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16.02.02 Im Gespräch: Rudolf Weiss / Gegenwart und Zukunft der Donauschwaben in der Wojwodina

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Februar 2002


Im Gespräch: Rudolf Weiss
Minderheit im Aufbruch
Gegenwart und Zukunft der Donauschwaben in der Wojwodina

Herr Weiss, wie lebt es sich als Deutscher in der Wojwodina? Das Verhältnis zwischen Serben und Deutschen ist ja in den letzten Jahrzehnten nicht gerade das beste gewesen.

Weiss: Seit der Wende und dem Abgang von Milosevic bestehen keine Schwierigkeiten mit den Behörden mehr. Extremisten gibt es überall, auch in der Wojwodina, aber diese Radikalisierung kommt nicht vom Staat. Man kann heute ohne Angst sagen: „Ich bin ein Deutscher!“ Wenn jemand etwas anderes behauptet, sehe ich dies als Ausrede, nichts für das Deutschtum in der Wojwodina tun zu können.

Im vergangenen Jahr hat die jugoslawische Regierung den Entwurf für ein neues Minderheitengesetz vorgelegt. Was ist daraus geworden?

Weiss: Unserer Meinung nach genügt der Bundesgesetzentwurf für nationale Minderheiten höchsten europäischen Standards. Bislang steht das Erreichte allerdings nur auf dem Papier. Wir haben die Sorge, im Bundesparlament könnten einschränkende Gesetzeszusätze verabschiedet bzw. bestimmte Zugeständnisse an die Minderheiten gestrichen werden.

Was würde das Gesetz für die Deutschen bringen?

Weiss: Für uns wäre die mit dem Gesetz verbundene Anerkennung des Status als nationale Minderheit eine symbolische Genugtuung. Nach den Vernichtungs- und Todeslagern für die Deutschen, nach Enteignung und Vertreibung, den Morden an mindestens 110 000 donauschwäbischen Kindern, Frauen und Greisen im Tito-Jugoslawien brauchen wir wenigstens eine solche moralische Wiedergutmachung.

Die Zahlenangaben zu den verbliebenen Deutschen im jugoslawischen Teil des Banats und der Batschka schwanken sehr. Wie hoch sind Ihre eigenen Schätzungen?

Weiss: Laut Volkszählung von 1991 leben in der Bundesrepublik Jugoslawien 5400 Deutsche, davon 4000 in der Wojwodina. Unserer Einschätzung nach liegt die tatsächliche Anzahl zwischen 10 000 und 12 000. Der für April 2002 geplante Zensus ermöglicht hier hoffentlich ein genaues Bild. Wir rufen unsere donauschwäbischen Landsleute im persönlichen Gespräch und in Appellen in den Medien immer wieder dazu auf, sich ohne Ängste zu ihrer Volkszugehörigkeit zu bekennen.

Sie sind seit Anfang 1997 Vorsitzender des neugegründeten „Deutschen Volksverbandes“ mit Sitz in Maria-Theresiopel (Subotica). Welches sind die Schwerpunkte der Verbandsarbeit?

Weiss: Der Volksverband ist eine Interessenvertretung der Deutschen in Jugoslawien. Unsere Ziele sind: Erhalt der deutschen Identität, Pflege der Sprache, der Sitten und Kultur der Donauschwaben. Wir setzen uns dafür ein, daß wir Deutsche tapfer zu unserem Deutschtum stehen.

Was heißt das im einzelnen?

Weiss: Es heißt zum Beispiel, sich dafür einzusetzen, daß in der Wojwodina Gedenkstätten an Orten errichtet werden, an denen großes Unrecht an den Donauschwaben begangen wurde. Wir wollen verhindern, daß jede Spur unserer jahrhundertelangen Anwesenheit in dieser Region verwischt wird.

Auf welche Erfolge kann Ihr Verband zurückblicken?

Weiss: Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt der Pflege der deutschen Muttersprache, weshalb der Volksverband seit 1997 kostenlose Sprachkurse für Kinder und Erwachsene organisiert. Wir haben eine eigene Bibliothek mit mehr als 3000 deutschsprachigen Büchern, Zeitschriften und Zeitungen. Außerdem verfügen wir über unseren Chor „Lorelei“.Im April 1998 war es dieser Chor, der erstmals nach 55 Jahren in der Wojwodina in den eigenen Trachten deutsche Lieder gesungen hat. Am 25.Dezember desselben Jahres ist in Jugoslawien die erste Rundfunksendung in deutscher Sprache unter dem Titel „Unsere Stimme“ gesendet worden. Man kann uns seitdem jeden Freitag eine halbe Stunde lang hören. Zuletzt entstand 2001 eine deutsche Jugendtheatergruppe. Seit der Gründung des Deutschen Volksverbandes wurden zahlreiche Vorträge, Lesungen, Ausstellungen, Musik- und Filmabende und Buchpräsentationen veranstaltet. Unsere Internet-Seite ( www.dvvstimme.org.yu ) findet jeden Tag Interessenten.

Gibt es Verbindungen zu anderen Vereinigungen in der Wojwodina oder jenseits der Staatsgrenzen, die ähnliche Ziele verfolgen?

Weiss: Außer uns gibt es serbische Organisationen wie das „Banater Forum“ aus Pantschowa, die sich für die hier lebenden Deutschen einsetzen. Ebenso hegen Minderheitenverbände der Ungarn und Kroaten in der Wojwodina Sympathien für unsere Anliegen. Besonders gute Kontakte unterhalten wir zu donauschwäbischen Vereinen und Kulturinstitutionen in Deutschland, Österreich, Ungarn, Kroatien und Rumänien.

Inwieweit erfuhr der Volksverband bzw. die Minderheit allgemein staatliche oder private Hilfe aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich?

Weiss: Gegenfrage: Sind Versprechungen, die wir von offiziellen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland erhalten haben, schon eine Hilfe? - Wohl nicht. Gott sei Dank kommt in jüngster Zeit endlich Unterstützung seitens der Donauschwäbischen Kulturstiftung in München. Außerdem will die Österreichische Landsmannschaft zusammen mit der Südtiroler Landesregierung in Subotica einen deutschsprachigen Kindergarten unterhalten.

Wie bewerten Sie die Pläne zur Wiederherstellung der Regionalautonomie der Wojwodina?

Weiss: Die Wiederherstellung der Regionalautonomie unterstützen wir voll und ganz. Die Wojwodina mit ihren 2,2 Millionen Bewohnern, 26 verschiedenen Nationalitäten und 18 Konfessionen und mit einer um 35 Prozent höheren Wirtschaftsproduktion als Serbien verdient zumindest eine starke Autonomie von Serbien. Einiges bewegt sich in die richtige Richtung: So umfaßte der Haushalt für die Provinz 2001 lächerliche zehn Millionen DM, während er sich für 2002 nach harten Verhandlungen mit Belgrad auf rund eine Milliarde DM beläuft. (MS)

 

Zur Person: Rudolf Weiss wurde 1964 in Franzisdorf (Novi Becej) im Banat geboren und arbeitet als Geschichtslehrer. Darüber hinaus ist er Vizepräsident der Synode der evangelischen Kirche in Serbien, Moderator der Radiosendung „Unsere Stimme“ und Mitglied der „Wahrheits-Kommission“ der Wojwodina, die sich mit der regionalen Zeitgeschichte beschäftigt.

 

Fototext: Im Herzen der Wojwodina: Katsch (Kac), Kreis Neusatz in der Batschka