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03.11.01 Die Dresdner Gelbke und Birnstengel auf der Kurischen Nehrung

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. November 2001


Wechselspiel der Elemente
Die Dresdner Gelbke und Birnstengel auf der Kurischen Nehrung

Die beiden Dresdner Künstler Georg Gelbke (1882-1947) und Richard Birnstengel (1881- 1968) waren nicht nur eng befreundet und verschwägert, sie teilten auch die Liebe zur Kurischen Nehrung. „Diese ist so merkwürdig, daß man sie eigentlich ebensogut als Spanien und Italien gesehen haben muß, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen sollte“, sagte einst Wilhelm von Humboldt über diesen 98 Kilometer langen Landstreifen zwischen Kurischem Haff und Ostsee im Norden Ostpreußens. Richard Birn-stengel kam das erste Mal 1923 nach Heydekrug, um einen Kriegskameraden zu besuchen. Anläßlich einer Tagung des Künstlerbundes Königsberg im Jahre 1929 besuchte er auch Nidden. Die Faszination dieser Landschaft hinterließ Eindrücke, die fortan Birnstengels Werk impulsierten. „Gleich die erste Begegnung mit der Kurischen Nehrung hat mich außerordentlich erregt und wurde zur unwiderstehlichen Verlockung.“ Von 1930 bis 1944 weilte Birnstengel monatelang in seiner Wahlheimat. Georg Gelbke wurde von ihm zu gemeinsamer Arbeit an der Küste angeregt. Ab 1935 malte auch er auf der Kurischen Nehrung, vorrangig in den Fischerdörfern Nidden und Rossitten. Im Jahre 1939 konnte Birnstengel mit seiner Frau Dorothea ein eigenes Haus auf Nidden in Besitz nehmen. Es steht noch heute in unmittelbarer Nähe zu den Häusern des Malers Carl Knauf und des Dichters Thomas Mann. Der von Birnstengels Frau liebevoll gepflegte Hausgarten gab wunderbare Anregungen zu Blumenbildern.

Beide Künstler regte der atmosphärische Reiz dieser Landschaft zu überaus fruchtbarem und fleißigem Schaffen an. Erstaunlich ist die Fülle ihrer Skizzen und Aquarelle, die jeweils in den Sommermonaten entstanden sind. „Das ist meine Sommerausbeute: jedes Jahr bringe ich an die 200 mit“, so verwies Gelbke einst während eines Atelierbesuches auf seine Mappen. Neben den Bergen zog ihn das Wechselspiel der Elemente stark an: „Ich kann und will mich der Natur nicht entziehen. Den wolkenlos blauen Himmel des Südens mag ich nicht leiden.“

Mit Feder, Kohle oder Bleistift fertigten beide Künstler vor Ort zügig ihre Skizzen an. Darüber hinaus sind sie Keime für größere, ausgearbeitete Aquarelle und Ölbilder, welche sie noch weit über die Aufenthaltszeit an der Küste beschäftigten. Nebenbei beobachtete Gelbke in köstlichen Karikaturen das Leben auf der Nehrung und versandte in Postkartenformat seine Eindrücke. In ganzheitlicher Herangehensweise wandten sich beide Künstler den Himmelsstimmungen, der wechselnden Farbigkeit von Wasser und Sanddünen, den Windflüchtern, Kurenkähnen sowie der Arbeit von Fischern und Bauern zu.

Manche Motive - wie Licht über den wüstenähnlichen Sanddünen oder die wetterumkämpften Küstenbäume - werden vom Abbild zum Sinnbild erhöht. Der gegensätzliche Charakter dieser Landschaft sprach beide Künstler besonders an. Es scheint, als ob sie vom Geheimnis Tod und Leben, Vergänglichkeit und Ewigkeit angesichts der Gegensätze auf schmalem Küstenstreifen in ihren Arbeiten angeregt wurden. Beide Künstler begegneten mit ihrer künstlerischen Empfänglichkeit diesem Atmosphärischen, diesem elementaren Spiel von Ruhe und Bewegung, Tosen und Stille. Auf Skizzen und Bildern beider Dresdner, die sich die Nehrung als Wahlheimat erkoren haben, fällt der Wechsel von Einsamkeit und pulsierendem Leben auf. Mondenähnliche Dünenlandschaften, einsame, stille Flecken wechseln mit der Ankunft der Fischer oder bewegtem Markttreiben. Manchmal gleitet über dem aufgeregten Kreischen ins Schilf einfallender Möwen lautlos das Segelflugzeug.

Wenn man die malerischen Eindrücke beschreiben will, die Land und Leute der Nehrung umfassen, so sollte man unbedingt auch die Fischerporträts von Richard Birnstengel erwähnen. Diese Fischer aus kurischem Stamm kämpften mit Haff und Meer im Bestehen des harten und kargen Alltags. Die Eindrücke der immer wechselnden Himmel, der Gefahren des Meeres und der Einsamkeit prägten die Antlitze. Diese Gesichter waren nicht nur auf belanglos wechselnde Äußerlichkeiten fixiert, sie waren durchlässig für die Ewigkeit und hatten teilweise „Gesichter“. Birnstengel war von den einzelnen Charakteren tief beeindruckt. Er versuchte, malerisch ihr Geheimnis zu ergründen.

Infolge der Kriegsereignisse gelang es ihm nur mit Mühe, 1944 die Kurische Nehrung zu verlassen. Sowohl Gelbke als auch Birnstengel konnten nach 1945 diese geliebte Gegend aus politischen Gründen nie wieder aufsuchen. Birnstengel äußerte, daß er im Leben außer dem Kriegsverlust der Hälfte seiner Bilder und dem Versagen vieler seine Kollegen in der stalinistisch-sozialistischen Ära einen großen Schmerz empfand: „Den Verlust von Nidden.“ Andreas Albert

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Für das Jahr 2002 ist ein Postkartenkalender mit Motiven der Kurischen Nehrung und Texten zu Leben und Werk der beiden Künstler zum Preis von 18 DM/9,20 Euro erschienen. Bestellung über A. Albert, Am Beutlerpark 7, 01217 Dresden.