paris im selben Boot wie Washington segeln will und nichts unternehmen wird, was die Interessen der USA in Europa in Frage stellen würde.

Die französische Presse, allen voran die beiden führenden Tageszeitungen, der konservative "Le Figaro" und die liberale "Monde", berichtete mit großer Vorsicht über die erwähnten Reisen der französischen Politiker. Nur der staatliche Auslandssender "Radio France International", der als regierungsfreundlich und gegenüber Chirac kritisch gilt, äußerte Überraschung darüber, daß bei seinem Aufenthalt in den baltischen Staaten der Staatschef die Nato-Mitgliedschaft Litauens, Lettlands und Estlands unverblümt befürwortet hat. Obschon Chirac erklärte, die Frage würde von den USA in letzter Instanz entschieden, war in Paris von einer gut unterrichteten Quelle zu hören, die französischen Behörden stünden einer Nato-Erweiterung um weitere Reformländer über Polen, Ungarn und der Tschechei hinaus wohlwollend gegenüber. Chirac erklärte im besonderen, ein russisches Veto komme nicht in Frage hinsichtlich eines Nato-Beitritts der baltischen Staaten, die das legitime Recht hätten, ihre Sicherheitsbündnisse selbst auszuwählen. Zu notieren ist, daß von der russischen Botschaft an der Seine keine Stellungnahme zu diesen Äußerungen Chiracs zu erhalten war.

Während seiner Reise in die baltischen Staaten wurde Jacques Chirac von Europaminister Pierre Moscovici und einer Abordnung von französischen Geschäftsleuten begleitet. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Paris und dem Baltikum bewegen sich in der Tat nahe Null. Von der EU-Mitgliedschaft dieser Länder erwartet man in Frankreich eine Ankurbelung des Handels. Vorgesehen ist, daß Litauen, dessen Wirtschaft am erfolgreichsten ist, Ende 2002 beitrittsfähig sein wird. Nach Aussagen Chiracs ist es wünschenswert, daß ein Beitrittskandidat ein Bruttoinlandsprodukt von 3000 US-Dollar pro Kopf erreicht, bevor sein EU-Beitritt tatsächlich in Frage komme. Wie unter schwedischem Vorsitz in Göteborg beschlossen, wolle Frankreich weiter an den EU-Beitrittsverhandlungen je nach den lokalen Gegebenheiten teilnehmen und keinesfalls von der Möglichkeit eines sogenannten "Big-Bangs" hören.

Abgesehen von einer offenkundigen Unterstützung eines Beitritts der baltischen Staaten zum westlichen Verteidigungsbündnis scheint für Chirac der Hauptzweck seiner Reise gewesen zu sein, sich im eigenen Land noch einmal als der eigentliche Verantwortliche der französischen Außenpolitik zu profilieren – bis zur Wahl sind es nur noch neun Monate.