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16.02.02 Die wirre Story um den »dunklen Punkt« von U 995

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Februar 2002


Vergangenheitsbewältigung:  
Geschichte muß halt Klischee passen
Mit dubiosen Methoden versucht ein NDR-Team, den Ruf eines Oberleutnants a. D. zu ruinieren: Die wirre Story um den »dunklen Punkt« von U 995
von Jochen. Arp

Wenn sich in unseren Tagen Journalisten mit Ereignissen des Zweiten Weltkrieges befassen, dann muß man von vorneherein auf Schlimmes gefaßt sein. Nicht nur, daß diese Journalisten, ob sie nun für Zeitungen arbeiten oder für Fernsehsender, in der Regel keine fundierte historische Vorbildung haben und auch ansonsten in militärischen Fragen denkbar unbewandert sind. Sie fühlen sich nicht selten auch noch verpflichtet, die bisher schon geäußerten Diffamierungen der Soldaten der ehemaligen deutschen Wehrmacht auch noch zu übertrumpfen.

Dabei scheren sich zahlreiche Medienmacher weder um einwandfreie Quellen noch um die Aussagen von Zeitzeugen. Sie basteln sich ihr Bild jener Zeit selbst zurecht und kennen dabei keine andere Richtschnur als die der „politischen Korrektheit“. Jeder eifert Philipp Reemtsma und seinem Helfershelfer Hannes Heer nach, obwohl diese Leute mit ihrer Ausstellung schimpflich gescheitert sind.

Ein neues Beispiel für den unverantwortlichen Umgang mit angeblichen historischen Ereignissen lieferte jüngst das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein des Norddeutschen Rundfunks.

Am 19. September 2001 sendete das Schleswig-Holstein-Magazin des NDR einen Bericht über das weithin bekannte, vor dem Marineehrenmal Laboe aufgestellte letzte deutsche U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg, das U 995, das seit seiner Aufstellung als technisches Museum von über zehn Millionen Menschen besichtigt wurde. In der nur wenige Minuten dauernden Sendung erfuhr der staunende Zuschauer, daß die Geschichte von U 995 angeblich einen „dunklen Punkt“ auf- weise, ja, sogar ein „Geheimnis“. Der letzte Kommandant, der damals 21jährige Oberleutnant zur See Hans Georg Hess, dem der NDR vorwarf, ein „Draufgänger“, ja, ein „Hitlerjunge Quex“ gewesen zu sein, habe nämlich nicht mehr und nicht weniger als „einen Mord“ zu verantworten.

Wenige Tage nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945 lag das Boot zusammen mit anderen Schiffen der Kriegsmarine in Norwegen; die Mannschaft befand sich in britischer Kriegsgefangenschaft. Da habe „ein junges Besatzungsmitglied seine norwegische Freundin besucht“. „Man stöbert ihn auf“, so der NDR. Und weiter: „... Die Offiziere des Bootes bringen ein Besatzungsmitglied dazu, den jungen Mann zu erschießen. Ein Femegericht. Der Tote, Karl Brachmann, wird in Tuch gehüllt und in den Fjord geworfen.“ Wörtlich NDR: „Der Kommandant hatte, so ein Zeuge, die Besatzung vergattert, unbedingt Stillschweigen über diesen Mord zu bewahren.“ Der NDR beruft sich dabei „auf den Todesschützen“, der angeblich jetzt über den Fall gesprochen habe, „ohne sich allerdings zu offenbaren“. Und noch einmal wird auf den Kommandanten, den Ritterkreuzträger Oberleutnant Hess, draufgeschlagen, indem der NDR formuliert, daß er „für den Tod eines seiner Besatzungsmitglieder verantwortlich ist“.

Nun konnte der damalige Oberleutnant z. S. Hess seinerzeit die Sendung nicht sehen, worauf sich offenbar der NDR verlassen hatte, da sie nur in Schleswig-Holstein ausgestrahlt wurde, der jetzige Dr. jur. Hess aber in Niedersachsen wohnt. Er wurde allerdings von mehreren Kameraden auf die unglaubliche Sendung hingewiesen, erbat daraufhin eine Video-Aufzeichnung der Sendung, die ihm auch nach langem Zögern durch den NDR überlassen wurde.

Für ihn stellen sich allerdings die Ereignisse von damals ganz anders dar, und seine Sicht der Dinge hat den Vorteil, daß sie durch ein damals durchgeführtes Gerichtsverfahren erhärtet wird. Der NDR hatte es vorsichtshalber nicht für nötig gehalten, den von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt schwer belasteten Zeugen selbst zu befragen.

Auch nach dem 8. Mai 1945 mußte die Disziplin innerhalb der nunmehr in Gefangenschaft befindlichen deutschen Soldaten in Abstimmung mit der britischen Armee aufrechterhalten werden, weil sonst das allgemeine Chaos ausgebrochen wäre. So war es ausgeschlossen, daß jeder, der dazu Lust hatte, die Uniform an den Nagel hängte und sich auf den Weg nach Hause machte. Es war die ordnungsgemäße Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft abzuwarten. Die Befehlsgewalt der deutschen Offiziere und über ihnen die der britischen Siegermacht galt uneingeschränkt.

Nach der Darstellung von Dr. Hess war wenige Tage nach der Kapitulation der Maschinenmaat Brachmann verschwunden. Man suchte nach ihm und fand ihn bei seiner norwegischen Freundin. Er wurde festgenommen und in einem Holzschuppen untergebracht, vor den man einen Posten stellte. Der Kommandant ermahnte Brachmann, die anstehende Untersuchung wegen der Desertion abzuwarten und keinen Unsinn zu machen.

Brachmann befolgte diese Ermahnung nicht, sondern brach aus und griff den Wachposten an. Der konnte sich des Angriffs nicht anders erwehren, als daß er mit seiner Pistole auf Brachmann schoß, wobei Brachmann tödlich verwundet wurde. Als der Vorfall dem Kommandanten gemeldet wurde, unterrichtete er unverzüglich seine vorgesetzte Dienststelle und auch die britische Siegermacht, die den Oberbefehl über das Lager hatte. Es wurde ein offizielles Gerichtsverfahren eingeleitet, das nach Anhörung von mindestens zwei Maaten (= Unteroffizieren) des U 995 oh- ne Schuldspruch abgeschlossen wurde. Damit war der Fall geklärt.

Nun ist eine Desertion für keine Einheit der Streitkräfte, gleichgültig welcher Nationalität, ein Ruhmesblatt. Daraus erklärte es sich wohl, daß der Kommandant seiner Mannschaft nahelegte, das Ereignis nicht an die große Glocke zu hängen. Von einer „Vergatterung“ zu „unbedingtem Stillschweigen über den Mord“, wie der NDR behauptete, konnte keine Rede sein, zumal es sich erwiesenermaßen nicht um einen Mord gehandelt hatte.

Nun hätte der Norddeutsche Rundfunk, wenn er denn ein historisches Ereignis sachlich und fair hätte schildern wollen, die Gelegenheit gehabt, den damaligen Tatbestand aufzuklären, indem man sich etwa ans Militärgeschichtliche Forschungsamt gewendet hätte, um in die damaligen Akten Einblick zu nehmen. Die Journalisten hätten wenigstens den beschuldigten Kommandanten, Dr. jur. Hess, auch befragen müssen - aber nichts davon! Man handelte offenbar nach der für Revolverjournalisten typischen Devise: Ich lasse mir doch durch Recherchen nicht meine Geschichte kaputtmachen! Es ging nur darum, einen untadeligen, hochdekorierten deutschen Offizier zu verleumden, und dazu brauchte man sich an keine Regeln für einen fairen Journalismus zu halten.

Und diese Regeln gibt es. Der Deutsche Presserat hat sie aufgestellt, an sie sollte sich ein fairer Journalist halten. Dazu gehört die Forderung an Journalisten, daß sie die Wahrheit und die Wahrung der Menschenwürde achten sowie gründlich und fair recherchieren.

Nun mag es formal richtig sein, daß der Deutsche Presserat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht zuständig ist, doch gelten sinngemäß solche Regeln auch für die dort tätigen Redakteure und Autoren. Um bei Verstößen einzuschreiten, gibt es die Rundfunkräte, die jeder der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugeordnet sind und sich zusammensetzen aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen.

Der durch den Norddeutschen Rundfunk diffamierte Hans Georg Hess wandte sich daher zunächst an den Norddeutschen Rundfunk selbst, um eine Richtigstellung der falschen Tatsachenbehauptungen zu verlangen. Der NDR drehte und wand sich, behauptete zunächst, das eingereichte Richtigstellungsbegehren bzw. das Gegendarstellungsbegehren entspreche formal nicht dem NDR-Staatsvertrag, (was falsch war), und verlangte, Hess möge nachweisen, daß seine Auffassung der Ereignisse den Tatsachen entspreche. Ein erstaunliches Verfahren: Da verbreitet der NDR falsche Tatsachenbehauptungen, ohne einen einzigen seriösen Beweis dafür vorzulegen (außer einen anonymen angeb-lichen Zeugen ins Feld zu führen), erwartet aber vom Diffamierten Belege für dessen Sicht der Ereignisse.

Hess hatte sich gleichzeitig an das Kontrollgremium des NDR, den Rundfunkrat Schleswig-Holstein des Norddeutschen Rundfunks, gewandt und verlangt, man möge den verantwortlichen Redakteur des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein des NDR rügen, weil er sich nicht an die Regeln für einen fairen Journalismus gehalten habe.

Um aus der Bredouille zu kommen, bot jetzt der NDR dem ehemaligen U-Boot-Kommandanten an, seine Darstellung in die Kamera zu sprechen. Zu diesem Behufe besuchte ein Fernseh-Team unter Leitung des schon für die erste Sendung verantwortlichen Redakteurs Hess in seiner Wohnung. Vierzig Minuten lang schilderte Hess auf Befragen des NDR-Mannes seine Sicht der Ereignisse.

Am 13. Januar 2002 wurde nicht etwa eine Gegendarstellung von Hess im NDR gesendet, sondern ein neuer Beitrag über U 995. Von den aufgenommenen vierzig Minuten des Gesprächs mit Hess blieben alles in allem nicht mehr als eineinhalb Minuten übrig. Alle anderen Schilderungen über das damalige Geschehen fehlten. Statt dessen wurde ein Historiker der Universität Kiel, der sich intensiv mit dem Seekrieg beschäftigt hatte, mit einem einzigen Satz gezeigt, in dem er von einem „Kartell des Schweigens“ spricht.

Nur diese nichtssagende Sentenz hielt der NDR für sendewürdig, was verständlich wird, wenn man erfährt, daß der Historiker hundert Minuten lang vom Fernseh-Team des NDR befragt worden ist und dabei zu dem eindeutigen Schluß kam, daß man keineswegs von einem Kriegsverbrechen beim Fall Brachmann sprechen könne. Das paßte den NDR-Machern nicht in den Kram, und so fiel es weg.

Statt dessen zitierten sie einen früheren U-Boot-Kommandanten namens Lange, der später in der Bundesmarine Karriere gemacht hatte und sich nun wohl verpflichtet fühlte, seinen damaligen Kameraden dadurch herabzusetzen, daß er zwar zu dem Vorfall selbst überhaupt nichts sagen konnte, dafür aber Hess und einem anderen U-Boot-Kommandanten nachsagte, auf ihren Booten hätten „NS-Allüren“ geherrscht, was immer das sein mochte.

Auch in der zweiten Sendung brachte der NDR keinerlei Beweis für seine Behauptung, jener Maat sei ermordet worden. Wieder wird ein angeblicher Zeuge zitiert, wieder ohne seinen Namen zu nennen. Verschwiegen wird vom NDR, daß es eine gerichtliche Untersuchung des Falles gegeben hat, aus dem klipp und klar hervorging, daß es sich keineswegs um Mord gehandelt habe. Trotzdem blieb der NDR dabei, es gebe zwei Darstellungen des Ereignisses; die Angelegenheit sei ungeklärt.

Genau das ist sie nicht. Es gibt eine korrekte, den Tatsachen entsprechende Darstellung, hinter der der Kommandant mit seinem Namen ebenso steht wie das Ergebnis der gerichtlichen Untersuchung, und eine vom NDR behauptete in vielen Tatsachenbehauptungen erwiesenermaßen falsche Darstellung eines anonymen Zeugen.

Damit ist für den NDR die Angelegenheit offenbar erledigt. Der Kommandant, Oberleutnant z. S. Hess a. D. bleibt zumindest im Zwielicht. Wollte er noch eine Gegendarstellung durchsetzen, müßte er sich auf langwierige Gerichtsverfahren einlassen.

Auch das Kontrollgremium des NDR, der Rundfunkrat Schleswig-Holstein des Norddeutschen Rundfunks, wies die Beschwerde von Hess zurück. Hess’ Vorwurf, man hätte auch ihn vor der ersten Sendung befragen müssen, wird mit der fadenscheinigen Behauptung entschuldigt, der NDR habe gedacht, Hess würde sich „mit unbekanntem Wohnsitz in den Vereinigten Staaten aufhalten“. Seit Jahrzehnten ist er, der zeitweise Geschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer war, mit seiner Anwaltskanzlei nicht einmal 200 Kilometer vom Sitz des NDR-Justiziariats ansässig und war jederzeit über die Telefonauskunft erreichbar.

 

Mit fadenscheinigen Behauptungen abgespeist: Hans Georg Hess wollten die NDR-Macher angeblich nicht erreicht haben, dabei wohnt er seit jeher mitten in Norddeutschland. Unser Foto oben zeigt Hess heute, links als jungen Offizier der Kriegsmarine. Fotos (2): privat