29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.08.01 Gen-Debatte: Priorität hat der Mensch

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. August 2001


Gen-Debatte:
Priorität hat der Mensch
Ausgerechnet die USA, das Land des »Big Business«, haben das Klonen von menschlichen Zellen verboten - und bringen den deutschen Bundeskanzler in arge Erklärungsnot
von Jürgen Liminski

Die Führungsmacht der westlichen Welt ist Amerika, der Motor der Globalisierung sind die USA. Eine Binsenweisheit. Aber sie wird nur zur Kenntnis genommen, wenn es paßt, etwa bei profitablen Wirtschaftsinteressen. Wenn es um Lebensschutz geht oder gar um Abtreibung, dann spielen die Europäer gern die drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

Auch die Entscheidung des US-Kongresses, das reproduktive und therapeutische Klonen zu verbieten und unter Strafe zu stellen, hat vielen von ihnen jetzt die Sprache verschlagen. Dabei ist das eine Entscheidung, die der Globalisierung endlich mal einen positiven Akzent setzt. Aber so wollen Schröder und andere Sozialdemokraten in Europa die globale Welt offenbar nicht sehen.

Die Haltung von Leuten wie Schröder und anderen Opportunisten - auch aus der Union - ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich.

Es gibt keinen Konsens über eine Definition des Begriffs Globalisierung. Das hat den Privatdozenten an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, Rolf Roloff, veranlaßt, ein ebenso umfangreiches wie bemerkenswertes Opus unter dem Titel „Europa, Amerika und Asien zwischen Globalisierung und Regionalisierung - Das interregionale Konzert und die ökonomische Dimension internationaler Politik“ zu verfassen. In diesem jüngsten Standardwerk zur weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Verflechtung geht es um die „Tripolarität“, die Dreiecksbeziehungen der Wirtschaftsräume Nordamerika, Westeuropa, Südostasien-Pazifik. Sie bestimmen den Welthandel. Sie stehen miteinander im Wettbewerb. Für Roloff ist Globalisierung daher „nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Verdichtungsprozeß innerhalb der industrialisierten und sich industrialisierenden Welt. Sie ist kein Prozeß der Entgrenzung und schon gar nicht der Denationalisierung. Die Globalisierung ist kein Prozeß der Vereinheitlichung, sondern im Gegenteil ein Prozeß der Differenzierung - darin liegen ihre Chancen, aber auch ihre Gefahren. Die Globalisierung als politisches Phänomen ist ein Prozeß der Umstrukturierung politischen Handelns. (...) Der Begriff Globalisierung ist mißverständlich, denn er unterstellt, daß die Verdichtung und Verflechtung der ökonomischen, politischen und sozialen Beziehungen universell ist. Das Gegenteil trifft zu. Auch wenn durch das Ende des Ost-West-Konflikts die ehemaligen Staatshandelsländer in die Weltwirtschaft integriert wurden. Die Globalisierung beschränkt sich auf die industrialisierte und die sich industrialisierende Welt. Sie erfaßt die in der Weltwirtschaft integrierten Staaten in unterschiedlicher Dichte.“

Roloffs Definition dürfte der Meinung der meisten Politiker am nächsten kommen. Aber ähnlich wie in dem Begriff „Shareholder-Value“ wird der Mensch als Subjekt der Wirtschaft schlicht vergessen. Der Mensch bestimmt den Wettbewerb, er kann es als Wolf, als Lupus homini, tun oder auch als ein dem Gemeinwohl und der Natur des Menschen verpflichteter Akteur. So gesehen hat der Wettbewerb der industrialisierten Welt in einem wesentlichen Bereich nun einen starken ethischen Akzent bekommen. Die Führungsmacht hat mit ihm auch gleichzeitig den gemeinsamen Nenner der sich globalisierenden Welt in den Blick genommen, eben den Menschen.

Der Mensch war von den Wirtschaftskapitänen und Politikern aus dem Auge verloren worden, Präsident Bush hat ihn wieder auf die Bühne zurückgeholt. Das Treffen mit dem Papst mag ihm dabei geholfen haben, vielleicht hat Johannes Paul II. auch die Entscheidung bei der Abwägung des Präsidenten getroffen. Immerhin stand Bush seit Monaten unter erheblichem Druck der Pharma- und Genomlobby. Die Argumente der Lebensschutzgruppen kannte er. Er hat sich früh als Gegner der Abtreibung bekannt und auch schon entsprechende Entscheidungen gefällt. Bei der Klon-Debatte mit den Möglichkeiten embryonaler Stammzellenforschung allerdings ging es auch um ernst zu nehmende Gesundheitsfragen, aber letztlich doch vor allem um das Bild vom Menschen. Sie ist zuerst eine ethische und kulturelle Debatte und erst in zweiter Linie eine wissenschaftliche Frage.

Der Embryo entwickelt sich als Mensch und nicht zum Menschen. In diesem simplen Satz steckt die ganze bioethische Debatte. Es ist eine Frage der Menschenanschauung, wie der Kölner Kardinal Meisner vor Monaten schrieb und die der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft, Wolfgang Frühwald, jüngst als Kulturkampf bezeichnete. In der Tat, die Epoche der Weltanschauungen ist vorbei. Es geht um den Menschen als solchen. Die führende Industrie- und Wirtschaftsmacht Amerika hat sich nun für eine Lebensphilosophie entschieden, die den Menschen nicht als selbsternannten Schöpfer, sondern als Geschöpf betrachtet, mit einer vorgegebenen Natur als allgemeine Matrix und mit einer unwiederholbaren Identität für den einzelnen, die mehr ist als die Summe seiner Gene. Ein Geschöpf mit Fehlern vielleicht im Einzelfall, aber dafür unendlich menschlich.

Das ist ein Signal von noch nicht abzuschätzender Bedeutung für die globalisierte Welt und die Menschheit. Gewiß wird es hier und da Frankenstein-Wissenschaftler geben, die sich über das Verbot des Menschenklonens hinwegsetzen und ihre perfekten Homunculi schaffen. Aber sie gehen Illusionen nach. Zur Identität des einzelnen gehört auch seine Geschichte, sein persönliches Beziehungsumfeld, seine Bildung, seine Erziehung - alles unklonbare Bereiche, in denen wir Freiheit und Verantwortung anzuwenden haben, für uns und andere. Biologische Elemente sind klonbar, das Leben nicht.

Der Publizist Peter Hahne hat das neulich auf die Formel gebracht: Der geklonte Einstein kann ein Hitler werden. Das wollen Bush und der Kongreß verhindern. Nicht verhindern wollen sie die Forschung zum Zweck der Heilung. Dafür gibt es genügend Raum und Recht. Amerikanische Forscher haben erst vor kurzem herausgefunden, daß die Medizin in naher Zukunft ganz auf embryonale Stammzellen ver- zichten kann, um Organe und Gewebe zu entwickeln. Man braucht das reproduktive und therapeutische Klonen demnächst nicht, es gibt Alternativen, und das mag den Politikern die Entscheidung erleichtert haben. Jetzt sind die Europäer am Zug.

Sie könnten es sich leicht machen und der Menschlichkeit folgen. Sie könnten aber in der Entscheidung von Washington, die im Senat bestätigt werden dürfte, eine Chance sehen, um das schnelle Geld zu machen. Solange die Ergebnisse der Stammzellenforschung noch nicht serienreif sind, gibt es eine zeitliche Lücke, in die die Anhänger eines „szientisch-sozialdarwinistischen Menschenbilds“ (W. Frühwald) wie etwa der Kanzler oder auch etliche Mitglieder seines Ethikrates gern hineinspringen würden. Ihnen ist es vermutlich egal, ob Embryonen im Zellstadium „verbraucht“, sprich getötet werden oder nicht. Für sie zählt der Markt, der gentechnische Standort, letztlich der Profit.

Die Entscheidung im Kongreß hat jedoch auch eine Tiefendimension, die es den Europäern nicht leicht macht, sich einfach darüber hinwegzusetzen. Sie berührt die berühmte transatlantische Wertegemeinschaft. Um sie war es in der Ära Clinton ruhig geworden, und unter Clinton wäre die Klon-Entscheidung wahrscheinlich auch anders ausgefallen. Nun muß Schröder mit Bush zurecht kommen. Sollten er und andere Europäer in dieser Frage dem Ruf des Geldes und nicht dem der Menschlichkeit folgen, den übrigens auch Bundespräsident Rau in seiner Berliner Rede klar und präzise formuliert und den Schröder einfach überhört hatte, wird die ohnehin schon wachsende Entfremdung zwischen alter und neuer Welt stärker, der Graben tiefer. Langfristig ist das sicher nicht rentabel. Die Geschichte hat immer gezeigt, daß die beste Investition die in den Menschen ist, und zwar in einen Menschen der Freiheit und Verantwortung. Dazu gehören auch Tabus und Gebote. Sie geben der Gesellschaft ein sittliches Gefüge. Ohne sie werden die Wissenschaftler zu „spezialisierten Barbaren“, wie Ortega y Gasset schon vor Jahrzehnten die Gesundheitstechniker der neuen Zeit nannte. Das will Bushs Amerika verhindern. Europa sollte dem guten Beispiel folgen.