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22.12.01 Verfall einer Bergbauregion: Rumäniens Ruhrpott

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


Verfall einer Bergbauregion:
Rumäniens Ruhrpott
Reise zu den vergessenen Deutschen im Schiltal
von Hede Zeidler u. Martin Schmidt

Wer heute über Deutsche in Rumänien spricht, meint im allgemeinen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, vielleicht auch Sathmarer Schwaben. Schon die rund 2000 Landsleute, die noch in der südlichen Bukowina - dem Buchenland - leben, bleiben fast immer unerwähnt.

Daß man auch im oberen Schiltal (Valea Jiului), einer Industrieregion im Südwesten Rumäniens um die Städte Petrila, Petroschen (Petrosani) und Lupeni, bis heute eine nennenswerte Zahl von Deutschen treffen kann, ist selbst vielen Rumäniendeutschen unbekannt.

Beim oberen Schiltal, das als südlichster Teil des Kreises Eisenmarkt (Hunedoara) verwaltungsmäßig stets zu Siebenbürgen gehörte, handelt es sich um eine Beckenlandschaft inmitten der Südkarpaten. Sie ist umgeben von Gebirgszügen, deren Gipfel vielfach über 2000 m aufragen.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war diese Gegend Wald- und Weideland im Besitz von Feudalherren oder Dorfgemeinschaften aus dem nördlicher gelegenen Hatzeger Gebiet. An den Kohlevorkommen, die zum Teil offen zutage traten, bestand noch kein Interesse. Dies änderte sich erst durch die Entwicklung der Industrie in der Habsburger Monarchie, zu der Siebenbürgen bis zum Ersten Weltkrieg gehörte.

Im westlich des Schiltals gelegenen Banater Bergland war schon im 18. Jahrhundert - vor allem mit Hilfe eingewanderter Bergarbeiter und Hüttenleute aus der Steiermark - eine ansehnliche Eisenindustrie aufgebaut worden. Die Gebrüder Hoffmann, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Rußberg (Rusca Montana) ein Eisenwerk betrieben, führten ab 1845 die ersten Probebohrungen und -schürfungen im Schiltal durch.

Aber erst nachdem die „Kronstädter Berg- und Hütten-Aktiengesellschaft“ und der ungarische „Montanärar“ die Organisation übernommen hatten und außerdem die Bahnverbindung aus Simeria fertiggestellt worden war, kam der Abbau der hochwertigen Steinkohle (in geringerem Maße auch Braunkohle) richtig in Schwung.

Im Jahre 1868 betraute die genannte Kronstädter Gesellschaft Heinrich Goedicke aus Neunkirchen im Saarland mit der Anlage der ersten Kohlenbergwerke und Arbeitersiedlungen im oberen Schiltal. Mit ihm wetteiferte von staatlicher Seite der ungarische Bergverwalter Josef Veres.

In der gesamten Monarchie wurden nun Bergarbeiter, Ingenieure und Beamte angeworben. Etwa ab 1868 wanderten auch zahlreiche deutsche Bergleute Zipser Abstammung aus Jakobeny (Bukowina) ein, darunter Vorfahren der Familien Knebel und Wenzel, die heute noch im Schiltal leben. Deren Ahnen wiederum sind Ende des 18. Jahrhunderts als Einwanderer aus den „Zipser Gründen“ (heute Slowakei) in Jakobeny nachweisbar.

Das neue Industriegebiet wuchs rasch; 1872 zählte man schon rund 6000 Einwohner, zu Beginn des 20. Jahrhunderts allein im Mittelpunkt Petroschen nahezu 8000. Kirchengemeinden verschiedener Konfession wurden gegründet. Da die Bergleute aus der Bukowina hauptsächlich evangelisch-lutherischen Bekenntnisses waren, entstand 1872 auch eine evangelische Gemeinde in Petroschen.

Im Jahre 1896 - die Gemeinde zählte damals 800 Seelen - konnte dort eine evangelische Kirche eingeweiht werden, deren Bau vor allem durch die Unterstützung des „Gustav-Adolf-Vereins“ und aufgrund von Sachspenden aus dem ganzen deutschen Sprachraum möglich geworden war.

Obwohl die Deutschen unter der rumänischen und ungarischen Bevölkerung nur eine Minderheit bildeten, nahmen sie im Laufe der Zeit fast alle führenden Stellungen im Bergbau und in der Verwaltung ein. Dies änderte sich auch nicht, als Siebenbürgen nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien fiel und das obere Schiltal zu dessen bedeutendstem Kohlefördergebiet wurde.

Die Bergbauorte dehnten sich immer weiter aus. Petroschen hatte 1930 schon über 15 000 Einwohner; die evangelische Gemeinde war auf 1084 Mitglieder angewachsen. In den Gruben galten nach wie vor ausschließlich deutsche Kommandos, und alle einschlägigen Fachausdrücke waren deutsch.

Zur Zeit der kommunistischen Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schiltal zu einem vom Staat stark geförderten Prestigeobjekt. Die Industrieregion, die jetzt durch ihre guten Verdienstmöglichkeiten viele rumänische Arbeiter anzog, vor allem aus der Moldau, wuchs weiter. Auch enteignete Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen fanden hier ihr Auskommen. Die Einwohnerzahl des Gebietes betrug 1965 bereits mehr als 140 000 Menschen, 1984 schließlich rund 155 000.

Allerdings kamen nicht alle Zuwanderer freiwillig. Manches Mal wurden mißliebige Personen zum Arbeitseinsatz in den Kohlenbergbau abgeschoben, ja, es sollen sogar vorzeitig entlassene Strafgefangene darunter gewesen sein.

Ceausescu führte gern Besucher ins Schiltal und hielt dort lange Reden. Des öfteren mußte er aber auch lautstarke Proteste aufmüpfiger Bergarbeiter beschwichtigen, die wirtschaftliche Forderungen durchzusetzen versuchten.

International gerieten die Bergarbeiter aus dem Schiltal aber erst nach der Wende in die Schlagzeilen: Im Juni 1990 lockte sie der Ceausescu-Nachfolger Ion Iliescu durch das Versprechen höherer Löhne und zusätzlicher Urlaubstage nach Bukarest. Angeführt von ehemaligen Securitate-Offizieren gingen sie dort mit äußerster Brutalität gegen oppositionelle Intellektuelle, vor allem Studenten, vor.

Ein von dem umtriebigen Gewerkschaftsfunktionär Miron Cozma angeführter zweiter Bergarbeitermarsch im September 1991 hatte den Rücktritt des „Reformflügels“ der Regierung Petre Romans zur Folge (s. auch OB 3/99, S. 6).

Heute ist aus der privilegierten Industrieregion von einst ein Notstandsgebiet geworden. Nur wenige Gruben und Industriebetriebe arbeiten noch. In Petroschen, wo nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Heizwerke entstanden waren, sind die großen Wohnblöcke seit etlichen Monaten unbeheizt.

Drei von vier Personen im erwerbstätigen Alter haben keine Arbeit, die Abfindungen wurden nicht selten in Alkohol umgesetzt. Überall zeigen sich Spuren der Verwahrlosung und des Verfalls. Die Not in vielen Familien ist groß, auch unter den Deutschen.

Für diese Bevölkerungsgruppe bedeutete das Ende des Zweiten Weltkrieges eine schmerzliche Zäsur. Sie verlor ihren Einfluß, und 1700 Schiltaler Deutsche wurden im Januar 1945 zum Arbeitseinsatz nach Rußland deportiert - eine Gedenktafel in der evangelischen Kirche in Lupeni erinnert daran.

Die aktuelle Größe der Minderheit läßt sich angesichts massiver Rumänisierungstendenzen und nach der auch hier zu verzeichnenden Aussiedlungswelle gen Deutschland nur schwer ermitteln. Anders als etwa im Banat, im eigentlichen siebenbürgischen Siedlungsgebiet oder in Bukarest gibt es im Schiltal bis heute keinerlei Deutschunterricht. Aus Angst vor Verfolgung wagten viele nicht, die Muttersprache an die nachfolgende Generation weiterzugeben.

Jüngere Deutsche sprechen meist Rumänisch und manchmal die angestammte Mundart der Eltern, aber kein Hochdeutsch. Deutsche Gottesdienste - für die evangelischen Christen ist die weit entfernte Pfarrei Broos (Orastie) zuständig - können nur in größeren Abständen stattfinden.

Dennoch gibt es im Schiltal einige Deutsche, die sich allen Schwierigkeiten zum Trotz für ihre Volksgruppenrechte stark machen. Im zurückliegenden Jahrzehnt enstanden in Petroschen, Vulcan und Lupeni Gliederungen des „Deutschen Forums“, die den Landsleuten wichtige Möglichkeiten zum geselligen Beisammensein bieten.

Der Forumssitz in Lupeni befindet sich im dritten Stock eines desolaten Wohnblocks. Nicht einmal einen Wasseranschluß gibt es. Die drei Räume müssen mit dicken Eisengittern gegen Einbrecher gesichert werden.

Um die Pflege der deutschen Muttersprache bemüht sich in vorbildlicher Weise die seit einigen Monaten amtierende neue Forumsvorsitzende. Die aus der Gegend von Bistritz in Nordsiebenbürgen stammende Frau hat einen deutschen Kinderchor gegründet, ist Kuratorin der evangelischen Gemeinde und kümmert sich trotz Krankheitsnöten in der eigenen Familie liebevoll um alte und kranke Landsleute.

Auch der Kunstmaler Josef Tellmann aus Kronstadt sollte im Zusammenhang mit den verbliebenen Deutschen im Schiltal nicht unerwähnt bleiben. Bis zu seinem Tod im Mai 2001 war er jahrzehntelang in Lupeni ansässig, gründete und leitete das örtliche Forum, beschäftigte sich mit der Geschichte des Tales und hielt die Industrieregion in aussdrucksstarken Kohlezeichnungen fest.

Eine Ermutigung und Stärkung für die Deutschen bedeuten die Gottesdienste, die ein einsatzfreudiger Pfarrer aus Österreich seit Jahren am Palmsonntag in Lupeni und manchmal auch in Petroschen hält. Jedesmal bringt er Hilfsgüter mit. Außerdem trug diese Verbindung wesentlich dazu bei, daß die evangelische Kirche in Lupeni gründlich renoviert werden konnte.

1946, ein halbes Jahrhundert nach der Einweihung der evangelischen Kirche in Petroschen, hatte der damalige Pfarrer Adriany in den Kirchlichen Blättern aus der evangelischen Landeskirche AB in Rumänien geschrieben: „Die Gemeinde Petroschen mußte stets um ihr Dasein ringen. Sie war unterstützungsbedürftig, aber auch unterstützungswürdig.“

Diese Aussage gilt noch heute, weitere 55 Jahre später, für die verbliebenen Reste deutscher Bevölkerung im oberen Schiltal.

Weitere Auskünfte erteilt die Autorin Dr. Hede Zeller, Leiterin des Arbeitskreises Stuttgart des „Vereins für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland“ (VDA): Gänsheidestr. 9, 70184 Stuttgart