20.04.2024

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02.02.02 Preußen - wieder aktuell Teil III / Schluß

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. Februar 2002


Serie:
Preußen - wieder aktuell
Teil III / Schluß
von Albrecht Jebens

Auch wenn die Bundesrepublik von Anfang an als Gegengründung zu Preußen angelegt war, so strahlen bis heute preußische Werte auf unser Volk und den Staat hinüber, die insgesamt in der Tradition der Revolutionsverneinung wurzeln. Deutschland wurde durch den preußischen Staat bis heute revolutionsfest gemacht. So versteht sich alle deutsche Politik, auch von seiten parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition her, immer als Reformpolitik. Der Bürgerkrieg im Gefolge von Revolutionen ist schlimmer als die Tyrannis, deshalb vielleicht ist auch der Aufstand des preußischen Adels am 20. Juli 1944 mißglückt. Die Staatstreue der Bürger, ihr unbedingter Glaube an die Rechtschaffenheit der Regierenden ist ein weiteres, stabiles, den Staat garantierendes Element. Diese Staatsgesinnung aus lutherischen, calvinistischen und pietistischen Zügen hatte bereits vor 1918 die Katholiken und Arbeiter für den Staat gewonnen und selbst noch nach 1945 den raschen Wiederaufbau in den Nachkriegsrepubliken ermöglicht. Schließlich trägt auch der innere Aufbau, die Verwaltungsgerichtsbarkeit bis heute preußische Züge, während die Bundeswehr jede wirklich lebendige preußisch-deutsche Armeeüberlieferung abgelehnt hat.

Es dürfte unstrittig sein, daß damit bis in unsere Gegenwart hinein preußische Werte und Tugenden unseren Staat stabilisieren. Preußen ermahnt mit seinem Ehren- und Sittenkodex, mit seinem Charakter und seiner Rechtsstaatlichkeit selbst über 50 Jahre nach seiner Auslöschung unzählige Bürger immer noch zu energischer Selbstbehauptung, zu innerer Haltung, zur Wertschätzung von Arbeit, zu Sparsamkeit, Schlichtheit und Bescheidenheit. Alle diese „Sekundärtugenden“ blühen oft nur noch im verborgenen, sie bewähren sich aber immer noch als Bindemittel in der Gesellschaft des citoyen, des selbstbewußten wachen Bürgers.

Es ist indessen die Tragik, daß preußische Charaktere in der Politik, in der Kultur, im Militär nicht nur nicht zum Zuge kommen, sondern konsequent ausgegrenzt oder neutralisiert werden, so daß der sich abzeichnenden Auflösung unseres Gemeinwesens nicht wirksam begegnet werden kann, auch und gerade nicht von den Parteien her. Die politische Klasse unseres Landes hat sich von dem Bewußtsein einer Volksvertretungsherrschaft schrittweise immer weiter entfernt, sie versteht sich im Grunde genommen bereits als Oligarchie und nimmt nun die Züge einer Ochlokratie an, wobei diese unübersehbar deutlich teilweise anarchische, teilweise totalitäre Merkmale trägt.

Bereits 1981, im Zuge der Berliner Preußenausstellung im Gropius-Bau, hatte es ernstzunehmende Rückerinnerungen an Preußen gegeben, vor denen niemand anders warnte als der Enkel des großen Historikers Theodor Mommsen, Wolfgang Mommsen. Diese Warnungen übernahm der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl, der versprach, die „Nationalen“ in Deutschland keiner politischen Auseinandersetzung zu würdigen, sondern sie politisch einer „medizinischen Behandlung“ zu unterziehen, was ihm von 1982 bis 1998 auch fulminant gelungen ist, indem er die zarten Pflänzchen konservativen und nationalen Denkens zerstörte, auch innerhalb seiner Partei.

Es stellt sich daher die Frage, wie das Gemeinwohl heute noch wirksam definiert werden kann, und von wem. Immerhin ist solch ein Interesse vom Verfassungsschutz bereits zu einem Kriterium verfassungswidrigen Denkens erhoben worden. Die Folgen dieser Gemeinwohlverweigerung werden alle Bürger eines Tages zu bezahlen haben, und zwar dann, wenn die Zustände denen gleichen, die am Ende des Mittelalters mit der Auflösung der damaligen, religiös getragenen Gesellschaftsordnung herrschten.

Das Hauptproblem besteht jedoch darin, daß das Preußische nicht beliebig verfügbar ist, nicht wie ein Lichtschalter wieder eingeschaltet werden kann, nachdem er jahrzehntelang abgeschaltet war. Die preußischen Werte müssen, um ihnen wieder Geltung zu verschaffen, über den privaten Lebensbereich hinaus wieder zu Staatstugenden erhoben, gelebt, vorgelebt, durchgesetzt werden. Das würde den Umbau unseres Staates bedeuten, einen Umbau, den zu denken oder gar zu propagieren heute schon eo ipso als „verfassungsfeindlich“ gelten kann. Unser Staat müßte nach dem Vorbild des preußischen Absolutismus reformiert werden zu einer absoluten Republik mit einem Präsidenten, der eine Amtszeit hätte vergleichbar denen der preußischen Könige. Er müßte die Einheit von Souveränität und Repräsentation in seiner Person verkörpern und mit einem Kabinett von Fachministern regieren, die er einsetzen und auswechseln könnte. Hinter den Ministern müßten Kammern stehen, die zur Hälfte bestellt und zur Hälfte durch die zugehörigen Verbände gewählt werden müßten. Insgesamt müßte die ehedem fruchtbare Spannung zwischen Gemeinwohl und Individualwohl wieder neu befestigt werden, müßten die Pflichten den Vorrang vor den Rechten haben.

Der Versuch, Preußen noch während der Weimarer Republik geistig neu zu gründen, wie es Arthur Moeller van den Bruck vorschwebte („Preußen ist ohne Mythos. Aber Preußen ist ein Prinzip in der Welt“, 1915) ist bekanntlicherweise mißlungen, mit allen schlimmen Folgen. Moeller van den Bruck hatte gehofft, die universale Reichsidee, den „Sozialismus des Volkes“ und die Überwindung von links und rechts mit der preußischen Staatsidee zu einem neuen Dritten Reich zu verschmelzen. Er sah dabei, wegen des Schwunds religiöser Bindungen, in Preußen den modernsten, bewährtesten Motor solcher Staatserneuerung, was sich bereits 1915 hellsichtig in den wiederholten Stoßsätzen „Aber Preußen muß sein“ und in dem Schlußbekenntnis manifestierte: „Preußentum: das ist der Wille zum Staat, und die Erkenntnis des geschichtlichen Lebens als eines politischen Lebens, in dem wir als politische Menschen handeln müssen. Preußen muß sein.“ (Moeller van den Bruck, S. 202.)

Vergessen ist heute die Erkenntnis von Hans Joachim Schoeps, die dieser 1951 bei seiner Festrede in Erlangen zum 250. Geburtstag des königlichen Preußen aussprach, daß ohne den großen Bestand an preußischem Ethos und Pflichtbewußtsein der ostdeutschen Heimatvertriebenen der westdeutsche Staat angesichts der Unrechtsordnung in der Besitzgüterverteilung in eine blutige Sozialrevolution geraten wäre, womit Stalin übrigens gerechnet hatte, dessen Kalkül aber noch vom sterbenden Preußen durchkreuzt wurde.

Es ist nicht nur als großes Versäumnis, sondern als politischer Fehler allerersten Ranges anzusehen, daß die politische Klasse der Bundesrepublik den Zusammenbruch der DDR und die darauf folgende (kleine) Wiedervereinigung nicht für eine Renaissance nationaler Politik auf der Grundlage Preußens genutzt hat, aus welchen Gründen auch immer. Diese einmalige Chance wurde verspielt, der „Geist von 1813“ wurde nicht zu neuem Leben erweckt.

Es mag sein, daß eine Neubesinnung auf Preußen erst dann erfolgen wird, wenn sich das Lebensgesetz der heutigen Bundesrepublik und mit ihr der großeuropäischen Union vollendet haben wird. Oder, um es noch einmal mit Hans Joachim Schoeps zu sagen, der 1976 in seiner Abhandlung „Was war Preußen?“ resümierend feststellte:

„Die Überwindung der Massengesellschaft wird in unserem Geschichtsraum vielleicht überhaupt nur noch vom Geist, von den Ideen und Institutionen des Preußentums her möglich sein. Denn Preußen war der einzige deutsche Staat, der mehr als ein Staat war, mit dem sich eine Idee verknüpft hat, durch die Menschen gebunden wurden und noch heute gebunden werden können (...). Derlei ist heute vollkommen unzeitgemäß - aber gefordert. Gerade die Unzeitgemäßheit ist paradoxerweise die größte Chance für Preußens Wiederkehr.“

Wir müssen daran arbeiten, daß dann die richtigen Persönlichkeiten, preußische Charaktere, zum Wohl unseres Volkes und Staates bereitstehen.

Friedrich Werner Graf v. der Schulenburg vor dem Volksgerichtshof, der ihn zum Tode verurteilen wird: Scheiterten er und die anderen Männer des 20. Juli 1944 an der preußischen Tradition der Revolutionsverneinung?