19.04.2024

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08.09.01 Die ostpreußische Familie extra

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. September 2001


Die ostpreußische Familie extra
Leser helfen Lesern
Ruth Geede

Lewe Landslied und Freunde unserer Ostpreußischen Familie,

es ist wieder soweit: Eine „Groß-Familie“ muß her, um die Suchwünsche, die nicht in die Wochenspalte passen, wenigstens mit den wichtigsten Angaben zu bringen. Die muß ich manchmal aus vier oder fünf Briefseiten heraussuchen, und wenn dann die Handschrift nicht ganz leserlich ist und die Daten nicht stimmen können, gibt es schon Probleme. Noch schwieriger, wenn die Briefe in einer fremden Sprache geschrieben sind wie der von Wasili Sinitzin aus Rostow am Don.

Der Russe der sich auch Vasilij Simyzin schreibt, sucht nach Spuren seines Urgroßonkels Wilhelm Gutmann aus Kaunas/Litauen oder von dessen Nachkommen. Wahrscheinlich wurde Wilhelm Gutmann 1863 im Memelgebiet geboren. Alle Angaben sind sehr ungenau oder sogar widersprüchlich. Das ist verständlich, wenn man das Schicksal dieser Familie durchleuchtet. Die Großmutter des Schreibers, Mathilde Jochotowna Gutmann, geboren am 25. Mai 1898 wahrscheinlich in Lauukaitis an der damaligen deutsch-litauischen Grenze, wurde schon im Ersten Weltkrieg zusammen mit ihren Schwestern Bertha und Anna nach Rußland verschleppt. Danach kehrten sie in ihren Heimatort zurück. Mathilde heiratete und wohnte mit ihrem Mann Julian bei dem Onkel Wilhelm in Kaunas. Dort wurde 1938 das Ehepaar mit seinen Kindern Woldemar und Stanislaus vom NKWD wegen vermeintlicher Spionage für Deutschland verhaftet. Mathilde wurde zehn Monate später freigelassen, ihr Mann nach eineinhalb Jahren, die Kinder wurden wiedergefunden. Die Familie blieb in Rußland, und Mathilde ließ ihre Dokumente ändern, um als Russin zu gelten. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete sie als Krankenschwester in einem deutschen Hospital in Rostow. Nach Kriegsende zog die Familie in das inzwischen sowjetische Litauen, um - wie der Enkel schreibt - „näher an ihrer Heimat Ostpreußen zu sein“. Dort hörten sie von der in Kaunas verbliebenen Bertha († 1989), daß ihr Onkel Wilhelm Gutmann Ende 1944 nach Ostpreußen gegangen sei.

Mathilde verstarb 1985 in Rostow, ihr Enkel entnahm die wichtigsten Familiendaten aus den Akten des KGB bzw. seiner Nachfolgeorganisation. Er erhielt eine Bescheinigung über die Rehabilitation seiner Großeltern. Nun, da Wasili über die Deutsche Welle von der Existenz der Landsmannschaft Ostpreußen erfuhr, hofft er, durch uns etwas über seinen Großonkel und dessen Nachkommen zu erfahren. Und er grüßt diese im voraus im Namen aller in Rußland verbliebenen Verwandten. Ich hoffe nur, daß ich alles in die richtige Reihe gebracht habe und noch mehr, daß sich tatsächlich Verwandte melden (Wasili Sinitzin, ul. 40-letija pobedy, d.63/8 kw.292, Rostow-na-Donu, Rußland).

Litauen war auch das Land, in dem Dora Flack die Hauptzeit ihres Lebens verbrachte, verbringen mußte - nun lebt sie seit zwei Jahren in Deutschland. Was ihr fehlt, sind vertraute Menschen aus ihrer Kindheit in Königsberg, Verwandte, Freunde der Eltern Willi und Gertrud Flack, Nachbarn von einst aus der Schrötterstraße Nr. 166. Dora Flack, *19. Februar 1935, erlebte das grausame Schicksal der nach dem Russeneinfall in Königsberg verbliebenen Kinder: Die Mutter verhungerte, auch die Großeltern Fritz und Luise Flack aus der Friesenstraße 25. Der Vater war 1944 in Lettland gefallen. Die Zehnjährige floh zusammen mit ihrer Kusine Gisela Damrau nach Litauen. Sie landeten in Kraisiadorys, bettelten barfuß und fast nackt, denn die Russen hatten ihnen Kleider und Schuhe weggenommen. Die 20jährige Gisela wurde vergewaltigt und starb an Syphilis.

Lange Zeit irrte Dora allein umher, bis sie eine Familie in Lankakiemis fand, bei der sie bleiben konnte. Es waren gute Menschen, aber sie waren arm. Dora hütete die Küche und half im Haushalt, bis sie 1960 Arbeit im Dachziegelwerk in Palemonas fand. Von 1964 an war sie als Geschirrwäscherin und Köchin in einer Speisehalle tätig - bis zur Rente! 1969 hatte sie einen Litauer geheiratet, der 1984 verstarb. Nun war sie wieder allein und ist es auch heute noch, da sie - wieder unter ihrem Mädchennamen - in Schwerin lebt. Und deshalb hofft sie auf Menschen aus der Heimat. Vielleicht erinnern sich ja auch ehemalige Schulgefährten an die kleine Dora Flack aus der Schrötterstraße? Ein Foto des Blondschopfes mit der großen Schultüte besitzt sie noch, aber welche Schule war es? Jede Zuschrift hilft ihr über das Gefühl der Einsamkeit hinweg (Dora Flack, Pankower Straße 34, 19063 Schwerin).

Es gibt immer wieder heikle Fragen, die ich so schonend wie möglich weitergeben muß, denn es handelt sich zumeist um die Suche nach dem leiblichen Vater der Betreffenden. Der oder die Suchende haben ihn nie kennengelernt, oft hat die Mutter den Namen bewußt verschwiegen, oder der Vater wollte oder konnte sich nicht mehr melden. So tragen manche Menschen ein Leben lang die Frage mit sich herum: Wie war eigentlich mein leiblicher Vater, was ist aus ihm geworden? So ergeht es auch unserm Landsmann Gerhard Kahmke, der am 17. März 1936 als erstes Kind der damals ledigen Hildegard Plonke in Rogenau (Rogallen) geboren wurde und auf den Namen Kurt Werner Plonke getauft wurde. Die Mutter heiratete später den Witwer Emil Kahmke. Der Junge wuchs bei seinen Großeltern August und Emma Plonke auf dem Rittergut Rogenau auf, wo der Großvater als Schweizer tätig war. Auf der Flucht wurde der Neunjährige von den Großeltern getrennt, kam in Kinderheime und blieb dann in Sachsen. Durch die unglückliche Grenze fand er erst 1959 seine Mutter und Geschwister, die in Lüneburg lebten. Da er bei der Polizei war, bekam er aufgrund der „Westverwandtschaft“ Schwierigkeiten und wurde entlassen. Von seiner Mutter hat er wahrscheinlich nichts über seinen vermutlichen Vater erfahren, lediglich seine Tanten erwähnten in diesem Zusammenhang den Namen Oskar Steeg, der auf einem benachbarten Rittergut von Rogenau als Oberinspektor tätig gewesen sein soll. Lang, lang ist es her ... Ob sich da noch heute Hinweise ergeben könnten, wo, wann und wie Oskar Steeg lebte, ist fraglich. Gerhard Kahmke wäre dankbar für jeden Hinweis. (Gerhard Kahmke, Bergstraße 31 in 08396 Dürrenuhlsdorf.)

Ein vermutlich uneheliches Kind spielt auch in der Suchfrage von Helga Rubisch eine Rolle, aber hier liegt der Fall umgekehrt, was selten vorkommt: Das Kind wird gesucht, nicht der Vater. Und es ist auch fraglich, ob es dieses Kind überhaupt gegeben hat. In erster Linie sucht Helga Rubisch aus Winsen nach älteren Landsleuten, die ihre Schwiegereltern August und Frieda Rubisch gekannt haben. Will man den Lebensweg des jungen August Rubisch verfolgen, muß man schon etliche Orte auf der ostpreußischen Landkarte anstreichen. Geboren am 2. März 1905 in Stadthausen, Kreis Wehlau - Aufenthalt in Königsberg bis 1919 - Fleischerlehre in Großheidekrug, Kreis Fischhausen - 1922 nach bestandener Gesellenprüfung wieder nach Königsberg zurück. Dann folgten lange Wanderjahre, bis August Rubisch schließlich als Agrargehilfe im Kreis Preußisch Eylau seßhaft wurde. 1934 heiratete er in Abschwangen die am 4. Februar 1914 in Eisenbarth, Kreis Bartenstein, geborene Frieda Olga Sambill. Das Paar lebte in Uderwangen, Ortsteil Unruh, ab 1938 bis zur Flucht in Frisching. Erinnert sich noch jemand an die beiden Menschen? Wer kann Auskunft über weitere Familienangehörige geben? Während seiner Wanderjahre soll August Rubisch ein uneheliches Kind gezeugt haben, dessen Name und Lebensweg aber unbekannt sind. Wer weiß davon? (Helga Rubisch, An der Örtze 9 in 29308 Winsen.)

Und nun eine Suche, die bisher stets in das Ungewisse geführt hat, und es wäre wirklich ein Wunder, sollte sich über unsere Ostpreußische Familie ein Wiederfinden ergeben. Möglich wäre es schon, denn die Gesuchten müssen in Deutschland leben. Es handelt sich um die Geschwister Ursula und Dietrich Fligge, die seit Spätsommer 1945 verschollen sind. Die Familie der Mutter Anna Fligge, geb. Ehlert, stammt aus Wehrwilten, Kreis Bartenstein. Vater Rudolf Fligge ist gefallen. Anna Fligge kam mit ihren Kindern auf der Flucht bis Stolp, von dort aus wurde sie im März 1945 nach Sibirien verschleppt. Die damals fünfjährige Ursula (Uschi) und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Dietrich (Dietel) wurden etwa fünf Monate später aus Stolp mit einem Sonderzug weggebracht - wohin? Selbst über das DRK konnte die Schwester ihrer Mutter, Frieda Jäger, nichts erfahren. Nun heißt es: Ostpreußische Familie hilf! Zwar werden die Gesuchten wohl kaum Das Ostpreußenblatt lesen, aber vielleicht sind damals auch andere Landsleute mit dem Sonderzug aus Stolp weggebracht worden, oder sie haben mit den Kindern in irgendwelchen Lagern gelebt. Schwierig wird es mit den Namen sein, denn die Kinder wurden wahrscheinlich adoptiert. Aber unsere Familie hat schon solch einen großartigen Spürsinn entwickelt, daß ich auch in diesem Falle auf brauchbare Hinweise hoffe. (Zuschriften an Frieda und Erich Jäger, Riesenbecker Postweg 43 in 49477 Ibbenbühren 1.)

Sieben Jahre war die aus Königsberg stammende Regina Brandl, als sie mit ihrer Mutter und einem jüngeren Bruder verschleppt wurde. Damals hieß sie Regina Reimann und lebte seit 1940 im samländischen Sandlauken. Dort war ihr liebster Spielgefährte der Nachbarsjunge Hansi Menzel. Zusammen gingen sie 1945 auf die Flucht, aber während Menzels mit einem Zug weiterkamen, wurde Frau Reimann mit ihren Kindern von den Russen gefaßt und nach Labiau gebracht. Da setzen die weiteren Erinnerungen von Regina ein: „In den Jahren bis 1948, als wir nach Deutschland kamen, hatte ich eine Freundin, Annemarie Juknies. Sie wohnte mit ihrer Mutter im gleichen Haus wie wir, und wenn unsere Mütter abends mit Schlitten und Axt auf der zugefrorenen Deime unterwegs waren, um verbotenerweise Holz zu besorgen, krochen wir Mädchen eng zusammen und Annemarie erzählte mir Spukgeschichten, die ich heute noch im Gedächtnis habe. Ihre Großeltern waren Fischer in Labagienen. Nach der Vertreibung habe ich weder von Hansi noch von Annemarie etwas gehört.“ Vielleicht melden sie sich ja jetzt? Für Frau Brandl wäre es eine große Freude, denn „im Alter wird die Erinnerung an die Kindheit immer deutlicher und die Sehnsucht nach der Heimat wächst“. (Regina Brandl, Himmelreichweg 49 in 85221 Dachau.)

Und nun ein ganz anderer Wunsch: In den 20er Jahren spielte in Ostpreußen die Balalaika-Kapelle „Tschaika“, zu der sich fünf junge Musiker zusammengefunden hatten. Zwei von ihnen waren die Brüder Fritz und Georg Hilarius Milbitz. Der Sohn des Letzteren hat sich nun an uns gewandt, weil er mehr über die Kapelle erfahren möchte. Rudolf Milbitz, der noch einige Fotos von der „Tschaika“ - auf deutsch „Möwe“ - besitzt, schreibt: „Wir wissen aus Papas Erzählungen, daß die Gruppe in den Studios des ostpreußischen Rundfunks musizierte und im Sommer in bekannten ostpreußischen Ausflugsorten, vor allem in Masuren, spielte. Ich erinnere mich noch genau an diese wunderschönen Balalaika-Instrumente in meinem Elternhaus in Seerappen. Onkel Fritz verstarb 1954 nach Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft, mein Vater 92jährig vor fünf Jahren. Vielleicht kann sich noch jemand an diese Gruppe erinnern, womöglich gibt es auch noch Vermerke in alten Zeitschriften. Wir würden uns riesig über jede Nachricht freuen. Wir alle lieben Volksmusik, vor allem die deutsche, auch die klassische Musik. Unsere drei Kinder spielen Instrumente, und auch in unseren Enkeln lebt diese musikalische Begabung fort.“ Schön, dies aus dem fernen Amerika zu hören. (Rudolf Milbitz, 2101 FAWKES LN, Roanoke, TX 76262, USA, Tel. [817] 431-1417.)

Ich hoffe wieder auf so rege Zuschriften, wie sie in den letzten Wochen kamen. Doch darüber eine neue Extra-Familie.

Eure

Ruth Geede