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12.01.2002 Es ist ja nur eine Grippe oder wenn die Hausfrau einmal krank wird

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Januar 2002


Es ist ja nur eine Grippe oder wenn die Hausfrau einmal krank wird
von Hannelore Patzelt-Hennig

Zwei Tage hatte Julchen sich schon so hingeschleppt, dann ging es nicht mehr. Ein grippaler Infekt, meinte der Arzt. Eine Reihe Röhrchen und Fläschchen kamen auf den Nachttisch und Susannchen zur Omi. Neben einen Teller mit Orangen und Weintrauben stellte der besorgte Gerold eine Thermoskanne mit heißem Tee. Damit blieb Julchen sich aber selbst überlassen.

Auch der eheliche Abschiedskuß entfiel. Wegen Ansteckungsgefahr. Was zu verstehen war. Gerold hastete ins Büro. Er konnte sich keinen Ausfall leisten. Auch das war verständlich. Julchen lag nach seiner Auffassung wohlversorgt in ihrem Bett, und mit der Langeweile würde sie eben fertig werden müssen.

Sie wurde damit fertig, dafür sorgten ihre Gedanken und Ahnungen. Was würde sie heute nicht alles erledigen können! Gleich nachdem sie gehört hatte, daß Gerold mit dem Wagen aus der Garage heraus war, verließ sie zum ersten Mal das Bett; denn in allen Räumen brannten die Lampen ...

Eine Viertelstunde später schleppte sie sich ins Bad. Das brachte ihr einen gewaltigen Schüttelfrost ein. Mit festem Einwickeln in ihrem dicken Zudeck und einem kräftigen Schluck Tee versuchte sie ihn zu vertreiben. Ein rechter Trost war ihr jetzt der Gedanke, daß sie nun auf lange Sicht nicht das Bett zu verlassen brauchte. Der Postbote würde wohl kaum mit einem Lottogewinn vor der Tür stehen, was ein Grund gewesen wäre, es doch zu tun.

Mit dieser Mutmaßung hatte Julchen allemal recht, aber der Briefträger klingelte etwas später doch, und zwar mehrmals. Sie warf sich ihren Morgenmantel über und ging zur Tür. Was sie erhielt, war ein Einschreiben, für das der Gute natürlich eine Unterschrift brauchte. Und als Julchen durch die Diele ging, bemerkte sie, daß der Heizkörper unter dem Blumenfenster voll aufgedreht sein Bestes gab, um aus den seit drei Tagen nicht gegossenen Pflanzen Dörrgemüse zu machen. Auch der Berg eingesprengter Wäsche, der zur Heißmangel sollte, war wenig dazu angetan, beruhigend auf Julchens vom Fieber ohnehin schon erregtes Gemüt zu wirken. Die ungeputzten Schuhe standen am üblichen Fleck - ganz aus Gewohnheit. Heute wirkten sie dort eher wie eine Herausforderung.

Als Julchen ihr Bett wieder erreicht hatte, sank sie bleiern nieder, und in ihren Schläfen hämmerte es unerträglich. Nach Einnahme einer Schmerztablette druselte sie dann bald ein wenig ein. Da aber schrillte die Türglocke erneut. Doch jetzt blieb Julchen hart. Selbst das energische Wiederholen des Läutens brachte sie nicht dazu aufzustehen. Wer da draußen war, bemerkte sie erst, als der Betreffende wegging. Es war der Fern- sehmonteur, der schon über eine Woche auf sich hatte warten lassen. Daß er ausgerechnet an diesem Tag gekommen war, ärgerte Julchen nicht wenig. Mindestens ebensosehr wie die Tatsache, daß Gerold vergessen hatte, den übervollen Mülleimer hinauszubringen und den Abfallbehälter für die Müllabfuhr an die Straße zu stellen. Letzteres begriff sie, als die städtische Müllabfuhr ohne Halt an ihrem Haus vorbeibrauste.

Endlich war es achtzehn Uhr, der Zeitpunkt, zu dem Gerold für gewöhnlich heimkam. Das jedoch sollte sich an diesem Tag nicht ergeben. Er stellte sich erst eine Stunde später ein. Gerold hatte einen alten Studienfreund getroffen und war mit ihm auf ein Bier eingekehrt, wie er sagte.

Außerdem hatte er noch ein paar Salate geholt, um Julchen ein leckeres Abendbrot zu bereiten. Nicht die billigsten. Als Entschädigung, wie er sagte. Das Teewasser setzte er gleich auf, dann aber ging er sich rasch die Nachrichten im Fernsehen ansehen. Das zweite Programm brachte sie ja früher - der einzige Sender, der bei ihnen noch lief. Als Julchen in der Küche länger keine Geräusche hörte, erhob sie sich, um nachzusehen, warum es so war. Dort kochte das Wasser im Teekessel gewaltig, aber Gerold war nicht zu sehen. Sie fand ihn dann im Wohnzimmer in seinem Sessel. Er war eingeschlafen. Selig schlummernd saß er da. Julchen sagte nichts. Sie dachte nur: Ich wünschte, ich könnte das auch!