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29.09.01 R. G. Kerschhofer über den drohenden Sinnverlust der Strafjustiz

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. September 2001


Gedanken zur Zeit:
Über Terror und Milieu-Theorie
R. G. Kerschhofer über den drohenden Sinnverlust der Strafjustiz

Zu den Terroranschlägen vom 11. September wurde viel Kluges und auch weniger Kluges gesagt. Vereinzelt wagte man sich sogar an Vergleiche (andere Nationalitäten, andere Zahlen, andere Orte), und mancher mag sich insgeheim gefragt haben, wer der größere Feigling sei: Ein Selbstmordattentäter - oder einer, der in unerreichbarer Entfernung rote Knöpfe drückt. Doch Vergleichen ist eine riskante Sache: Wer vergleicht, was andere als unvergleichbar festgeschrieben haben, gerät schnell in den Verdacht der Verharmlosung oder gar in den der Mittäterschaft! Angebracht und erhellend ist jedenfalls ein anderer Vergleich, nämlich zwischen der „gewöhnlichen“, der innerstaatlichen Justiz und jener mit grenzüberschreitenden Sanktionen oder Strafexpeditionen - egal, ob diese durch „Mandate“ verbrämt sind oder nicht.

Über historische oder gar metaphysische Ursprünge der Strafjustiz soll hier nicht spekuliert werden. Doch was in heutigen Kontroversen auffällt, ist der Gegensatz zwischen dem Prinzip von „Recht und Gesetz“ und der marxistischen „Milieu-Theorie“, die den Täter als Opfer der Gesellschaft zu entschuldigen sucht. Beide Extreme tendieren dazu, den Sinn der Strafjustiz, nämlich den Interessenschutz von (potentiellen) Opfern, zu vernachlässigen, sei es aus Prinzipienreiterei („fiat iustitia et pereat mundus“), sei es zwecks Durchsetzung politischer Ziele. Daß es noch nie eine Rechtsordnung ohne Rechtsbrecher gab, daß also selbst die strengsten Strafen „nichts nützen“, verleitet manche zu der Behauptung, daß die Strafjustiz bloße „Rachejustiz“ sei. Hierbei scheint man aber den alttestamentarischen Beelzebub mit mißverstandenem neutestamentarischem Gedankengut austreiben zu wollen. Denn realistisches Ziel kann nur die Begrenzung des Verbrechens sein. Oder präziser: die Minimierung der Gesamtkosten von Verbrechen und Rechtspflege. Glaubhafte Androhung von Strafe ist ein probates Mittel dazu. Vorübergehende oder dauerhafte Ausschaltung des Verbrechers ist ein anderes. Auch Resozialisierung kann ein solches sein. Straflosstellung ist hingegen sicher keines! Die Androhung von Strafe wiederum ist nur dann glaubhaft, wenn Gleichartiges tatsächlich gleichartig behandelt wird. „Gerechtigkeit“ ist somit nicht bloß ein Ideal, sondern ein unabdingbares Mittel zum Zweck. Und genau hier liegen die ärgsten Schwachstellen: Ist es nicht bezeichnend für linke Täterschützer, daß sie rechten Delinquenten niemals zubilligen, Opfer einer verfehlten Wirtschafts- und Gesellschaftspolititk zu sein? Und daß „rechte“ - aber nur solche - Meinungsdelikte selbst dann gnadenlos geahndet werden, wenn niemand zu Schaden kommt? Ähnlich auch international: Der Staatsterror von Mächtigen bleibt sanktionslos, während man den individuellen Terror von jenen, denen die Staatlichkeit verweigert bleibt, meist noch viel eifriger verfolgt als die organisierte Kriminalität. Unausweichliche Folge ist weiterer Terror.

Die Methoden von Strafverfolgung und Bestrafung haben sich nicht an den „Menschenrechten“ von Tätern, sondern an den Interessen von tatsächlichen oder potentiellen Opfern zu orientieren, also letztlich an denen der Gesellschaft. Schon allein aus pragmatischen Gründen muß daher der Terrorist verfolgt werden, auch wenn er in eigener Sicht oder vielleicht sogar in unserer Sicht aus edlen Motiven handelt (Stichwort „Freiheitskampf“).

Trotzdem hat auch die „Milieu-Theorie“ etwas für sich, es kommt nur auf die Schlüsse an: Das Kausalitätsprinzip entschuldigt nicht den Täter, doch kann es eine Mitschuld Dritter begründen. Natürlich gibt es unschuldige Opfer. Doch manchmal ist die Straftat vom Opfer provoziert. Und darüber hinaus gibt es „generelle“ Ursachen, eben das „Milieu“. Wer nichts zur Beseitigung von Ursachen beiträgt, ist mitschuldig, und umso mehr gilt das für alle, die vorsätzlich Ursachen schaffen! Haßpropaganda sollte hingegen nicht überschätzt werden, sie wirkt nur dort, wo sie an reale Mißstände anknüpfen kann. Mit Polizei- und Militäraktionen lassen sich Symptome bekämpfen, die jederzeit „nachwachsen“ können. Aber gegen die Ursachen ist politisches Wollen und Handeln erforderlich!

Womit wir beim aktuellen Anlaß sind: Was auch immer man vom „Kampf der Kulturen“ halten mag, es gibt im Nahen Osten ein über alle Kulturgrenzen hinweg schreiendes Unrecht. Und selbst wenn man die Vertreibung der Palästinenser sowie die wiederholte militärische Demütigung der Araber als „Geschichte“ abtut, bleibt die Tatsache, daß schreiendes Unrecht dort tagtäglich von neuem angerichtet wird! Tatsache bleibt auch, daß die Spirale der Vergeltung einen Ursprung hat, an dem die Araber garantiert unschuldig sind: Wie sollen sie verstehen, daß das schreiende Unrecht, das einst Juden zugefügt wurde, zum Freibrief für Unrecht gegen die Araber werden durfte? Und wieso müssen sich eigentlich Muslime religiösen Fanatismus vorwerfen lassen, wenn sich doch auch andere ständig auf Gott berufen?

Die Amerikaner wiederum, einschließlich ihrer nominellen Führung heute das bestmanipulierte Volk der Welt, wollen nicht begreifen, daß sie nur deswegen zur Zielscheibe von Terrorakten werden, weil sie die wahren Ursachen des Konflikts unter den Teppich kehren. - Doch nicht der Stern macht den Sheriff aus, sondern nur die konsequente Unparteilichkeit!