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16.02.02 Nachträgliches zur Filmtrilogie »Die Manns«

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. Februar 2002


Kurische Nehrung: Drei Sommer in Nidden
Nachträgliches zur Filmtrilogie »Die Manns«
von Bruno Schweitzer

Nahe bei Nidden erhebt sich die sogenannte „Hohe Düne“, und unweit vom Obelisk auf der Bergkuppe befindet sich das „Tal des Schweigens“. Ein schlichtes Holzkreuz abwärts zum Haff zeugt davon, daß dort das ursprüngliche Dorf durch Dünenwanderung versunken ist. Die ostpreußische Dichterin Agnes Miegel hat dieser Legende mit ihrem Poem „Die Frauen von Nidden“ ein literarisches Denkmal gesetzt.

Etwas abseits vom kurischen Dorf, auf einer anderen Düne mit Blick über Kiefern hinunter aufs Haff, hatte sich Thomas Mann ein Domizil erbauen lassen, wo er zu Sommerzeiten ungestört schaffen und die Familie mit den kleineren Kindern Ferien verbringen konnte. Es ist erstaunlich, mit wieviel Liebe zur deutschen Literatur, mit welcher Ehrerbietung gegenüber dem deutschen Schriftsteller hier im Thomas-Mann-Museum und im gleichnamigen Kulturzentrum Literaturgeschichte aufbewahrt wird.

Dafür gebührt litauischen Literaturwissenschaftlern und Zeitzeugen aus den 30er Jahren besonderer Dank. In den Räumen der Gedenkstätte findet man vieles in der Fülle und im Detail. Bemerkenswert aus dem Angebot für Besucher ist unter anderem eine Sonderausgabe des „Marburger Magazins“ (Nr. 89) aus dem Jahre 2000: „Thomas Mann in Nidden“. Doch halten wir fest:

Thomas Mann besuchte Nidden zum ersten Male im Jahre 1929 - im Anschluß an einen Kuraufenthalt mit den Kindern im Ostseebad Rauschen, wo er an seinem Buch „Mario der Zauberer“ arbeitete. In Erinnerung an jenen Ausflug nach Nidden schrieb Thomas Mann unter anderem: „Gut, wir fuhren also einige Tage nach Nidden auf die Kurische Nehrung und waren so erfüllt von der Landschaft, daß wir beschlossen, dort Hütten zu bauen, wie es in der Bibel heißt. (...) Wir faßten einen Hügel am Haff ins Auge und begannen mit einem Bauplatz zu kokettieren. Als wir abreisten, hatten wir uns soweit gebunden, daß wir nicht mehr zurück konnten, selbst wenn wir gewollt hätten. Durch Vermittlung Einheimischer kam ein Pachtvertrag mit der litauischen Forstverwaltung zustande, der Memeler Architekt Herbert Reissmannn wurde engagiert, und so bauten wir brieflich ein Holzhaus. Alles war furchtbar einfach, nur Holz und Schleiflack. Als der nächste Sommer kam, stand das Haus fix und fertig da. Wir kamen an und saßen auf der Veranda unseres Häuschens, als ob es schon immer so gewesen wäre.“

Noch einen Tag vor Thomas Manns Ankunft gab es technische Probleme: Das Leitungswasser war braun. Reissmanns Witwe erinnerte sich 1981: „Mein Mann arbeitete und suchte gemeinsam mit seinem Bruder und anderen am Bau Beteiligten, bis sie nach Stunden den Fehler gefunden hatten. Irgendwo kam Erde in die Leitung. Um 5 Uhr war der Fehler beseitigt und es kam klares Wasser. (...) Wir saßen beim Abendbrot, und plötzlich zog ein Gewitter auf - mit Blitz und Donner und Hagelschlag und Sturm. Mein Mann wurde ganz still. Mein Schwager fragte: ,Was ist denn mit dir?‘ - ‚Mein Schilfdach, mein Schilfdach.‘ Die ganze Zeit hatte es nicht geregnet, und man konnte es nicht ausprobieren, und es waren ja auch keine richtigen Fachleute, die das machten. Durch Tümpel und Wasser eilten wir zum Thomas-Mann-Haus. Aber das Schilfdach hatte gehalten!“ (Zitiert nach Heinrich A. Kurschat in „Memeler Dampfboot“ 1982.)

Der erste Sommeraufenthalt der Familie im neuen Haus währte von Mitte Juli bis Anfang September 1930. Thomas Mann arbeitete dort an seinem zweiten „Joseph“-Band mit dem Titel „Der junge Joseph“ und verfaßte unter anderem den am 13. Dezember in Den Haag gehaltenen Vortrag „Die geistige Situation des Schriftstellers in unserer Zeit“. Und am 12. September feierte der Vater von Katia Mann - der Münchener Mathematik-Professor Alfred Pringsheim - dort seinen 80. Geburtstag. Der zweite Aufenthalt mit den Kindern Elisabeth, Michael und Monika ist datiert vom 11. Juli bis 2. September 1931. Neben weiterer Arbeit am „Jungen Joseph“ war Thomas Mann zu Lesungen und Vorträgen in Königsberg und Elbing unterwegs. Der dritte und letzte Aufenthalt war dann vom 2. Juli bis 4. September 1932. Die Zeit war insbesondere angefüllt mit der Arbeit am dritten „Joseph“-Band, „Joseph von Ägypten“ betitelt.

Am 31. Juli 1932 - das war das einzige Mal, wo er während seines dritten Aufenthaltes Nidden verlassen hatte - begab sich Thomas Mann über die Grenze zum benachbarten Reichsterritorium nach Rossitten, um seine Stimme für die Reichstagswahl abzugeben, bei der die Nationalsozialisten bekanntlich einen beträchtlichen Stimmengewinn erreichten. Im August verfaßte der Dichter eine scharfe Stellungnahme zu Ausschreitungen der Nationalsozialisten in Königsberg („Was wir verlangen müssen“, in „Berliner Tageblatt“ vom 8. August 1932).

Warum zog es Thomas Mann nach Nidden? In Annalen ist überliefert, daß er bei russischer Lektüre, insbesondere in Beschreibungen Turgenjews, sich von der Kurischen Nehrung im Norden Deutschlands heimatlich angesprochen fühlte - gewissermaßen als Gegengewicht zu seiner „süddeutschen Ansässigkeit“ in München. Und er spürte den Drang, einen geistig etwas vernachlässigten Landstrich im Osten neu und literarisch repräsentativ zu besetzen (Italien kannte er hinreichend). Und so wollte er seiner „östlichen Unbereistheit“ etwas abhelfen. In Nidden überkam ihn tiefe Freude an der Landschaft, und er verfiel sogleich ihrem herben Zauber.

Von der Düne nahe seines Hauses hatte er rundum Sicht zu Haff, Sand und Meer. „Italienblick“ nannte er das … Im „Neuen Wiener Journal“ vom 9. August 1930 war dazu zu lesen: „Hier herrscht gottvolle Ruhe, die ein Schriftsteller, dessen Nerven durch abspannende geistige Tätigkeit zerrüttet sind, so dringend braucht.“ In einem Brief an den Hamburger Bürgermeister bestätigte Thomas Mann, daß die Schulferien seiner Kinder „eigentlich die einzige ungestörte Arbeitszeit im Jahr bedeuten“ und daß dieser Sommerfrieden ihm unentbehrlich sei. Andererseits: Nidden war nicht Hiddensee, wo Gerhart Hauptmann residierte. Bei einem Besuch beim „Rivalen“ in Hiddensee 1924 fand Ehefrau Katia (in „Meine ungeschriebenen Memoiren“, 1974), daß „für uns dort wenig Aufmerksamkeit abfiel“, womit sich Hiddensee für einen eigenen Sommersitz als „tief ungeeignet“ erwies.

Das Thomas-Mann-Haus fügt sich architektonisch ein in den Niddener Fischerstil - mit Reetdach, baltisch-skandinavischem Anstrich in „Ochsenblut“. Eine rotbraune Holzverkleidung kontrastieren blau abgesetzte Fensterläden, Dachprofile und Giebelbalken. Auf der Firstkrone befinden sich zwei gekreuzte Pferdeköpfe, die das Dichterroß Pegasus symbolisieren.

Von allen Mann-Kindern sind in Reminiszenzen eigene Erlebnisse über ihren Aufenthalt im Sommerhaus überliefert, längere Impressionen auch von Erika, Klaus und Golo Mann, die jedoch selten dort weilten.

Im Jahre 2000 - in Verbindung mit der Herausgabe des besagten „Marburger Magazins“ und den Dreharbeiten zum Filmepos erinnert sich Elisabeth Mann-Borgese unter anderem an folgende Episoden:

„Ich habe so viele schöne Erinnerungen an Nidden, daß ich nicht wüßte, wo anfangen und wo aufhören. Schon der erste Besuch in dem so naturnahen Dorf, wo es keine Autos gab und man mit einem Pferdewagen im Hafen abgeholt wurde und wo es anfangs keine Elektrizität gab, war bezaubernd … Die Spaziergänge an den schönen, wilden Strand, die Ausflüge in den großen Wanderdünen und das Elchrevier, der erste ,Italienblick‘ vom Schwiegermutter-Hügel, wo das folgende Jahr unser Haus stehen sollte, sind unvergeßlich, und daraus mag sich erklären, daß die schnelle Entscheidung unserer Eltern, eben dort ein Haus zu bauen, uns Kinder mit Begeisterung erfüllte.

Eines Morgens kamen die Eltern ziemlich erregt vom Morgenspaziergang zurück. Ein Schuß sei im Wald gefallen. Die Lage im benachbarten Deutschland hatte längst angefangen, sich zu verdüstern, und besonders meine Mutter war immer auf irgendwelche Terrorakte gefaßt. Der nahe Schuß beunruhigte sie tief. Gleich fanden sie sich an der Stelle ein, wo er gefallen war und fanden dort einen Förster, der einem todkranken, leidenden Hund den Gnadenschuß gegeben hatte. Dies nun ergriff unser Kindergemüt, denn mein kleiner Bruder Michael und ich waren Hundenarren. So eilten wir beide nun zum Platz und schufen dem unbekannten Verstorbenen ein schönes Grab dort im Wald und schmückten es mit Blumen. Vor ein paar Wochen, 67 Jahre nach dem Ereignis, erhielt ich in Kanada ein Couvert aus Deutschland. Es enthielt den Brief einer sehr alten Dame - der jüngeren Schwester des Hundebesitzers, der längst dahin ist -, ein rührendes kleines Gedicht dieses Besitzers, den Tod des Hundes betrauernd, sowie ein Bild des Hundes und ein Bild des Grabes. Die alte Dame hatte erst viel später erfahren, daß es sich um meine Eltern handelte, die damals zur Stelle waren. Und jetzt erfuhr sie von meiner Existenz und fand meine Adresse in Kanada. Sie wollte sich bedanken. Das Grab und die Blumen waren ihr und ihrem Bruder tröstlich. Ich würde die Stelle im Niddener Wald auf dem Weg von unserem Haus zum Strand noch immer wiederfinden. Der Wald, die Dünen, das Meer haben ihren Zauber nicht verloren, auch wenn dort niemand mehr kurisch spricht.“ (Elisabeth Mann-Borgese weilte im Jahre 1998 nochmals in Nidden.)

Nach 1932 verwaiste das Haus mehr und mehr. Nach dem sogenannten Anschluß des Memellandes an das Deutsche Reich (1939) wurde es beschlagnahmt und gelangte als „Jagdhaus Elchwald“ in den Besitz des „Reichsjägermeisters“ Hermann Göring. Adolf Hitlers Rüstungsarchitekt Albert Speer hat sich dort auch aufgehalten. Gegen Kriegsende soll eine Granate einen Teil des Hauses zerstört haben. Man dachte schon daran, es ganz abzureißen. Doch 1955 wurde es ein erstes Mal restauriert und als Unterkunft genutzt. Im selben Jahr begegnete Thomas Mann in Weimar dem litauischen Schriftsteller Antanas Venclowa, der als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes in Wilna/Vilnius einer sowjetischen Schriftstellerdelegation angehörte. Von ihm erhielt Thomas Mann hocherfreut Kenntnis über einen Plan, in „seinem“ Haus eine Gedenkstätte einzurichten. Im Jahre 1967 wurde dieses Memorial - als eine Filiale der Stadtbibliothek von Memel (Klaipeda) - für Besucher geöffnet. 1974 sollen über 150.000 Besucher gezählt worden sein.

1975 feierte man Thomas Manns 100. Geburtstag. In Vorbereitung dessen wurde die Gedenkstätte abermals renoviert, wofür die Regierung der Litauischen Sozialistischen Sowjet-Republik 40.000 Rubel und die DDR-Regierung 75 Dokumente zur Verfügung stellte. Der damalige DDR-Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann schrieb am 24. Februar 1975 an Katia Mann: „Es ist mir in Vorbereitung des 100. Geburtstages Ihres unvergessenen Gatten Thomas Mann ein aufrichtiges Bedürfnis, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß auf Empfehlung des ersten Sekretärs der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Herrn Erich Honecker, kürzlich eine Geschenksendung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik für die Thomas-Mann-Gedenkstätte in Nida übergeben wurde. Sie enthielt Fotokopien aus dem Briefwechsel, von Titelblättern früherer Ausgaben sowie von Bildern Thomas Manns und seiner Familie, weiterhin Schallplatten und Tonbänder mit eigenen Lesungen des Dichters, den Abguß der von Gustav Saitz geschaffenen Büste sowie Exemplare von Editionen der Werke Ihres Gatten in der DDR einschließlich unserer wissenschaftlichen Arbeiten über sein Leben und Werk und einen kurzen Dokumentarfilm über seine Besuche in der DDR in den Jahren 1949 und 1955.“

Seit 1987 veranstaltete man dort alljährlich Thomas-Mann-Seminare. Im Winter 1995/96 ist das Haus mit Mitteln der litauischen Regierung und der Bundesregierung erneut und vollkommen restauriert worden, wobei Zimmer und Terrasse naturgetreu hergerichtet wurden. Seit Mai 1996 beherbergt das Haus zwei Institutionen: das vom litauischen Staat finanzierte Thomas-Mann-Museum und das Thomas-Mann-Kulturzentrum, das von einem internationalen Kuratorium geleitet wird.

 

Thomas-Mann-Haus: Das ehemalige Feriendomizil des deutschen Literaturnobelpreisträgers beherbergt heute ein Museum und ein Kulturzentrum Foto: Schweitzer