20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.12.01 »Soweit die Füße tragen« Zeitgeschichte - spannend und bewegend : Der Buch- und TV-Klassiker kommt auf die Leinwand

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Dezember 2001


Neu in den Kinos:
»Soweit die Füße tragen«
Zeitgeschichte - spannend und bewegend : Der Buch- und TV-Klassiker kommt auf die Leinwand
von Hans Heckel

In den 70er und 80er Jahren hätte man so einen Film kaum machen können. Das Thema sei für jene Zeit einfach „zu deutsch“ gewesen, meint Produzent und Co-Drehbuchautor Bastian Clevé. Und jetzt? „Gehen“ deutsche Geschichten wieder?

Eindeutig ja, bestätigt Clevé. Es sei eine andere Generation heute. Viele Verkrampfungen hätten sich gelöst. Auch sei ein neues Interesse entstanden an Dingen, die noch vor zehn, zwanzig Jahren als „belastet“ - oder zumindest irgendwie unpassend - abgestempelt wurden.

„Soweit die Füße tragen“ war in den späten 50ern ein erster Straßenfeger des noch jungen deutschen Nachkriegsfernsehens. Die Geschichte des Soldaten Clemens Forell: seine russische Gefangenschaft, vor allem die dramatische Flucht aus dem Lager im entlegensten Winkel Ostsibiriens - über 14.208 Kilometer zurück in die Heimat.

Damals saßen noch viele vor den Bildschirmen, die dort einiges von ihrer eigenen Geschichte wiedererlebt haben. Erst wenige Jahre zuvor waren die letzten heimgekehrt. Anderen, deren Väter, Kameraden, Söhne, Brüder für immer „vermißt“ bleiben sollten, wird es das Herz zerrissen haben. Der Mehrteiler griff Menschen direkt an die Seele, die noch wußten um das Entsetzliche.

Später dann, das Jahr 1968 markiert den Bruch, übernahm die sogenannte „Vatermördergeneration“ das Heft in deutschen Film- und Fernsehstudios. Deutsche Soldaten - das hatten fortan Gestalten zu sein, die jenen aus der gegnerischen Kriegspropaganda aufs Haar glichen. Schnarrende, knarrende Uniformbestien ohne Herz und mit einem Verstand, den sie ausschließlich dazu gebrauchten, Scheußlichkeiten auszuhecken.

Ihre (aufgrund des allgemein bekannten Kriegsverlaufs leider nicht völlig abzuleugnenden) militärischen Leistungen mußten so dem sinistren Raubtierinstinkt und einer nicht zu überbietenden Rücksichtslosigkeit der Wehrmachtsangehörigen angerechnet werden. Sie hatten durchweg „Täter“ zu sein, wenn nicht aus eigenem Antrieb, so wenigstens aus Feigheit oder Ignoranz.

Es wird lange dauern, bis findige Psychologen plausible Erklärungen dafür gefunden haben, wie eine derart grobschlächtige, in Stein gemeißelte Verurteilung der eigenen Väter und Großväter quasi ganzen Generationen aufgetischt werden konnte.

Sicher - die Macht der Bilder, die Wucht der Emotionen. Den schaurig-aufregenden Spielfilmen und „Dokumentationen“ mit ihren Verzerrungen begneten die Väter und Großväter lediglich (und meist auch noch widerwillig) mit ziemlich trockenen Darstellungen des Landseralltags. Nicht selten verfielen sie dabei in einen Jargon, der den Nachgewachsenen nicht nur fremd war, sondern - nach entsprechender Instruktion durch Lehrer und Medien - auch höchst verdächtig.

Kam es zum Streit, endete dieser nicht selten in der spröden Abkanzelung: „Ihr habt doch sowieso keine Ahnung, wie das damals war!“ Ein etwas ungerechtes Urteil, denn „Ahnung“ heißt ja nicht „Wissen“. Damit jedoch ein heute Zwanzigjähriger wenigstens „ahnen“ kann, was es für den damals Gleichaltrigen hieß, in den eisigen Gräben vor Mos-kau, den brutalen Seeschlachten oder den grauenvollen Straflagern Sibiriens ständig dem Tod ins Auge zu sehen, muß es ihm in einer Weise vermittelt werden, die sein Innerstes auch erreicht. Bilder müssen her, die packen und nicht wieder loslassen.

„Soweit die Füße tragen“ übertrifft besonders hier seinen bescheiden ausgestatteten TV-Urahnen um Längen. Den Machern der Kinoverfilmung des autobiographischen Romans von Josef Martin Bauer, der hier seine über dreijährige Flucht vom Kap Deschnew beschrieb, ging es vor allem um Authentizität. „Vom Drehknopfschalter bis zum letzten Uniformdetail stimmt alles“, beteuert Produzent Bastian Clevé.

Sogar die Darsteller der deutschen Gefangenen sind selbst Soldaten. Nur keine deutschen, sondern weißrussische, in deren Land ein Großteil der Szenen gedreht wurde. Das erhöht nicht nur die Echtheit der Szenerie, es schonte vor allem das Budget. 15 Millionen Mark aber hat der Streifen dennoch verschlungen. „In Deutschland hätten wir den gar nicht drehen können, die Kosten wären uns davongelaufen“, so Clevé zum Ostpreußenblatt.

Das Geld war schon deshalb ein Problem, weil die Filmemacher sehr weitgehend ohne öffentliche Förderung auskamen. Förderung sei ja gar gut und schön, habe aber einen gravierenden Haken, erklärt Clevé: „Dann sitzen nämlich sofort die Fernsehproduzenten mit am Tisch, die von Anfang an den Dreiteiler im Kopf haben, den sie später aus dem Film machen können“. Dem Laien schwant jetzt, warum deutsche Leinwandfüller im Unterschied zu Hollywoodproduktionen oftmals so seltsam mickrig aussehen.

„Wir aber wollten großes Kino machen“, betont Clevé stolz. Seine Miene verrät die Überzeugung, daß das auch gelungen ist. Wer „Soweit die Füße tragen“ selbst gesehen hat, möchte respektvoll zustimmen. An den Drehorten in Weißrußland, Usbekistan, Nordkarelien, Bayern, Österreich und nicht zuletzt an der russischen Eismeerküste entfaltet sich ein grandioses Panorama. 11.490 Komparsen und 76 Schauspieler wurden von einem 277köpfigen Filmteam aufs äußerste strapaziert. Im Produktionstagebuch lesen sich Details wie „64.000 zurückgelegte Kilometer, Drehorte von minus 32 bis plus 52 Grad Celsius, 14.360 Flaschen Wodka (zum Desinfizieren, gegen Ratten, Kakerlaken, Zähne putzen im Eismeer, Schlafen bei Minusgraden), selten duschen, 40 Leute auf 60 Quadratmeter“.

Gefordert wird indes auch der Kinobesucher. „Soweit die Füße tragen“ verzichtet auf platte Gut-Böse-Klischees. Statt sich an einen strahlenden Helden kuscheln zu können, bleibt der Zuschauer gezwungen, sich ganz der tiefen Zerrissenheit des Gegenstands auszusetzen. Dabei geht der Film oft bis an die Grenzen. Veteranen wie Nachkriegsgenerationen wird einiges abverlangt. Nach dem Scheitern seines ersten Fluchtversuchs wird Forell (hervorragend dargestellt von Bernhard Bettermann) von seinen Mitgefangenen in einer Art Spieß- rutenlauf übel zugerichtet - sie hatten, wie wir erst kurz darauf erfahren, fünf Tage nichts zu essen bekommen. Die Szene schockt, hat mit „Kameradschaft“ wenig zu tun. Ob Nachgeborene so viel „Ahnung“ aufbringen, um die Wut zu fassen?

Die Gefangenen müssen in einem Bleibergwerk arbeiten - sich zu Tode arbeiten. Wer nicht schon bald umkommt, stirbt langsam an Bleivergiftung. Nach vier Jahren gelingt es Clemens Forell schließlich, in die Weiten der sibirischen Eissteppe zu entkommen, im Winter. Auf seiner Flucht begegnet er zwei entlaufenen russischen Sträflingen, jakutischen Ureinwohnern und im Kaukasus schließlich jenem Juden, der ihm einen falschen Paß zur Ausreise nach Persien besorgt und dafür mit dem Leben bezahlt. Auf der ganzen Flucht ist ihm der russische Oberleutnant Kamenew auf den Fersen. Am Ende stellt er ihn gar auf der Brücke nach Persien - und läßt ihn laufen.

Im persischen Täbris hält man Forell für einen russischen Spion und will ihn erschießen. Aller Hoffnung beraubt steht er aber plötzlich seinem Onkel gegenüber, der in Ankara tätig ist. Der erkennt ihn zunächst gar nicht, erst als Forell ihm gezeigte Familienfotos richtig zuordnet, glaubt ihm der Onkel. Zwei Tage vor Weih-nachten 1952 erreicht Forell schließlich seine Familie. Eine Abschlußszene, die selbst dem Kitschresistentesten durch Mark und Bein geht.

Das Thema selbst bürdete den Filmemachern das Problem auf, die erdrückende Weite, die endlose Wegstrecke und zur Verzweiflung treibende Ferne des Ziels spürbar zu machen, ohne langatmig zu werden. Das zu lösen ist ihnen professionell gelungen. Im ständigen Wechselbad von spannenden wie tief bewegenden Szenen nimmt der Kinobesucher die Überlänge von 158 Minuten kaum war.

Wenn „Soweit die Füße tragen“ einschlägt, hat Bastian Clevé schon das nächste Thema im Ärmel. Es soll dann abermals ein „deutsches“ sein: Die Vertreibung aus dem Osten, wahrscheinlich der Untergang der Gustloff: „Die Schinken aus den 50ern erreichen die Menschen heute nicht mehr.“ Es sei eine faszinierende Aufgabe, jene größte Schiffskatastrophe der Weltgeschichte zeitgemäß auf die Leinwand zu bringen. Wer am 27. Dezember aus dem Kino kommt, der wird Clevé und seinen Kollegen gern zutrauen, diese Herausforderung zu meistern. n

Zwischen Hoffnung und Todesangst: 14.208 Kilometer auf der Flucht - die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Clemens Forell

Überzeugt als Hauptdarsteller: Bernhard Bettermann