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05.01.02 Waltraut Rogge erzählt von den schweren Anfangsjahren in Australien

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Januar 2002


Heimweh nach Misken
Waltraut Rogge erzählt von den schweren Anfangsjahren in Australien

Eines Tages kam mein Mann Heinz nach Hause; er war so böse, ihm wurde immer mehr Arbeit aufgeladen. Er sagte: „Von allen Seiten werden wir herumgestoßen, im Betrieb, im Haus, ich habe die Nase voll.“ Einige von seinen Freunden waren damals nach Amerika ausgewandert, wir sollten das auch tun. Ich war nicht begeistert, mit zwei kleinen Kindern auszuwandern, aber dann dachte ich, daß es vielleicht die beste Lösung wäre. Amerika war ja nicht so weit. Aber wie das Schicksal es so wollte - als wir unsere Anträge einreichten, wurde uns gesagt, Amerika nähme im Moment keine Einwanderer auf, wir müßten warten.

Um diese Zeit kam ein Vertreter einer australischen Firma, um Geschäftsverbindungen in Deutschland aufzunehmen. Heinz sprach mit ihm und erwähnte unsere Ausreise. Dieser Vertreter hat Heinz dann überredet, nach Australien auszuwandern. Er schilderte das Land in den schönsten Farben. Es wären schon viele Deutsche dort, die schon 1830 ausgewandert waren. Wir würden uns in Australien bald zu Hause fühlen. Soweit stimmte alles, er hatte nur nicht erwähnt, daß der Zweite Weltkrieg die Beziehungen zwischen Deutschen und Australiern etwas getrübt hatte.

Wir haben dann die Anträge für Australien gestellt. Von dem Tag, an dem unsere Anträge bestätigt wurden, bis zur Ausreise hatten wir nur vier Wochen. Unsere wenigen Habseligkeiten aber waren schnell zusammengepackt. Eine Kiste mit Haushaltsgeräten durften wir mitnehmen.

Die Freude war groß, als nach einer langen Schiffsreise Land in Sicht kam. Wir hatten es geschafft! Von Melbourne aus wurden wir mit dem Bus in ein Auffanglager gebracht, das hieß Bonegella im Staat Victoria. Es bestand aus ausgedienten Armeebaracken. Waschgelegenheit war in einem Holzverschlag auf dem Hof. Keine Heizung, bitterkalt und Regen in Strömen, alle waren erkältet. Burkhard war zweieinhalb Jahre und Wolfgang erst 7 Monate. Beide hatten alle Kinderkrankheiten, die es nur gab, Bronchitis, Keuchhusten und Mittelohrentzündung.

Drei Monate waren wir in drei Lagern, das letzte lag in der Nähe von Adelaide. Ich fühlte mich in dieser Zeit nicht so wohl, aber der Lagerarzt hat das immer auf Klimawechsel geschoben. Dann ging ich mit den Kindern zum Arzt, der hat mich untersucht und hat mir mitgeteilt, daß ich „Klimawechsel mit zwei Beinchen“ hätte. Unser jüngster Sohn Manfred wurde dann im Januar 1955 geboren.Wir wohnten damals schon in einem kleinen Ort, der hieß Mt. Burr. Es wurde uns dort ein Haus und für Heinz Arbeit zugewiesen. Nun hatten wir zwar ein großes Haus, aber keine Möbel. Es gab hier eine Organisation, die für die Neuaustralier sorgten, von ihnen bekamen wir Bettgestelle und ausrangierte Armeebetten und ein paar dünne Decken. Glücklicherweise kam unsere Kiste mit Haushaltssachen dann auch an, die Kiste haben wir als Tisch benutzt.

Heinz hat für die Sägemühle Holz aus dem Wald gefahren. Weil die australische Regierung unsere Schiffsreise bezahlt hatte, mußten wir uns verpflichten, für zwei Jahre jede Arbeit anzunehmen. Also am Wochenende wurden Möbel gezimmert; in der Sägemühle konnten wir billiges Holz kaufen, so wurden Schränke und Regale gemacht und was wir nicht selbst machen konnten, wurde in der nächst größeren Stadt im Gebrauchtwarenladen gekauft.

Es war sehr warm und für uns, die wir diese Hitze nicht gewohnt waren, sehr ungemütlich. Es gab kein Leitungswasser, nur Regenwasser. Wir hatten zwei Regentonnen, aber das Wasser wurde tagsüber so warm, daß wir nicht einmal kühles Wasser hatten, um uns abzukühlen. Am frühen Morgen haben wir die Badewanne voll laufen lassen. So konnten wir uns tagsüber etwas mit Wasser abreiben. Die Kinder saßen viel in der Badewanne. Die Häuser hatten damals noch keine Klimaanlage. Ende Januar fing noch - wegen der großen Hitze - bei uns der Wald an zu brennen. Das Feuer kam auf unser Dorf zu, der Rauch war so dick, daß es mitten am Tag fast dunkel war. Es war beängstigend. Die Leute sagten, wenn das Feuer näher käme, müßte das Dorf geräumt werden. Gegen Abend aber hatte sich der Wind gedreht und das Feuer abgetrieben. Wir wurden verschont.

Eines Tages trafen wir in dem Laden, in dem wir unsere Einkäufe machten, eine „neu-australische“ Familie. Sie war Deutsche und er Jugoslawe. So hatten wir etwas Gesellschaft und konnten uns gegenseitig trösten, wenn wir mal mutlos waren, denn viele Australier waren nicht gerade deutschfreundlich. Die Kinder konnten wir nicht draußen spielen lassen, sie wurden mit Steinen beworfen oder Steine wurden aufs Dach geworfen.

Unsere Bekannten zogen dann nach Mt. Gabier, eine Kleinstadt in Südaustralien. Heinz fuhr ein Wochenende auch hin, um sich nach Wohn- und Arbeitsmöglichkeit umzusehen. Er hatte Glück und fand ein kleines Haus, sehr primitiv, aber wir wollten raus aus Mt. Burr. So haben wir es genommen, wenig später bekamen wir ein Besseres.

Die Feindseligkeiten haben dann etwas nachgelassen. Vielleicht hatte es auch geholfen, daß wir uns beim Einwanderungsamt beschwert hatten, daß sogar unsere Kinder darunter leiden mußten. Wenn das nicht besser würde, wollten wir wieder nach Hause. So hatten sie ein Einsehen und sagten, wir sollten noch etwas Geduld haben.

Mein Mann fand dann Arbeit bei einer Transportfirma, die große Lastzüge fuhren. Er fuhr die Strecke von Mt. Gambier nach Sydney und oft noch weiter und war meist nur an Wochenenden zu Hause. Die Arbeit wurde gut bezahlt, hat aber Gesundheit und Nerven gekostet. Als unsere Kinder alle zur Schule gingen, habe ich auch einen Job als Kindermädchen bei einer Doktorfamilie bekommen. Wenig später hat dann ein Jude das erste kontinentale Delikatessengeschäft in Mt. Gambier eröffnet und suchte Verkäuferinnen, die polnisch und englisch sprachen. Ich hatte mich beworben; englisch ging schon, polnisch damals auch noch und auch deutsch, so habe ich den Job bekommen.

Wir haben schwer gearbeitet, aber gut verdient und das Geld zusammengehalten. Heinz ist zehn Jahre für die Firma gefahren. Er war mit seinen Kräften und Nerven am Ende und brauchte Erholung. Er gab seinen Job auf, und wir zogen - auch wegen der Kinder - nach Adelaide. Dort konnten wir unser erstes eigenes Haus kaufen und ein eigenes Delikatessengeschäft übernehmen. Wir haben schwer gearbeitet, aber es hat sich gelohnt. Das Geschäft ist gut eingeschlagen, und bald schon hatten wir einen guten Kundenkreis, auch viele alte Deutsche. Die erzählten, daß ihre Vorfahren schon in den 1830er Jahren von Ostpreußen und Schlesien nach Australien gekommen wären. Damals war alles eine einzige Wildnis, überall gab es noch Eingeborene. Als wir kamen, haben wir kaum einen Eingeborenen gesehen, die meisten waren schon in Missionen zusammengefaßt oder haben auf den großen Stationen als Cowboys gearbeitet. Jetzt leben fast alle schon in den Städten und wollen immer mehr Geld und Entschädigung haben für das Land, was man ihnen wegnahm.

Inzwischen war Burkhard mit der Schule fertig und hatte sich entschlossen, zur Armee zu gehen. Er war die meiste Zeit auf Unterseebooten und wurde dann als Dieselingenieur ausgebildet. Der Jüngste, Manfred, kam eines Tages mit der Verkündung, er wolle auch zur Armee. Er ging dann auf die Kadettenschule und nach einem Jahr aufs Schiff. In wenigen Jahren war er schon Nachschub-Offizier. Dann machte er Kurse, um Computertechnologie zu lernen. Er hat dann später die neuen Rekruten gelehrt, mit dem Computer zu arbeiten. Beide haben 25 Jahre gedient und als Offiziere den Abschied genommen.

Wolfgang ist weiter zur Schule gegangen und technischer Zeichner geworden. Er hat dann im lutherischen Publikumshaus (Verlagsbuchhandel auf deutsch) beim Verlag gearbeitet. Jetzt lernt er um auf Informationstechnologie und sucht neue Arbeit.

Nun zu uns. Unser Geschäft lief gut, aber wir waren beide müde und abgespannt. Heinz klagte schon manchmal über Schmerzen in der Brust, aber der Arzt sagte, er brauche nur Ruhe, er arbeite zu viel. Nach fast zehn Jahren haben wir uns dann entschlossen, eine Ruhepause einzulegen. Den Delikatessenladen haben wir mit gutem Gewinn verkauft. Nach einem langen Urlaub in Deutsch- land ging es Heinz zuerst noch ganz gut, aber plötzlich fingen die Schmerzen in der Brust wieder an. Wir sind dann gleich zu einem Spezialisten und der sagte, Heinz müsse sofort operiert werden. Von dieser Bypass-Operation hat er sich nur schwer erholt. Wenige Jahre später mußte er nochmals operiert werden, eine Herzklappe hat nicht mehr gearbeitet. An Arbeit war nicht mehr zu denken, Heinz war erst 57 Jahre.

Als es ihm dann einigermaßen gutging, haben wir einige Reisen durch Australien gemacht, um unsere Wahlheimat etwas näher kennenzulernen. Wir fuhren bis nach Queensland in die „Tropische Gegend“, es war sehr schön dort. Die tropischen Regenwälder, die Fruchtplantagen, Bananen, Ananas, die Zuckerrohrplantagen, die vielen tropischen Blumen und Vögel, die Papageien in allen Regenbogenfarben. Es wäre schön, wenn es in ganz Australien so wäre, aber das Klima ist hier so verschieden.

Queensland im Sommer ist zu heiß, das kann nicht jeder vertragen. Der östliche Teil von Neu-Südwales ist auch noch teilweise tropisch, aber südwestlich ist es schon viel kühler. Victoria, Süd- und Westaustralien hat fast europäisches Klima, aber in North und Centrum ist es heiß und trocken, fast nur Sandwüste. Es regnet dort manchmal jahrelang nicht, und wenn es dann regnet, ist alles überschwemmt, weil der Boden so trocken ist. Aber nach dem Regen fängt die Wüste an zu blühen, in allen möglichen Farben. Die Blumen überleben in diesem heißen Boden.

Hier in Südaustralien haben wir ein gemäßigtes Klima, der Winter nicht so kalt und der Sommer nicht so warm. Im vergangenen Sommer allerdings hatten wir bis 45 Grad. Hier gibt es auch Plantagen mit Äpfeln, Birnen, Zitronen, Pfirsichen, Apfelsinen und viel Wein im Barossa-Tal, fast alles von alten deutschen Siedlern angepflanzt. Jetzt wohnen da auch viele Italiener, bauen Wein an, aber auch Gemüse für die Märkte in Adelaide.

Nicht weit von uns ist ein Dorf, das heißt Hahndorf, auch von Deutschen gegründet. Die Einwanderer haben es nach dem Kapitän benannt, der sie herbrachte. Ein lutherischer Pastor, der mit ihnen kam, ist dann mit allen über Berg und Tal gewandert, bis zu einem Platz, der ihnen gefiel und brauchbares Land war. Da wollten sie bleiben und haben das Dorf Hahndorf gegründet. Dem Kapitän wurde als Dank ein Denkmal gesetzt und dem Pastor eine Gedenktafel. Einige Siedler sind weiter gewandert und haben anderswo brauchbares Land gefunden. Das nannten sie dann Lobetal (gelobtes Tal).

Wenn wir mal Heimweh hatten, dann sind wir nach Hahndorf oder Lobetal gefahren. Dort fühlten wir uns unserer Heimat näher. Diese Orte sahen aus wie zu Hause, schön, sauber, mit schönen Blumengärten vor den Häusern, auch heute noch. Viele alte Häuser sind schon durch neue ersetzt worden. Weil es so schön gelegen ist, ist Hahndorf ein beliebter Ausflugsort geworden.

Heinz mußte sich nun zum dritten Mal operieren lassen, die Halsschlagader war verstopft, und das rechte Auge wurde blind. Davon hat er sich nie mehr richtig erholt. Nach zwei Jahren starb er dann, am 12. Mai 1996. Er war erst 68 Jahre alt. Meine beiden Söhne Wolfgang und Manfred wohnen in Adelaide, haben jeder zwei Kinder. Burkhard wohnt in Sydney und hat zwei Söhne. Alle sind gut zu mir, kommen mich oft besuchen und helfen mir im Garten und im Haus.

Nun fahre ich oftmals allein nach Hahndorf, auch beschäftige ich mich in der Kirche und in Altersheimen, helfe dort, wo es notwendig ist. Die alten Mütterchen sind so dankbar. Dann habe ich auch liebe Freunde, mit denen ich mich öfter treffe, oder sie kommen zu mir zu Kaffee und Kuchen und einem „Klönschnack“. Jetzt ist bei uns Winter, kalt und naß. Der Garten ist für den Winter fertig, und so habe ich auch Zeit zum Schreiben.

Und hat mich das Schicksal auch weit in die Welt getrieben, im Grunde bin ich doch trotz allem eine Miskerin geblieben! n

Waltraut Rogge, geborene Bahlo, stammt aus Misken, Kreis Johannisburg. Seit 1954 lebt sie mit ihrer Familie in Australien. Durch einen Zufall hat ein ehemaliger Nachbarsjunge, Kurt Zwikla, sie in dem fernen Kontinent ausfindig gemacht. In einem Brief schildert die Ostpreußin aus Misken ihren Neubeginn in Australien.

Im Kreise der Familie: Waltraut Rogge mit ihrem Mann Heinz und den Enkelkindern Foto: privat