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13.10.01 Werner Dremel über den neuen »Ring« der Richard-Wagner-Festspiele

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Oktober 2001


Bayreuth 2001:
Banalität und Größe einer Inszenierung
Werner Dremel über den neuen »Ring« der Richard-Wagner-Festspiele

Im „Ring des Nibelungen“ wird eine Geschichte erzählt, eine gewaltige Geschichte, grandios wie die Odysse des Homer oder wie das Alte Testament. Diese Geschichte ist zugleich Mythos und Wirklichkeit. Mythos: das Wirken der Götter und der Elemente Wasser, Erde, Feuer - Wirklichkeit: das Wirken der Menschen.

In diesem Drama der entfesselten Leidenschaften stehen hohe Gefühle gegen niedrige, stehen Mut, Tapferkeit, Treue, Liebe gegen Rache, Haß, Wortbruch, Maßlosigkeit und vor allem Gier, immer wieder Gier.

Und das alles in einer Gewalt, die uns, im Zeitalter der Halb- und Viertelheiten, schaudern läßt ... Da reicht eben das Menschengeschlecht nicht mehr aus, da wird der ganze Götterhimmel mit hineingezogen. Das menschliche Siegmund-Sieglinde-Siegfried- Drama ist mit der göttlichen Wotan-Brünnhilde-Tragödie unlösbar verknüpft. Insofern ist der Ring eine Studie in Psychologie, wie man sie auf der Bühne nur noch bei Shakespeare findet.

Wagner bleibt aber nicht bei der Zeichnung der einzelnen Charaktere stehen. Die unbezähmbare Gold-, sprich Geldgier von Göttern und Menschen führt zum Untergang der Welt und zum Einsturz des Himmels. Und genau das ist die kulturkritische Botschaft des Werkes. Materialismus führt nicht nur zur Erstarrung des einzelnen, sondern zur Kulturstarre. Das Denken in Geld-, in Besitzbegriffen zerstört die Unmittelbarkeit, mit der man den Dingen gegenübertreten soll, zerstört die Freiheit von Geist und Seele, die innere Freiheit, ohne die große Kulturen nicht entstehen und - in unserem, des Abendlandes, Fall - nicht weiterbestehen können.

Die materialistische Welt des Habens, um mit Erich Fromm zu sprechen, gegen die idealistische Welt des Seins - das ist die eigentliche Aussage des „Ring“. Und damit ist der Schluß auf den heutigen Kulturzustand hergestellt: Eine Neugeburt ist nur möglich, wenn der Materialismus, der zur gedanklichen Öde, zum Kältetod des Gefühls und zum Versanden der Phantasie geführt hat, der über die Kultur hinaus auch die Natur zerstört, um den Besitz einiger fragwürdigen Dinge wegen, abgelöst wird durch eine Weltsicht, in der Sein mehr zählt als Haben!

Legt man nun diesen Maßstab an die Inszenierung von J. Flimm (Bühnenbild E. Wonder, Kostüme F. von Gerkan) in Bayreuth und an die allermeisten Inszenierungen von heute an - dann ist zunächst einmal die Überdimensionalität der Figuren verloren- gegangen.

Wotan und Siegfried, Brünnhilde und Hagen sind Menschen wie du und ich! Das ermüdet, solche Figuren kann man täglich bis zum Überdruß in den einschlägigen TV-Serien sehen.

Dann wird der Mythos, das Archetypische, verdrängt, ja abgebaut. Die Urgewalten von Feuer und Wasser werden zu Randgeschehnissen - aber sie sind bestimmend! Ihre Banalisierung läßt niemanden mehr vor der schaffenden und zerstörenden Macht von Wasser und Feuer schaudern.

Erlösung als das Grund-Leitmotiv - der Mythos als durchgehendes Kompositionsprinzip -, das ist die Quintessenz der Musikdramen Richard Wagners!

Flimms Ring-Inszenierung hat zweifellos Elemente zum Großen, zum Großformatigen hin: Die Götterburg Walhall im Rheingold, deren Kuppe sich aus kaltblauem Nebel und rotem Feuerschein erhebt, den gewaltigen metallischen Kubus, der Brünnhilde hermetisch einschließt, umgeben von den höchsten Schneegipfeln der Welt, das Stahlskelett der „Gibichungenburg“, das gleißende Licht der „neuen Zeit“, in das die Restmenschheit am Ende allen Geschehens schwankt, der amorphe, zu gewaltiger Größe anschwellende Wabbelberg des „Drachens“, in dem Fafner wie in einem Panzer sitzt und gegen Siegfried steuert - das ist alles großes Theater!

Beeindruckend ist die Personenregie, die Flimm überlegen beherrscht - wohltuend im Gegensatz zu seinem ganz offenbar gestörten Verhältnis zur Musik - und immer wieder demonstriert. Die Todverkündung Brünnhildes an Siegmund, die Beziehung Alberich - Wotan, die Erzählung der Waltraute, wie Wotan nach dem Einschließen Brünnhildes zusammensinkt, und Gunter alias Siegfried die Walküre nach deren Überwältigung brutal fesselt - das sind Glanzlichter einer durchweg gekonnten Personenführung.

All das aber wird voll unterlaufen durch ein geradezu unvorstellbares Brimborium von Requisiten, so, als ob man auch das letzte „Graffl“ noch aus dem Fundus hervorgeholt hätte: Kaffeekanne und Suppenschüssel, Colt - Revolver und Jagdflinten (Hunding und Sieglinde verwenden diese), Reisetasche (Gunter) und Koffer (Siegfried), Bierflaschen und Umzugskartons (beim Bau von Walhall), Rollstuhl (in ihm fährt Fafner plötzlich, nachdem Siegfried den Drachen erschlagen hat, auf der Bühne herum) und, und … Lauter Überflüssigkeiten, die nur zum Lachen oder Ärgern gut sind, und daneben Wotans Speer und Siegfrieds Schwert Nothung - ein für Flimm offenbar geradezu lästiges „Muß“, damit der Text mit der Handlung wenigstens einigermaßen übereinstimmt.

Von anderer Qualität ist die Einführung des virtuellen Zeitalters: die Welt der Nibelungen, keine Bergwerks-, sondern Computer- Sklaven, die Welt Alberichs: eine computergesteuerte Chefetage mit Börsenzugang - zwei in sich geschlossene Komplexe. Die kalte Welt des raffenden Kapitals, des „Shareholder-Value“-Denkens: Der „Hort“ ist nicht da, um Werte für die Menschen zu schaffen, sondern hat nur einen Selbstzweck - zu wachsen!

Trotzdem: Wie es ohne Schwert und Speer nicht geht, so geht es auch nicht ohne Gold; das muß letzten Endes eben doch herbeigeschafft werden, denn Fafner und Fasolt wollen nun einmal keine Aktien und Investmentzertifikate …

Auch der Autor dieses Artikels ist gerade einer allgemein verbreiteten Untugend von heute erlegen: Er stellt die Inszenierung und damit den Regisseur an den Anfang - der Urheber des „Ring des Nibelungen“ heißt aber Richard Wagner und ist in erster Linie Musiker.

Auch wenn sich Richard Wagner als der Schöpfer des Gesamtkunstwerks verstand, war er eben zuerst einer der allergrößten Komponisten, die es je gab. Und es zeigt sich, daß Musik und Bühne in seinem Gesamtkunstwerk kongenial, voll aufeinander abgestimmt sein müssen. Im Klartext: Wenn sich Banalitäten der Regie und des Bühnenbildes abspielen, ist die Musik eben dazu kongenial.

So schwankt das Dirigat A. Fischers zwischen großartig und banal. Das Vorspiel zum Rheingold vollzieht sich ganz im Mythischen, der Walkürenritt ist Entfesselung, Siegfrieds Tod und Trauermarsch kündigt bereits Ragnarök an - aber man spürt diese Mystik und Allgewalt nur gelegentlich, nicht durchgehend, so bei Wotans Abschied und bei Brünnhildes Erwachen. - Aber eine Götterdämmerung findet weder szenisch noch musikalisch statt! Man ist erschöpft - aber nicht erschüttert !

Brünnhilde und Wotan sind, neben Tristan, die gewaltigsten Gesangspartien Wagners und darüber hinaus der Opernwelt überhaupt.

Insofern kann man sagen, daß sie ordentlich - L. De Vol als Brünnhilde - und sehr gut - A. Titus als Wotan - besetzt waren. Bis zum Schluß waren die Stimmen präsent, ohne Ermüdungserscheinungen, L. De Vol hochdramatisch, allerdings laufendes Tremolo und schwer verständlich, A. Titus dagegen mit klarer Artikulation, warm strömender Stimme und voll Ausdruck.

Ein großartiges Duo: V. Umara als Sieglinde und J. D. Smith als Siegmund. V. Umara spielt und singt ihre Rolle der gejagten Frau „unter die Haut gehend“, mit einem umfangreichen Stimmvolumen, dramatisch, aufbegehrend und erschütternd. J. D. Smith ist wieder einer der Bayreuther Glücksfälle, wie sie alle paar Jahre in Erscheinung treten: Seine Stimme ist wohlklingend, deutlich und ausdrucksstark, die „Wehe-Rufe“ wurden wohl selten so gehört - Stimmgewalt und Stimmschönheit in Vollendung! Kein Wunder, daß er außer Siegmund, alternierend, Lohengrin und Stolzing singt - ein Stern am Bayreuther Himmel.

Dasselbe kann man von den beiden Siegfrieds, C. Franz in „Siegfried“, und W. Schmidt in der „Götterdämmerung“, leider nicht sagen. Für ihren zum Teil läppischen spielerischen Einsatz können sie nichts, das ist allein Sache J. Flimms, aber den Stimmen mangelt es an Individualität, an Prägnanz, was gerade für diese entscheidende Partie erforderlich ist. Dazu kommt bei W. Schmidt geringes Durchhaltevermögen.

Von den übrigen tragenden Rollen seien noch erwähnt: G. Clark als ein spielerisch eindrucksvoller Loge, der mit schneidender Stimme die ganze Zwiespältigkeit dieser Figur zu demonstrieren weiß, B. Remmert als spielerisch und gesanglich wunderbare Fricka, R. Merbeth gleich in zwei Rollen: als Freia und als Gutrune, wobei ihr die zweite Partie wohl mehr liegt.

Überzeugend waren durchwegs die Antagonisten: G. von Kannen - der schon in einer früheren „Ring“-Produktion in Bayreuth in dieser Rolle beeindruckte - als „Herr der Computer-Nibelungen“, wiederum G. Clark in Siegfried und M. Howard im Rheingold als feixender, allgegenwärtiger, jammernder Mime und J. Tomlinson als stimmgewaltiger Hagen.

Die Ensemble-Partien waren alle spielerisch wie gesanglich recht gut besetzt. Rheintöchter, Walküren - besonders eindrucksvoll, wie sie Brünnhilde vor Wotans Zorn verbergen - und die Nornen, unter denen M. Ejsing, die auch die Erda verkörperte, mit ihrer klangfarbigen, ausgeprägten Stimme - in beiden Rollen - herausragte.

Der Festspielchor, das hat man von Anfang an bemerkt, setzt seine unter N. Balatsch üblichen Glanzleistungen auch unter dessen Nachfolger E. Friedrich fort. Das Publikum dankte mit überwältigendem Applaus.

In den kommenden Jahren folgt in Bayreuth eine Neuproduktion auf die andere - der Werkstattgedanke Wolfgang Wagners schlägt somit voll durch! So werden wir 2002 Tannhäuser in der Inszenierung von P. Arlaud, mit dem brillanten Christian Thielemann - dem Dirigenten der Meistersinger und des Parsifal in diesem Jahr - erleben. 2003 kommt ein neuer Holländer, 2004 folgt Parsifal, 2005 Tristan und 2006 wieder ein neuer Ring.

So, und nicht anders, wünschen wir uns Bayreuth: Stetigkeit durch den Festspielgedanken, Wandel durch das Werkstattprinzip!

 

Hang zum Großformatigen: Erich Wonders Bühnenbild zu Jürgen Flimms Inszenierung des „Ring“ - hier eine Szene aus dem 2. Aufzug der „Walküre“ mit Birgit Remmert und Alan Titus.