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02.03.02 Die unveröffentlichte Enzyklika / »Der Vatikan und die Judenverfolgung« sowie die Gründe des Nichterscheinens

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. März 2002


Kirchengeschichte:
Die unveröffentlichte Enzyklika
»Der Vatikan und die Judenverfolgung« sowie die Gründe des Nichterscheinens
von Lothar Groppe

Rolf Hochhuth gelang es mit seinem „Christlichen Trauerspiel“, das als „Der Stellvertreter“ weltweite Beachtung fand, den bis nach seinem Tod im Jahr 1958 als Anwalt der Menschenrechte und kompromißloser Gegner des Kommunismus und Nationalsozialismus verehrten Papst Pius XII. auf die Anklagebank zu setzen. Bezeichnete er ihn in seinem „Stellvertreter“ als „Verbrecher“, verstieg er sich im Interview des „Münchner Merkur“ vom 21. März 2001 dazu, „diesen gottverlassenen Papst“ einen „Antisemiten“ zu nennen.

So weit in seinem Haß wie Hochhuth dürfte wohl niemand gehen, der zumindest einige der zahllosen Hilfsmaßnahmen des Pacelli-Papstes zugunsten der Verfolgten, insbesondere der bedrohten Juden, kennt. Der 1997 verstorbene jüdische Theologe und Historiker Pinchas E. Lapide weist in seinem als „Anti-Hochhuth-Buch“ konzipierten Werk „Rom und die Juden“ nach, daß die katholische Kirche unter Pius XII. weit mehr Juden gerettet hat als alle anderen Kirchen, Hilfsorganisationen und die westlichen Demokratien zusammengenommen (S. 188).

Inzwischen haben zwei Historiker versucht, Pius XII. als „Rassisten“ zu qualifizieren, weil er eine bereits im Entwurf vorhandene Enzyklika seines Vorgängers Pius XI. über die Einheit des Menschengeschlechts „unterschlagen“ habe. Es wurde viel über die nicht erschienene Enzyklika gegen Nationalismus und Rassismus gerätselt. Der Hanser Verlag heizte die Diskussion über dieses Dokument mit dem reißerischen Titel „Die unterschlagene Enzyklika“ (1997) kräftig an. Ihr Untertitel „Der Vatikan und die Judenverfolgung“ veranlaßte die „Freunde“ der Kirche, das „Versagen“ Pius XII. gegenüber der Judenverfolgung zu untermauern.

Der Jesuit Anton Rauscher, emeritierter Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Augsburg und langjähriger Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, erhellt die Gründe für das Nichterscheinen der Enzyklika. Papst Pius XI. beauftragte den amerikanischen Jesuiten La Farge mit dem Entwurf einer Enzyklika gegen Nationalismus und Rassismus. La Farge fühlte sich jedoch dieser Aufgabe ohne Hilfe nicht gewachsen. Deshalb beauftragte der Ordensgeneral, Ledochowski, den deutschen Jesuiten Gundlach, einen führenden Sozialwissenschaftler, und den Franzosen Desbuqois, ihn zu unterstützen.

In monatelanger Arbeit kam ein Entwurf zustande, der den bestimmenden Einfluß Gundlachs verrät. Neben der deutschen gab es noch eine französische und englische Fassung, die sich bei gleicher Zielsetzung nicht unwesentlich voneinander unterscheiden. Gundlach wollte die Enzyklika „in einer mehr wissen- schaftlich begründeten Weise“ behandeln. Sie sollte sich von der mehr „politischen“ Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von 1937 unterscheiden. La Farge ging es mehr um eine Fassung, die zum konkreten Handeln aufrief.

Um die Jahreswende 1938/39 erhielt Ledochowski die Entwürfe. Wegen ihres brisanten Themas wollte er sie noch von unabhängigen Fachleuten begutachten lassen. Inzwischen hatte sich der Gesundheitszustand Pius’ XI. dramatisch verschlechtert. Zwar war er geistig noch voll auf der Höhe, hatte aber offenbar nicht mehr die Kraft, der geplanten Enzyklika die endgültige Fassung zu geben. Am 10. Februar 1939 starb er.

Ihm folgte sein Kardinalstaatssekretär Pacelli als Pius XII. auf den Thron. Selbstverständlich kannte er als engster Mitarbeiter Pius’ XI. den Entwurf der geplanten Enzyklika. Warum veröffentlichte er sie nicht? War er etwa „Rassist“, wie einige Historiker glauben machen wollen? Es gibt eine ganz plausible Erklärung für das Nichterscheinen der Enzyklika.

Damals war die drohende Gefahr eines weltweiten Krieges das beherrschende Thema in Europa. Die Juden waren für niemanden das eigentliche Problem. Zwar hatte es 1938 die „Reichskristallnacht“ gegeben, aber der Gedanke an eine systematische Vernichtung der Juden wäre damals als Hirngespinst erschienen. Übrigens machte die Konferenz von Evian, die eigens wegen der bedrohlichen Situation der Juden in Deutschland 1938 einberufen wurde, überdeutlich, daß kein einziger Staat bereit war, Juden aufzunehmen. In dieser Situation hätte ein Appell des Papstes keine Sinnesänderung bewirkt. Zwar hatte seine Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von 1937 gegen den Nationalsozialismus in Deutschland zu heftigen Reaktionen geführt, im Ausland aber kaum ein Echo ausgelöst.

Reichsführer SS Heinrich Himmler schrieb in seinem Lagebericht für 1938, daß „die projüdische Haltung der Kirchen in der Masse der Kirchengläubigen jede antijüdische Propaganda der Partei wirkungslos macht“.

Im Mai 1938 richtete die Päpstliche Studienkommission ein Schreiben an alle Rektoren der katholischen Universitäten, das die Grundlage für die geplante Enzyklika gegen Nationalismus und Rassismus bilden sollte. Einige der wichtigsten verurteilten Irrtümer seien aufgeführt:

„1. Die Menschenrassen unterscheiden sich durch ihre angeborenen, unveränderlichen Anlagen so sehr voneinander, daß die unterste Menschenrasse von der höchsten weiter absteht als von der höchsten Tierart.

2. Die Lebenskraft der Rasse und die Reinheit des Blutes müssen auf jede Weise bewahrt und gepflegt werden. Was zu diesem Zweck geschieht, ist ohne weiteres sittlich erlaubt. …

5. Die Religion untersteht dem Gesetz der Rasse und ist ihr anzupassen.

6. Die erste Quelle und höchste Regel der gesamten Rechtsordnung ist der Rasseinstinkt. …

8. Die einzelnen Menschen existieren nur durch den Staat und um des Staates willen. Alles Recht, das sie besitzen, haben sie nur aufgrund einer Verleihung durch den Staat.“

Wenn Anton Rauscher erst nach vielen Jahren die Hintergründe und Zusammenhänge des Schick-sals der geplanten Enzyklika gegen Nationalismus und Rassismus offenlegt, liegt der Hauptgrund hierfür in seiner irrigen Annahme, er sei an die Sperrfristenregelung des Vatikanischen Geheimarchivs gebunden, die, wie allgemein üblich, 70 Jahre beträgt. Tatsächlich gelangte der Entwurf jedoch nie in die Archive des Vatikans.

Papst Pius XII., der mit den Machenschaften des NS-Regimes wohlvertraut war, rang sich zur Auffassung durch, daß es wichtiger sei, alle Möglichkeiten stiller Hilfe im verborgenen auszuschöpfen, als durch öffentliche Proteste die Machthaber herauszufordern, ohne den Verfolgten helfen zu können. So sagte auch Kardinal Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., der als Nuntius auf dem Balkan unzählige Juden hatte retten können, zu Pinchas Lapide: „Ein doktrinärer Papst hätte vielleicht ostentativ gehandelt; ein humaner mußte die stille Rettung der Verfolgten dem Posaunenruf einer leeren Enzyklika vorziehen.“

 

Pius XII.: Das heiß diskutierte Rätsel, warum der vom 2. März 1939 bis zum 9. Oktober 1958 amtierende Papst - hier noch als Nuntius in Berlin - den von Gustav Gundlach maßgeblich geprägten Enzyklikaentwurf gegen Nationalismus und Rassismus nicht veröffentlichte, löst Anton Rauscher in dem von ihm herausgegebenen Buch „Wider den Rassismus. Entwurf einer nicht erschienenen Enzyklika (1938). Texte aus dem Nachlaß von Gustav Gundlach SJ“, das letztes Jahr im Paderborner Verlag Schöningh veröffentlicht wurde, 208 Seiten umfaßt und zu einem Preis von 21 Euro angeboten wird.