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22.12.01 Wilfried Böhm über die Verleihung des »Kulturpreises Deutsche Sprache« in Kassel

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


Gedanken zur Zeit:
Sprach-Patriotismus - von Grimm bis Hochhuth
Wilfried Böhm über die Verleihung des »Kulturpreises Deutsche Sprache« in Kassel

Am 3. November 2001 wurde der „Kulturpreis Deutsche Sprache“ zum ersten Mal vergeben. Der „Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache“ wurde dem Dramatiker und Schriftsteller Rolf Hochhuth (Grenzach bei Basel/Berlin) verliehen, mit dem „Institutionenpreis Deutsche Sprache“ wurde die Redaktion der Zeitschrift Computer-Bild (Hamburg) ausgezeichnet; er wurde von ihrem Chefredakteur Harald Kuppek entgegengenommen.

Der „Kulturpreis Deutsche Sprache“ wurde im Jahr 2000 von dem Unternehmer Dipl.-Ing. (FH) Eberhard Schöck gestiftet. Er wird vom Verein Deutsche Sprache (Dortmund) und der Eberhard-Schöck-Stiftung (Baden-Baden) gemeinsam vergeben. Sie haben eine Jury eingesetzt, der neben dem Stifter Eberhard Schöck der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache (VDS), Prof. Dr. Walter Krämer, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des VDS, Prof. Dr. Helmut Glück, der Vorsitzende der Brüder-Grimm-Gesellschaft, Wolfgang Windfuhr (Kassel) und als beratendes Mitglied Prof. Dr. Ulrich Knoop (Freiburg), Mitglied des Vorstands der Hennig-Kaufmann-Stiftung (Essen), angehören.

Die Preisverleihung 2001 fand in Zusammenarbeit mit der Stadt Kassel, der Brüder-Grimm-Gesellschaft und dem Verein Pro Nordhessen vor 700 Gästen in der Stadthalle Kassel statt. Jury-Sprecher Glück äußerte anschließend die Überzeugung, daß sich der „Kulturpreis Deutsche Sprache“ durch die Premiere ein Fundament dafür geschaffen hat, ein geachteter Beitrag zu den Bemühungen um die Bewahrung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache und eine Institution im kulturellen Leben unseres Landes zu werden.

Zum Auftakt des Festaktes hatte Glück erklärt: „Die Sprache gehört uns allen. Sie gehört weder den Journalisten noch den Politikern noch den Germanisten und Deutschlehrern. Sie ist auch nicht nur ein Werkzeug zum Kommunizieren wie ein Schraubenschlüssel beim Reifenwechsel.

Die Sprache ist eines der wichtigsten Bindemittel, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Sie integriert über alle politischen, sozialen, regionalen und kulturellen Grenzen hinweg, sie schafft Gemeinschaft. Die Sprache ist kein Denkmal, das wir andächtig bestaunen müßten. Sie ändert sich ständig. Das war immer so und das wird immer so sein. Sie ist weder Werkzeug noch Denkmal, sondern ein Gemeingut, das alle angeht und für das jeder Verantwortung trägt. Wer sie schädigt, schädigt das Gemeinwesen. Der Kulturpreis Deutsche Sprache will das Bewußtsein dafür schärfen, daß dieses Gemeingut etwas Kostbares, aber auch Zerbrechliches ist und des Schutzes bedarf.“

Der Euro kommt auf Englisch, er kommt in „Starter Kits“ in die Hände der Deutschen, die ihn in ihrer großen Mehrheit nicht gewollt haben. Bruno Bandulet berichtete in seinem „DeutschlandBrief“, daß Ernst Welteke, seit 1999 Präsident der Deutschen Bundesbank, das Ende der DM in den Reißwölfen und Schmelzöfen einen „Weg ohne Wiederkehr“ nannte. Wenn die Hypo Vereinsbank in ihrer Werbung nostalgisch „Auf Wiedersehen DM“ sagen läßt, handelt sie politisch nicht korrekt: „Bye-bye DM“ müßte es wohl heißen … Als Ernst Welteke die Frage gestellt wurde: „Was wäre mit einer Volksabstimmung gewesen?“, antwortete der oberste Hüter unserer Währung: „Sie wäre negativ ausgegangen.“

Ein bedeutendes Stück der in den demokratischen Jahrzehnten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft aufgebauten deutschen Identität geht mit der DM dahin. Obendrein erzwingen die „Starter Kits“, die von den „Bundesbankern“ den Bürgern zugemutet werden, für die große Masse der Deutschen einen Blick ins Wörterbuch.

Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, daß der Verfall und die kulturelle Selbstaufgabe der deutschen Sprache nicht von den Bürgern ausgehen. Keiner wäre von sich aus auf die lebensfremden „Starter Kits“ verfallen. Vielmehr werden den Bürgern unseres Landes solche Anglizismen von einer Mischung aus ökonomischen Interessen und dem Imponiergehabe einer kapital- und börsenfixierten Kaste aufgezwungen.

Es ist nämlich keineswegs das unstillbare Verlangen der Deutschen, ihren Alltag mit der englischen Sprache zu verschönern. Vielmehr geht die Tendenz zu „Engleutsch“ oder „Denglisch“ auf handfeste globale Brancheninteressen zurück. Davon ist jedenfalls der „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) überzeugt, der als Bürgerinitiative für die deutsche Sprache in kurzer Zeit eine außerordentlich erfolgreiche Entwicklung genommen hat.

Gemeinsam mit der Eberhard-Schöck-Stiftung hat der VDS jetzt erstmals den „Kulturpreis Deutsche Sprache“ verliehen. Damit wurde ein unübersehbares Zeichen gesetzt. Die 16 Kultusminister in Deutschland haben Vergleichbares bisher nicht unternommen und statt dessen mit der vielzitierten PISA-Bildungsstudie ein schlimmes Zeugnis für ihre erfolglosen Bemühun- gen erhalten, deutsche Kulturpolitik im Zuschnitt einer Schrebergarten-Kolonie zu gestalten.

Umso erstaunlicher und zugleich erfreulicher war es, daß die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Ruth Wagner (FDP), in ihrem Grußwort erklärte, daß sie das Anliegen der Preisverleihung „vollkommen teilt“. Daß es selbst bei der Computer-Kommunikation möglich sei, die deutsche Sprache weiterzuentwickeln, daß Innovatives besser und präziser in gutem Deutsch als schlechtem Englisch oder „Denglisch“ vermittelt werden könne, beweise die Lektüre der Zeitschrift Computer-Bild. Und Rolf Hochhuths Dramen bezögen ihre gesellschaftliche Brisanz, Präzision und Schärfe aus ihrer sicheren geschliffenen deutschen Sprache. Sein Patriotismus sei Sprachpatriotismus.

Der Oberbürgermeister der documenta-Stadt Kassel, Georg Lewandowski (CDU), nannte seine Stadt die „Brüder-Grimm-Stadt“, in der die Gebrüder Grimm viele Jahre lebten und forschten. Der Jacob-Grimm-Preis komme dem Interesse der Stadt entgegen, sich in der Mitte Deutschlands als Kunst- und Kulturstadt weiter zu profilieren. Zum Anliegen des Vereins Deutsche Sprache erinnerte er daran, daß erst unlängst die Bezeichnung „City-point“ für ein neues Einkaufszentrum „bei vielen Bürgern auf Kritik gestoßen sei“.

An Jacob Grimms Frage aus dem Jahr 1846: „Was haben wir denn gemeinsames als die deutsche Sprache?“ erinnerte Wolfgang Windfuhr als Präsident der Brüder-Grimm-Gesellschaft. Die Erforschung der Sprache, aber auch das Bemühen, sie vor Überfremdung und Entstellung zu bewahren, diente der Identitätsfindung, sollte neue Lebens- ordnungen finden, die den Deutschen erlaubten, in Freiheit zu leben. Für seine Gesellschaft sei es Programm, daß der „Kulturpreis Deutsche Sprache“ nach Jacob Grimm benannt worden sei.

Bei der Überreichung des Preises an Hochhuth bekannte der Stifter Eberhard Schöck, Unternehmer aus Baden-Baden: „Ich bin kein Germanist und kein Sprachwissenschaftler, sondern ein ganz normaler Sprachnutzer mit einem emotionalen Verhältnis zu meiner Muttersprache. Ich liebe unsere Sprache, in unserer Sprache fühle ich mich zu Hause, sie ist wie eine zweite Heimat für mich“. An Hochhuth gewandt schloß Schöck: „Im März hielten Sie eine Rede in Weimar mit dem Titel »Die Sprache - die Weltmacht oder: de Gaulles Europa der Vaterländer genügt« ... Sie plädierten für ein Europa der Vaterländer und für ein Europa der sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Das sind die Gründe, weshalb ich Ihnen, sehr verehrter Herr Hochhuth, sehr gerne den ,Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache‘ überreiche.“

Dieses Verständnis von Europa verdient uneingeschränkten Beifall. Die jüngsten Vorstöße aus Brüssel, Englisch in den Ländern der Europäischen Union als zweite Amtssprache einzuführen, sollten hingegen sehr ernst genommen werden. Hatte Adenauer noch kompromißlos bei den Gründungsverhandlungen die deutsche Sprache auf die gleiche Ebene gestellt wie das Französische, so hat doch Deutsch als größte Mutter- und zweitgrößte Fremdsprache Europas bis heute den Status einer gleichberechtigten Europasprache nicht gehalten. Das geschah nicht zuletzt wegen der Zurückhaltung späterer deutscher Bundesregierungen, die weder die Einführung des Euro noch die jahrelange ungerechte Belastung als größter Nettozahler der EU benutzten, um hier ein Junktim zugunsten der deutschen Sprache herzustellen. Im Gegenteil: Nach den revolutionären Veränderungen in Europa vor einem Jahrzehnt hat Deutsch in seinen traditionellen Verbreitungsgebieten in Ostmittel- und Südosteuropa erheblich verloren. Russen, Polen, Letten, Esten, Ungarn wollen sich mit der Europäischen Union in Deutsch unterhalten, aber die Kommission habe das untergraben und hintertrieben, so der Brüsseler Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“. Die Angelsachsen, also die USA und Großbritannien, hingegen betrieben und betreiben systematisch Sprachexpansion. Frankreichs Präsident Pompidou erkannte das: „Das Sprachproblem ist das wichtigste unserer Epoche … wenn wir mit unserer Sprache zurückstecken, werden wir schlicht hinweggespült werden.“ Das, so sollte man meinen, gilt natürlich auch für Deutschland. 

Der Preisträger mit dem Namenspatron: Rolf Hochhuth bei der Preisverleihung in Kassel neben einem Porträt Jacob Grimms, gemalt von Carl Begas. Foto: dpa