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22.12.01 Vor 125 Jahren starb der Forscher und Lehrer Karl Ernst von Baer

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


Expeditionen in den Norden
Vor 125 Jahren starb der Forscher und Lehrer Karl Ernst von Baer

Karl Ernst von Baer, der gebürtige Balte, ließ sich durch Umstände und Elternwünsche dazu bestimmen, Mediziner zu werden, nicht aus Neigung. Es war keine innere Berufung, die er verspürt hätte; gerade darum fiel es ihm leicht, beizeiten das Fach zu wechseln und sich dem zuzuwenden, was ihn am stärksten anzog.

Man sagte, schon beim Knaben habe sich eine wahre Leidenschaft zum Botanisieren ent- wickelt. Da er seine Kindheit auf einem Gutshof verlebte, inmitten einer üppig wuchernden Flora, und man ihm die nötige Freiheit ließ, konnte er seinem Trieb hemmungslos folgen.

Das Gut führte den Namen Piep, auf dem er am 17. Februar 1792 zur Welt kam. Neben dem Umgang mit Tieren und Pflanzen war ihm das Glück geschenkt, sich in einer guten, harmonisch-geistigen Atmosphäre heranzuentwickeln. Was sonst noch zu einer gesicherten Lebensgrundlage nötig war, wurde ihm auf der bekannten Ritter- und Domschule in Riga zuteil.

Als es dann soweit war, an seine Berufsausbildung zu denken, fand Baer weder einen plausiblen Grund, noch sah er eine Möglichkeit, sich dem Wunsch der Eltern zu widersetzen; gehorsam bezog er als Zweiundzwanzigjähriger - nach einer anderen Version bereits 1810 - die Dorpater Universität, um das Medizinstudium zu betreiben. Es hatte den Vorteil, daß er, bis auf weiteres, dem Elternhaus nahe blieb.

Nun war die Universität in Dorpat erst kürzlich entstanden, aufgrund eines Dekrets Alexanders I., im Jahre 1802. Und es mag wirklich auch an den Mängeln gelegen haben, die dem jungen Institut noch anhafteten, wenn der verwöhnte junge Student keine rechte Freude am Studium fand. Er glaubte, anderswo würde es besser werden. So entschloß er sich, nach Wien überzusiedeln.

Karl Ernst war einer inneren Führung gefolgt, als er seinen Entschluß faßte, der in keiner Weise zu den Plänen und Vorstellungen seiner Eltern paßte, aber das wußte er damals noch nicht.

Wien war so liebenswürdig und zauberhaft - und auch ein bißchen leichtfertig wie eh und je.

Es war alles so verschieden von dem, was der junge Student als unsichtbares Reisegepäck aus der Heimat mitgebracht hatte, wo die männliche Jugend abgehärtet und naturverbunden, mit Pferden, Hunden, Flinte und Angel vertraut zu sein pflegte, streng gegen sich selbst, voll Respekt dem Geistigen zugewandt.

In den Hörsälen der Universität war er nur anfangs regelmäßig zu sehen. Dafür lockte ihn der Frühling und der aufkommende Sommer in die österreichische Bergwelt hinaus. Da war ein Blühen und Leuchten, ein Reichtum an Pflanzen, von dem er im rauhen Norden sich nicht hatte träumen lassen. Hemmungsloser denn je gab er sich seiner Leidenschaft hin, zu sammeln und zu bestimmen und zu werten, immer tiefer und andächtiger in die Geheimnisse der Natur einzudringen.

Eines Tages kam die entscheidende Studie für ihn, so unausweichlich und schicksalhaft, wie sonst nur die Liebe kommt.

Auf einem seiner ausgedehnten Streifzüge traf er zwei Herren, die sich der gleichen Beschäftigung hingaben; unversehens kam man in ein Gespräch. Die beiden Fremden wiesen sich als Jünger der Naturwissenschaft aus, die es bereits zu Rang und Namen gebracht hatten. Ein Wort gab das andere, man wanderte gemeinsam ein tüchtiges Stück, zeigte einander die gefundenen Schätze, fand eine Wirtschaft am Wege im Tal und setzte sich gemeinsam zu einem Mahl und einem Becher Wein nieder. Als sie sich trennten, hatte Karl Ernst alle Wünsche und Hoffnungen, Sorgen und Zwiespältigkeiten, seine Bedenken und Ratlosigkeit vom Herzen gesprochen.

„So gehen Sie doch zu Döllinger nach Würzburg!“

Das war der treffliche Rat, den die beiden Wandergefährten ihm gaben, und Baer zögerte nicht. Dieser Augenblick, dieses schicksalhafte Zusammentreffen wurde für ihn der Auftakt zu einer ruhmvollen Laufbahn, für die nur wenige Parallelen zu finden sind.

Würzburg war nicht Wien. Obwohl in die reizvolle, heiter wirkende Mainlandschaft eingebettet, war Würzburg doch eine strenge, nüchterne Stadt, Residenz der Fürstbischöfe und Herzöge, die Stadt Riemenschneiders, ein Ort strenger Gelehrsamkeit, an deren Universität Ignaz Döllinger sich als Student sein großes Wissen erarbeitete und auch von 1803 bis 1823 Anatomie lehrte.

Baer fand in Döllinger und durch ihn alles bestätigt, was er unbewußt in sich selber trug; Döllinger wurde der Erwecker seines geistigen Potentials und sein Führer. Es begann mit der Einführung in die vergleichende Anatomie. Ehrfurchtsvolles Staunen und Entzücken ergriff den jungen Schüler, als zum Beispiel bei der Sektion eines Blutegels der einfache Wurm ihm die wunderbare Präzision seiner inneren Organisation offenbarte, eine Erkenntnis, die sich immer wieder, bei allen neuen Versuchen und Experimenten bestätigte; das Meisterwerk einer Schöpfung, bei der alles von weit her angelegt und vorbedacht war.

Plötzlich fühlte Baer sich in seinem Element; da war nichts, was ihn abgestoßen oder enttäuscht haben könnte. So begründete er später eine wahrhaft wissenschaftliche Entwicklungsgeschichte der organischen Wesen. Die Krönung seiner Forschung war die Entdeckung der Fortpflanzung des höchsten irdischen Wesens, des Menschen, durch das besamte Ei.

Schon 1817 wurde Baer Prosektor an der Universität zu Königsberg, und zwar arbeitete er zuerst unter der Leitung von Professor Burdach, der aus Leipzig kam, 1811 als Professor nach Dorpat gegangen war und 1815 einem Ruf nach Königsberg folgte.

Königsberg wurde so etwas wie eine zweite Heimat für Baer. Die Aufgabe, in die er hineinwuchs, füllte ihn völlig aus; das ungetrübte Glück wurde ihm hier erstmalig zuteil, das jeder erfolgreich Schaffende spürte. Er besaß außerdem ein feines Gespür für geistige Atmosphäre. Die fand er hier, vor allem im Kreise der Menschen, in denen die Ausstrahlung, die von dem lebenden Kant ausgegangen war, noch lebensnahe nachwirkte; erst 1804 hatte man den großen Philosophen zu Grabe getragen.

In Königsberg fand Baer auch die Frau, die bereit war, sein ferneres Leben mit ihm zu teilen, ein Fräulein von Medem. Es ist nichts anderes bekannt, als daß sie eine glückliche Ehe geführt haben. Freilich kam eine Zeit, in der die liebende Frau Sorgen und Ängste um ihn ausstehen mußte; in den Jahren seiner Forschungsreisen. Siebzehn Jahre wirkte Karl Ernst von Baer in Königsberg, fünfzehn Jahre davon als Professor der Zootomie; er gründete das zoologische Museum und wurde Direktor des anatomischen Theaters. Eine kurze Unterbrechung erfuhr sein erfolgreiches Wirken in der Pregelstadt, da er 1829 einem Ruf nach Petersburg folgte, als Mitglied der kaiserlichen Akademie und Professor der Zootomie. Er kehrte aber schon nach einem Jahr nach Königsberg zurück.

Wie großen Wert man aber auf seine Mitarbeit in Petersburg legte, geht aus der Tatsache hervor, daß man ihn vier Jahre danach erneut beschwor, einen Lehrstuhl in der russischen Hauptstadt zu übernehmen, und Baer folgte dem Ruf; es war wohl ein lockendes Angebot, das man ihm machte, und die Petersburger Akademie der Wissenschaften war damals deutsch. Es war der gleiche geistige Wind, der hier, wie in Dorpat, wie in Königsberg, in Berlin und in Göttingen wehte. Von Petersburg aus unternahm er jene denkwürdigen Forschungsreisen, die einen Teil seines Lebenswerkes ausmachen, seine Erkenntnisse und Erfahrungen, die sein nachgelassenes Werk ungemein vertieften und für die gesamte Wissenschaft grundlegend waren.

Seine erste Expedition zielte in den äußersten, von lebenden Wesen bewohnbaren Norden, zu der Insel im nördlichen Eismeer Nowaja Semlja, zwischen Barentsee und Karischem Meer. Etwa ein Sechstel der Insel ist von Eis und Schnee bedeckt. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welche Strapazen es den Gelehrten gekostet hat, seine Untersuchungen zu führen, in monatelangen Bemühungen, ohne die technischen Hilfsmittel, derer man sich heute bedienen mag. Aber jeder Tag brachte neue Offenbarungen und tiefere Einsichten in die vollkommene Meisterschaft einer Organisation, in die auch der Mensch eingefügt ist.

1840 trat Baer eine zweite Reise nach Lappland an. Zuletzt fuhr er noch in den Süden Rußlands, ans Kaspische Meer, von dem er als erster eine ausgezeichnete Beschreibung gab.

1862 zog er sich ins Privatleben zurück, doch ernannte ihn die Akademie zu ihrem Ehrenmitglied. Nun nahm er mit seiner Familie Wohnung in Dorpat, wo er seine Laufbahn begonnen hatte.

Die Dorpater Universität ging zu dieser Zeit ihrer höchsten Blüte entgegen. Einer ihrer langjährigen Rektoren, Georg von Oettingen, berichtet: „... Wenn Natur- forscher, Theologen und Philosophen in einem jener reichen Dorpater Semester gemeinsam eine naturgeschichtliche Abhandlung Baers lasen, erhoben sich die Studenten von ihren Plätzen und hörten die Vorlesung stehend an.“ - Karl Ernst von Baer starb am 16. November 1876 in Dorpat. HUS

Königsberg: Hof der alten Universität. Dort lehrte der Balte Karl Ernst von Baer 17 Jahre lang, bis er einem Ruf nach St. Petersburg folgte (aus Ritzel: Studentenleben in Königsberg Pr.)

Blick auf die Stadt Dorpat :Dort begann die Laufbahn des Balten, dort starb er vor 125 Jahren (Kuperstich koloriert nach Karl August Senff; im Besitz des Estnischen Historischen Museums Tallinn/Reval)