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29.09.01 Martin Götze über »Ironie und absolute Darstellung«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. September 2001


»... was denn die Poesie sey«
Martin Götze über »Ironie und absolute Darstellung«

Was vermag Dichtung? Welchen geheimnisvollen Gesetzen unterliegt ihre Magie? Mit Blick auf die Philosophie und Poetik der Frühromantik hat der Germanist Martin Götze sich um Antworten bemüht und dazu mit einer literaturwissenschaftlichen Studie über „Ironie und absolute Darstellung“ ein spAannendes Forschungsfeld betreten.

Entstanden ist eine glänzend inszenierte Zusammenschau, die frühromantische Poetik eingebettet in die Philosophie um 1800 betrachtet. Den eigentlichen Anstoß für diese im Grenzbereich zwischen Literaturwissenschaft und Philosophie anzusiedelnde Arbeit gab ihm Novalis: Die Poesie sei der Held der Philosophie und sie wiederum ihre Theorie, fabulierte der Schöpfer der Hymnen an die Nacht. Denn: „(...) Sie zeigt uns was die Poesie sey, daß sie eins und alles sey.“ So eingestimmt, gelang es Götze die Poetik nicht nur Novalis’, sondern auch Friedrich Schlegels im Sinne einer philosophischen Theorie der Poesie auszudeuten: Das sprachliche Kunstwerk verstünden die beiden Romantiker demnach als eine Form der Erklärung, das „Unbedingte“ und „Unendliche“ dabei vergegenwärtigend. Die Philosophie des „deutschen Idealismus“, vor allem die Transzendentalphilosophie Immanuel Kants und Johann Gottlieb Fichtes, standen indes nur Pate, gingen die beiden Galionsfiguren frühromantischen Poetisierens und Denkens doch bald ihre eigenen Wege, indem sie die Ironie, als Spielart sich des Weltganzen zu bemächtigen, ins Feld rückten. Für Götze folgt dies einer gewissen Logik: Wo die kritische Philosophie das Scheitern des Wissens am Unbedingten aufzeige, trete zwangsläufig die Ironie auf den Plan - und damit die Dialektik. Denn, wie Friedrich Schlegel bemerkte, „ist die Philosophie mehr ein Suchen der vollendeten Wissenschaft des Unendlichen, als diese Wissenschaft selbst, (...).“ So wird ironische Darstellung zur Darstellung im Gegenteil des Gemeinten, des Unendlichen im Medium des Endlichen. Der tragende Gedanke der Frühromantik kann sein Vehikel aber erst in der Poetik finden, als alle Lebensbereiche durchdringende Instanz. Sie beschreibt den „Gipfel des ironischen Philosophierens“, wie der Literaturwissenschaftler deshalb mit seiner Leitthese betont, samt und sonders ihres Unvermögens allumfassend darzustellen. Einzig in der Poetik kann „Vereinigung des Unvereinbaren“, wie sie schon Fichte für die höchste Darstellung des Unbegreiflichen gefordert hatte, vollzogen werden. Um seine Kernthese zu untermauern, verweist Götze abermals auf Novalis. Das magische Prinzip des Märchens etwa, die Ungeistigkeit der Natur aufzuheben, faßt der Dichter auch unter den Begriff des „Zufalls“ und meint damit das unvorhersehbar Schöpferische der Natur, der Einbruch des Un- und Übersinnlichen in das vordergründig nur Sinnliche. Indem der Zufall dem Mechanistischen widerstrebt, bedeutet sein Eintreten etwas Wundersames und galt Novalis als „Berührung eines höhern Wesens“. So kam er zu dem Schluß: „Der Poet braucht die Dinge und Worte wie Tasten und die ganze Poesie beruht auf thätiger Ideenassociation - auf selbstthätiger, absichtlicher, idealistischer Zufallsproduktion.“ Neben der breitangelegten spannungsreichen Materialschau frühromantischer Gedankenspiele und Deutungsmuster präsentiert sich der Autor mit seiner Arbeit obendrein als Anwalt der vielerorts mißverstandenen Fichteschen Philosophie, in dem er sie von dem Verdacht enthebt, das „Ich“ als das zuvorderst gegebene zu sehen und alles andere als ledigliche Schöpfung seines Bewußtseins zu werten. Auf diesem Wege erscheinen natürlich auch die von Fichte beeinflußten Romantiker Novalis und Schlegel in einem neuen, souveräneren Licht.

Um Wert und Theorie der Poesie zu lehren, wartet der Autor überdies mit einer gleichsam profunden als auch spannenden Übersicht zum philosophischen und ästhetischen Diskurs der Moderne auf, angefangen bei Kant bis hin zu Schiller. Nicht minder aufschlußreich ist die beschriebene Entwicklung vom Mystizismus zur Neuen Mythologie, die Schlegels Begriff der mythologischen Darstellung als vollendeter Philosophie ins Zentrum rückt. Kerstin Patzelt

Martin Götze: Ironie und absolute Darstellung. Poesie und Poetik in der Frühromantik, Schöningh 2001, 409 Seiten, 87,99 DM, ISBN 3-506-73200-5