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03.11.01 / SPD-Außenpolitiker für Einbindung der Enklave: »Chancen für Moskau und St. Petersburg«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. November 2001


Europäische Union:
Klose will Königsberg dabeihaben
SPD-Außenpolitiker für Einbindung der Enklave: »Chancen für Moskau und St. Petersburg«

Seit einiger Zeit spielt das nördliche Ostpreußen eine hervorgehobene Rolle im Verhältnis der Europäischen Union zu Rußland. Das Interesse entspringt dem Umstand, daß das Gebiet nach dem Beitritt Polens und Litauens eine Enklave inmitten der EU sein wird. Und das birgt Probleme.

In der ersten Jahreshälfte 2001 sind diese Probleme von beiden Seiten eingehend erörtert worden. Präsident Putin hat dem Gebiet die Rolle einer Pilotregion im Verhältnis von EU und Rußland zuerkannt. Greifbares, das auch ei- ne Lösung von Königsbergs drängendsten Problemen (Schmuggel, Autodiebstahl, Drogen, Umweltverschmutzung und Europas höchste Aidsrate) bewirken könnte, ist jedoch noch nicht zu vermelden. Wenn es nach der Europäischen Kommission geht, wird das Verhältnis auch in Zukunft über eine Zusammenarbeit bei ausgewählten und direkt aus der Enklavenlage resultierenden Problemen (zum Beispiel Grenzkontrollen) kaum hinauskommen. Zu wenig, um eine zunehmende Isolierung und Abkapselung der Exklave von der europäischen Entwicklung zu verhindern.

Nun läßt ein neuer Beitrag zu einer etwas aus dem Schwung gekommenen Debatte aufhorchen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Hans-Ulrich Klose (SPD), hat sich dafür ausgesprochen, das Gebiet in die Europäische Union einzubinden. „Ich sehe keine Möglichkeit für eine schnelle Mitgliedschaft Rußlands in der EU“, sagte Klose der „Rheinischen Post“. Weil Rußland aber Europa wirtschaftlich brauche, solle die Zusammenarbeit mit der Exklave intensiviert werden.

Klose schlägt vor, das Königsberger Gebiet „durch Vereinbarungen faktisch zu einem Teil der EU zu machen“. Gesicherte Verbindungslinien nach Rußland und eine enge Kooperation mit Litauen und Polen hätten „mit Sicherheit positive Ausstrahlung in die Regionen von Petersburg und Moskau“, betonte Klose.

Die Forderung einer Vollmitgliedschaft der Königsberger Exklave ist nicht neu, nur wurde sie bisher meist von russischen Wissenschaftlern erhoben. Und was wenige auf den ersten Blick vermuten werden: Die - territorial betrachtet - teilweise Mitgliedschaft in der EU ist, obwohl eigentlich nur Staaten der Union beitreten können, nicht nur möglich, sondern gängige Praxis. Beispiele gibt es reichlich: Im britischen Gebiet Gibraltar etwa gelten EG- und EU-Vertrag nur eingeschränkt, da die Gemeinsame Agrarpolitik, das Wettbewerbsrecht und die Bestimmungen der Zollunion nicht an- gewendet werden. Seine Einwohner nehmen zudem nicht an den Wahlen zum Europäischen Parlament teil. Die britischen Kanalinseln und die Isle of Man stehen außerhalb des Gemeinschaftssystems, werden aber bei Zollangelegenheiten und quantitativen Beschränkungen als zugehörig angesehen. Von der Insel Man werden auch keine Abgaben an den EU-Haushalt geleistet. Akroliri und Dhekalia, britische Stützpunkte auf Zypern, sind hingegen in keiner Form in die EU integriert.

Dänemarks Faröer gehören auch nicht zur EU, obschon es Sonderregelungen für die Milch- und Fischereiwirtschaft der Inselgruppe gibt. Grönland, 1985 aus der Europäischen Gemeinschaft ausgetreten, hat hingegen den Status eines Überseegebiets. Finnlands praktisch ausschließlich von Schweden bewohnte Åland-Inseln sind zwar vollständig in die EU integriert, doch können dort nicht die klassischen „Freiheiten” der Niederlassung und Dienstleistungen beansprucht werden.

Die französischen Überseedepartements sind von verschiedenen Politikbereichen ausgenommen, Spaniens Kanarische Inseln nehmen am freien Warenhandel, der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht teil, wenngleich sie wiederum Zugang zum Binnenmarkt haben. Madrids nordafrikanische Exklaven Ceuta und Melilla gehören wie die von französischem Gebiet umschlossene Exklave Llivia nicht zum Zollgebiet, müssen aber keine Zölle zahlen. Schon vor Österreichs EU-Beitritt gehörten die österreichischen Gemeinden Jungholz (Tirol) und Mittelberg (Vorarlberg) als deutsche Zollenklaven zum EU-Zollgebiet. Das italienische Augsttal und die griechische Mönchsrepublik Athos gelten als Freizonen, in denen einzelne Waren behandelt werden können, als seien sie nicht auf EU-Gebiet. Zollenklaven sind außerdem Helgoland, das deutsche, aber von Schweizer Gebiet umgebene Dorf Büsingen sowie die zu Italien gehörenden Orte Campione d’Italia, Livingo und der südliche Teil des Lauiser Sees. Auf diese italienischen Gebiete werden die Wettbewerbsregeln nicht angewandt.

Ein weiteres Beispiel gehört inzwischen der Geschichte an. Bei den Verhandlungen zum EWG-Vertrag glückte der deutschen Regierung die Aufnahme eines Protokolls zum innerdeutschen Handel, in dem unterstrichen wurde, daß der Vertrag den bestehenden Handel zwischen der Bundesrepublik und anderen Teilen Deutschlands (DDR, Ostgebiete) nicht beeinträchtigte. Vor 1990 war der Handel der EG mit diesen Gebieten weder Innen- noch Außenhandel, da er für die Bundesrepublik binnengerichtet und für die anderen Mitgliedstaaten Außenhandel war. Die anderen Teile Deutschlands waren folglich ein Gebiet sui generis: kein Vollmitglied der Zollunion, aber auch ohne Drittstaatstatus.

Wenn man so will, sind territoriale Teilmitgliedschaften in der EU eine Facette des „Europas à la carte“, in dem ein Staat nur einen Teil des Menüs für nur einen Teil seines Staates auswählt. Der Vergleich einer möglichen EU-Vollmitgliedschaft der Exklave Königsberg mit dem Status der Faröer oder Ålands bietet sich also durchaus an, wenn auch mit einem Unterschied. Im Falle Rußlands wäre der weitaus größte Teil des Staatsgebiets außerhalb der EU und nur ein kleiner Annex in der EU. Bei den oben dargestellten Gebieten ist es umgekehrt: Das Hauptgebiet gehört zur Union, während periphäre oder quasi-koloniale Gebiete weitgehend außen vor bleiben.

Das wirft die Frage nach der Entscheidungsbeteiligung auf. Es ist sicherlich unbedenklich, wenn die Einwohner Gibraltars nicht an Europa-Wahlen teilnehmen, solange sie von London vertreten werden. Rußland könnte hingegen den Einwand vorbringen, es erlange über die Vollmitgliedschaft seiner Exklave nicht ausreichend Mitbestimmung. In der Tat ist es schwer vorstellbar, daß Vertreter der Exklave, die keine Staatsqualität besitzt, im Rat oder im Parlament stimmberechtigt sind. Sehr wohl vorstellbar sind aber Vertreter mit Rederecht und der Möglichkeit, ihre Vorstellungen vorzubringen. In den mit der Exklave befaßten Dienststellen der Kommission könnten ferner nationale Experten als gleichwertige EU-Beamte arbeiten. Auch in anderen gemeinschaftlichen Einrichtungen sind konsultative Vertreter oder - auf Arbeitsebene - Beamte denkbar. Von selbst versteht sich aber auch, daß hierfür erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden müßten.

Die Alternative ist keine. Rußlands Vollmitgliedschaft in der EU ist selbst langfristig illusorisch. Mit der Mitgliedschaft Königsbergs hingegen wären gute Beziehungen zur EU institutionalisiert und garantiert. Es wäre dies ein Fuß in der Türe Europas, der dem in jeder Hinsicht danieder liegenden Königsberg Wohlstand und Fortschritt brächte. Auch die EU profitierte beträchtlich, da die bestehenden, allesamt sehr unerfreulichen Probleme direkt und wirksam angegangen werden könnten. Käme es nicht zu der geographisch, wirtschaftlich, historisch und kulturell gebotenen Aufnahme der Exklave, die dann keine Enklave mehr wäre, bliebe das Gebiet auf alle Ewigkeit - nämlich selbst dann noch, wenn Albanien, Moldau oder die Ukraine längst Mitglied der Union geworden sind - ein schwarzes Loch in Europa und ein weißer Fleck auf der EU-Karte. Wenn die Verpflichtung, Europa zu einen, inzwischen rhetorisch bereits den Bosporus überschritten hat, darf sie nicht Kleinmut am Pregel anhalten.

„Ein Fuß in der Tür Europas“: Nach einem EU-Beitritt Polens und Litauens wäre Nord-Ostpreußen isoliert. Das will der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, Hans-Ulrich Klose (SPD, hier im Gespräch mit Rußlands Präsident Wladimir Putin), offenbar verhindern. Foto: dpa