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29.09.01 Architekturbeispiele als Zeugen eines Jahrhunderts

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. September 2001


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Architekturbeispiele als Zeugen eines Jahrhunderts

Anfang September war es wieder soweit: der Tag des offenen Denkmals lockte landauf, landab in Europa Tausende in Häuser, Kirchen, Schulen und Fabriken oder in Einrichtungen, die sonst einer breiten Öffentlichkeit nicht ohne weiteres zugänglich sind. In Berlin zum Beispiel waren es vor allem Schulgebäude, die im Mittelpunkt des Interesses standen, darunter Bruno Tauts Musterpavillon von 1928 in Neukölln oder die Max-Taut-Schule von 1931 in Lichtenberg, ein Schulkomplex mit damals modernsten und beispielgebenden Erfindungen. Aber auch Kirchen wie die evangelische Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg fanden Aufmerksamkeit. Sie wurde 1932-34 von Otto Bartning (1883 Karlsruhe - 1959 Darmstadt) errichtet und gilt als Beispiel für den modernen Kirchenbau.

Schon Heinrich de Fries (1887-1938), Architekt und Architekturschriftsteller, erkannte in seinem 1926 erschienenen Buch Junge Baukunst in Deutschland (Ein Querschnitt durch die Ent-wicklung der Baugestaltung in der Gegenwart. Reprint im Gebr. Mann Verlag, Berlin. 128 Seiten mit 217 Abb., geb., 258 DM) die Bedeutung seines Schaffens. De Fries wollte mit seiner Schrift vor allem den architektonischen Laien ansprechen und hob das Schaffen all derer hervor, die damals „teils unbekannt, teils wenig genannt sind“. „Jene Prominenten des Fünf-Uhr-Tees mit der abgestempelten Wertmarke sind in diesem Buche mit klarer und eindeutiger Absicht nicht vertreten.“ Und so vermißt man einerseits die Brüder Bruno (1880-1938) und Max Taut (1884-1967) aus Königsberg oder den Allensteiner Erich Mendelsohn, trifft aber auch auf Hans Scharoun und seine Insterburger Bauten, auf Hugo Häring, der einige Jahre in Allenburg wirkte, und auf Kurt Frick, den Königsberger, dem das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen zu Anfang dieses Jahres eine sehenswerte Ausstellung widmete.

Die Bedeutung der „jungen Baukunst“ zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sah de Fries in erster Linie in der Wirkung der neuen Bauwerke auf die Umgebung: „Ein Bauwerk ist nichts in sich Abgeschlossenes, nichts Absolutes mehr, es beginnt wieder aus Erde und Landschaft zu erwachsen und mit ihnen, mit dem Himmel, den Jahreszeiten und den Sternen sich einig verbunden zu fühlen, mit ihnen, nicht außer oder neben ihnen zu existieren, sondern mitzuleben und mitzuschwingen.“ Liegt es daran, daß so viele Bauwerke aus dieser Zeit auch heute noch die Menschen ansprechen? Daß sie für würdig befunden werden, um in einschlägige Kompendien aufgenommen zu werden? So finden sich denn auch in dem gerade bei Gerstenberg erschienenen Buch von Christa Haberlik 50 Klassiker - Architektur des 20. Jahrhunderts (288 Seiten, zahlr. sw und farbige Abb., Klappbroschur, 39,90 DM) auch der Einstein-Turm von Erich Mendelsohn, 1920/21 in Potsdam errichtet, die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, 1925-27 von Mies van der Rohe unter Mitwirkung u. a. von Max Taut errichtet, und die Hufeisensiedlung von Bruno Taut aus den Jahren 1925-1931. Diese Großsiedlung in Berlin-Neukölln gilt noch heute als „vorbildlich und signalgebend“, so Haberlik.

Taut, der in sieben Jahren als beratender Architekt der Wohnungsbaugesellschaft der Gewerkschaften (GEHAG) mehr als 10.000 Wohnungen baute, lag es stets am Herzen, diese Wohnungen menschenwürdig zu planen. Haberlik: „Taut war es gelungen, aus der Baukunst eine politische Kunst zu machen. Die Hufeisensiedlung wurde zum Symbol für den neuen Siedlungsbau. Nicht nur was die Ausgestaltung der Häuser anbelangt, sondern auch die Sorgfalt, die Taut auf die Innenräume verwandte, war von revolutionierender, tonangebender Beispielhaftigkeit.“ Und: „Seine Siedlungen sind Meilensteine in der Architekturgeschichte. Viele Architekten heute scheinen diese humanitären Grundsätze des Bauens, die Taut zu seinem Prinzip machte, vergessen zu haben. Er wußte, daß es nicht genügen kann, nur ein Dach über dem Kopf zu haben. Er schaffte es, statt dunkler Massenkasernen heitere Großstadtsiedlungen zu bauen. Noch heute sind Onkel Toms Hütte (an der auch Hugo Häring beteiligt war, d. Verf.) und die Hufeisensiedlung in Britz Beispiele für einen ‚heiteren Städtebau’ mit sparsamen formalen Mitteln, sicheren Proportionen, niedrigen Höhen und räumlicher Sensibilität.“ Seine Vorstellungen von einer sinnvoll gestalteten Wohnung legte Bruno Taut, der auch schriftstellerisch begabt war, in seinem 1924 erstmals erschienenen Buch Die neue Wohnung (Die Frau als Schöpferin. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Manfred Speidel. Gebr. Mann Verlag, Berlin. II, 128 Seiten mit 84 Abb. und 38 Seiten mit 9 Abb., geb., 188 DM) dar. Das Buch war so erfolgreich, daß es bis 1928 in fünf Auflagen 26.000 Exemplare erreichte! In seinen Ausführungen fordert der Königsberger die Hausfrauen nachhaltig dazu auf, ihre Wohnungen zu „entrümpeln“, sich von allem, wenn auch liebgewonnenen Plunder und Nippes zu trennen und damit zu befreien, um effektiver und somit schneller die Hausarbeit erledigen zu können. Worte, die bis heute nichts an ihrer Wahrheit verloren haben. Gleichzeitig macht der Architekt Taut natürlich auch Vorschläge zum sinnvollen neuen Bauen und zur sinnvollen Aufteilung der Innenräume, dazu zählt auch das von ihm 1921 entworfene kreisrunde Wohnhaus, das als „Käseglocke“ in Worpswede heute die Besucher anlockt - auch wenn es nicht von Taut erbaut wurde sondern 1926 von dem Schriftsteller Edwin Koenemann zusammen mit einem örtlichen Architekten (siehe auch OB Folge 22/2001).

Ob Taut das Plagiat jemals zu Gesicht bekommen hat, als er Worpswede Ende der zwanziger Jahre besuchte, ist nicht bekannt. Der Königsberger war dorthin gefahren, um den Gartengestalter Leberecht Migge aufzusuchen und Anregungen für seine Hufeisensiedlung zu bekommen. Migge, 1881 in Danzig geboren, gestorben 1935, forderte Mitte der zwanziger Jahre eine neue Konzeption für die Gartengestaltung. Seine ökologischen Forderungen, die auch eine Selbstversorgung der Städter beinhalten, klingen wie ein „grünes Manifest“. So auch der Untertitel des als Reprint erschienenen Buches Der soziale Garten (Gebr. Mann Verlag, Berlin. 198 Seiten mit 97 Abb., 14 Seiten. Geb., 148 DM). 75 Jahre sind Migges Forderungen alt und doch in vielem aktueller denn je.

Architektur ist immer auch ein Spiegel der sozialen Verhältnisse, schreibt Christina Haberlik. Und so hat sich im Laufe der Jahrzehnte die Vorstellung von einem „schönen“ Gebäude immer wieder geändert. Viele der einst mißtrauisch angesehenen Bauten zählen heute zu den erhaltenswerten Denkmälern der Moderne. Ob man das von Bauwerken, die in unserer Zeit errichtet werden, auch einmal sagen wird? Silke Osman