27.04.2024

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02.03.02 Die ostpreußische Familie extra

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 02. März 2002


Die ostpreußische Familie extra
Leser helfen Lesern
Ruth Geede

Lewe Landslied und Freunde unserer Ostpreußischen Familie,

es ist schon erstaunlich, was manchmal wenige Zeilen in unserer Spalte bewirken können. Da hatte Waltraud Schröder angeboten, das vor Jahren durch unsere Familie erhaltene Buch „Rotes Kopftuch, blaues Kleid“ der ursprünglichen Besitzerin zurück-zugeben. Deren Name war aber unbekannt, die Widmung im Buch erhielt lediglich den Vornahmen der Schenkenden: „Zur freundlichen Erinnerung an Deine Freundin Annelies, Grossdeuben, 27. 3. 1942“. Na ja, das war mehr als dürftig, und es fanden sich durch unsere Veröffentlichung weder die Schenkende noch die Beschenkte, was nicht verwunderlich war.

Dafür ereignete sich aber eine „wundervolle“ Geschichte. Es meldete sich zuerst Brigitte Willmann, die Illustratorin des Buches. Sie hatte nach Zeichnungen für das Gästebuch des Reichsarbeitsdienst-Lagers Austinshof, als sie nach dem Arbeitsdienstjahr an der Kunstakademie in Königsberg studierte, den Auftrag bekommen, das Buch von Hildegard Kolberg, „Rotes Kopftuch - blaues Kleid“ zu illustrieren. Es war ihr erster größerer Auftrag, über den sie sich sehr freute, denn Brigitte - damals Ludßuweit - war erst 19 Jahre alt. Aber sie besaß kein einziges Exemplar von ihrem Erstwerk mehr und fragte nun, ob sie das Buch - falls sich die Eigentümerin nicht meldet - bekommen könnte.

Ich war natürlich überrascht, aber noch mehr, als ich kurze Zeit später einen weiteren Brief erhielt, diesmal von Waltraud Schmidt, die auch ihre RAD-Zeit in einem ostpreußischen Lager verbracht hatte. Die geborene Bartensteinerin hatte es längst aufgegeben, nach dem Buch zu suchen, denn sie wollte ihrer Kusine damit eine Freude machen - und die heißt Hildegard Kolberg! Es handelte sich also um die in Gumbinnen geborene Autorin des Buches, die heute in Quedlinburg lebt und selber auch kein einziges Exemplar ihres Buches mehr besitzt.

Wer sollte nun das Buch bekommen? Anrufe hin - Schreiben her - Überraschung auf allen Seiten. Schließlich war die Lösung sehr einfach: Das stammte nämlich aus der ersten, nicht illustrierten, Auflage. So erhielt Hildegard Kolberg ihr Werk, und sie ist glücklich, es zu besitzen. Dadurch kam aber auch die Verbindung zwischen Autorin und Zeichnerin zustande, darüber hinaus auch mit der damaligen Lagerführerin von Austinshof. Nach nunmehr 60 Jahren! Daß diese Sache einen so überraschenden Erfolg hatte, wird auch die Leserinnen trösten, die sich ebenfalls für das Buch interessiert hatten. Für Frau Willmann wäre es aber erfreulich, wenn sich noch irgendwo ein illustriertes Exemplar finden würde.

Es hat sich aber aus dieser Angelegenheit noch etwas Anderes ergeben. Brigitte Willmann, die vor allem Kinderbücher - Fibeln, Lesebücher, auch selbstverfaßte Kindergeschichten - illustriert, hatte in ihrem ersten Schreiben erwähnt, daß sie während ihrer Arbeitsdienstzeit vier Wochen lang im Nemmersdorfer Kindergarten tätig gewesen war. Sie fuhr damals mit dem Rad vom Lager nach Nemmersdorf und aß täglich bei einer anderen Familie zu Mittag. So lernte sie viele Menschen kennen, und sie sagt heute: „Es war eine schöne Zeit!“ Frau Willmann besitzt noch Bilder von den Kindern, und deshalb bat ich sie, mir Abzüge zu senden, denn gerade Fotos aus Nemmersdorf, die vor dem furchtbaren Russeneinfall gemacht wurden, sind wichtige Dokumente. Von den Blondschöpfen auf den Amateurfotos weiß sie nicht mehr die Namen, nur, daß drei Kinder aus der Pfarrersfamilie stammten, nur der jüngste Junge wurde „Oberst“ genannt. Auch eine Helferin war dabei, die damals erst kürzlich mit den Eltern aus der Schweiz gekommen war. Ihr Vater arbeitete als „Schweizer“ auf einem Gut. Wer hat das Grauen überstanden, wer erinnert sich noch an die Zeit im Kindergarten, für den zwei ältere Nemmersdorferinnen Gelände und Gebäude gegeben hatten? Die Fotos dürften für ehemalige Nemmersdorfer einen hohen Erinnerungswert haben. (Brigitte Willmann, Himmelsacker 14 in 96450 Coburg.)

Unglaublich! Ja, das Wort muß man wohl bestätigen, wenn es unser Landsmann Wolfgang Wever mit einem dicken Ausrufungszeichen schreibt. Und er hat wirklich allen Grund dazu. Er hatte in unserer letzten Extra-Familie nach der ehemaligen Angestellten im Bartensteiner Haushalt seiner Eltern gesucht. Liesbeth Wiechmann - der Name fiel ihm ein, als der heutige Kreisvertreter von Bartenstein seine Heimatstadt besuchte. Wenn sie noch lebte, müßte sie heute schon über 80 sein. Und das, wie er schreibt, Unglaubliche geschah: Eine Tage nach der Veröffentlichung meldete sich die Gesuchte telefonisch bei Herrn Wever. Überraschung und Freude auf beiden Seiten. Nun freut sich Herr Wever auf ein Wiedersehen nach 57 Jahren, denn er hofft, von der Wiedergefundenen noch viel aus seiner Kindheit - sein Vater war der Landrat Dr. Wever - zu erfahren. Er wünscht uns auch weiterhin so schöne Erfolge.

Die sind schon eingetreten. Wie bei Anneliese Sahr aus Ribnitz-Damgarten, die vor einigen Monaten nach ehemaligen Mitschülerinnen aus Lyck suchte. Einige Namen konnte sie ihrem geretteten Poesiealbum aus dem Jahr 1944 entnehmen. Sie stellte ihren Wunsch unter das Jesaja-Wort: „Ich ließ mich finden von denen, die nicht nach mir fragten - ich ließ mich finden von denen, die mich nicht suchten.“ Und so wurde es auch wahr: Fünf Lyckerinnen, die mit ihr die Schulbank gedrückt hatten, meldeten sich und fanden so zueinander. Eine der Mitschülerinnen lebt heute in den USA. Nun ist ein Treffen vereinbart, um das Wie-derfinden nicht nur brieflich und telefonisch zu feiern.

Einen Schritt weiter ist Ursel Fritz gekommen, die endlich Gewißheit über das Schicksal ihres Vaters Eduard Fritz haben wollte. Sie und ihre Schwester hatten sich deshalb an die Liga der Deutsch-Russischen Freundschaft in Mos-kau gewandt, die ihnen schrieb, daß man sich um die Klärung bemühe, aber dazu noch die Nummer des Rothensteiner Lagers benötige, in dem Eduard Fritz bis 1946 gewesen sein soll. Wir brachten ihre Bitte, daß sich ehemalige Lagergenossen bei ihnen melden sollten. Und ehe sie selber die Veröffentlichung gelesen hatten, lag in ihrem Postkasten bereits ein Brief von Herrn Kuhn aus Duisburg, der auch in diesem Lager gewesen war und dazu ausführlich über die Lager bei Königsberg berichten konnte. Beigefügt war ein Verzeichnis aller Lager. Frau Fritz konnte nun eine Kopie nach Moskau senden, so daß die Schwestern vielleicht jetzt mehr über das Schicksal ihres Vaters erfahren werden.

Ein böser Übertragungsfehler hatte sich in dem von Gertrud Bischof an uns getragenen Fragekomplex über das Internierungslager Brakupönen eingeschlichen: Statt „Zwangsarbeit“ wie im Manuskript konnte man in unserer Extra-Familie vom 8. Dezember 2001 „Zusammenarbeit“ lesen. Frau Bischof war mit Recht empört und meinte, nun sei ihr ganzes Suchen nach den damals im Kriegs-Sowchos 141 internierten Landsleuten umsonst gewesen. War es zum Glück aber nicht, unsere Leserinnen und Leser hatten den Fehler erkannt. Frau Bischof hatte gezielt nach den Brüdern Otto und Kurt Urmoneit gefragt, die damals Kinder waren, später sollten sie in ein Heim gekommen und dann mit einem Transport fortgebracht worden sein. Nachdem Frau Bischof zuerst eine Nachricht bekommen hatte, daß die Familie Urmoneit eine Siedlung in Ederkehmen besessen hatte, meldete sich Anfang Januar eine Kusine der Brüder, die Frau Bischof die Telefonnummer von Otto Urmoneit gab. Frau Bischof rief sofort an. Leider ist Bruder Kurt vor drei Jahren ver- storben. Aber sie und die Leidensgefährten aus dem Brakupöner Internierungslager freuen sich, da seit über 50 Jahren niemand etwas über den Verbleib der Urmoneits wußte. Also hat sich doch noch alles zum Guten gewandt.

Fehler schleichen sich immer wieder ein, vor allem bei Familiennamen, zumeist uns schon irrtümlich übermittelt. Erinnern Sie sich noch an die Geschichte von der Holzkiste, die der russische Arzt Dr. Igar Marosow bei Re- novierungsarbeiten in seinem Wohnhaus in Rauschen fand? Da stand der Name des früheren Besitzers auf dem Deckel, den er als „Puffke“ las. Unser Leser Peter Franke übermittelte uns den Wunsch des Arztes, diese Familie zu suchen, da er mit ihr Verbindung aufnehmen wollte. Der Ortsvertreter von Rauschen, Hans-Georg Klemm, teilte mit, daß es sich um die Familie „Dufke“ handeln müßte, die in Rauschen ein Sommerhaus besessen hatte. Da diese aber nicht ständig in Rauschen wohnte, war der Name in der Ortskartei nicht zu finden. Aber aufgrund der Veröffentlichung in unserer Familien- spalte hatte die Suche dann doch Erfolg: Es meldete sich Lothar Dufke aus Lunden. Seinem Vater hatte das Haus gehört. Inzwischen dürfte eine Verbindung zwischen Rauschen und Lunden zustande gekommen sein.

Unsere Leserin Frieda Schwarz ist zu Tränen gerührt! Sie suchte das Lied, das sie und ihre Geschwister am Grab der Mutter gesungen hatten, als diese 1946 in der ostpreußischen Heimat an Hungertyphus verstarb: „Wir haben auf Erd’ keine bleibende Stätte ...“ In allen verfügbaren Gesangbüchern hatten Frau Schwarz und ihre Schwester es nicht gefunden, deshalb wandte sie sich an unsere Familie. Na, und die spurte: Schon kurz nach der Veröffentlichung kamen Anrufe und Briefe mit Kopien! Frau Schwarz sagt hiermit „tausend Dank“ allen Schreibern und Anrufern. Ich schließe mich dem an, denn auch ich bekam es zugesandt. Ein besonderer Dankesgruß geht an Renate Antonatus, die erst spät nach Deutschland kam und deshalb einen großen „Nachholbedarf“ an Berichten von Flucht und Vertreibung hat.

Nach seinen Verwandten aus Kalgendorf, Kreis Lyck, von denen er nach dem Krieg nichts mehr hörte, hatte Horst Gogol vergeblich gesucht, bis er auf eine Spur stieß: Seine Kusine Ruth Kibilka hatte in Aachen gelebt. Sie war verheiratet, hieß Mertens und verstarb 1998. Er wollte wissen, ob sie Angehörige hat, aber die betreffende Behörde gab ihm keine Auskunft. Wir brachten seinen Wunsch, und es meldeten sich auch zwei Leser, aber sie konnten ihm anscheinend nicht helfen. Der Name „Mertens“ ist in Aachen sehr verbreitet, da kommt Herr Gogol bei der Suche nicht viel weiter. Vielleicht gibt es aber Leserinnen und Leser, die als Landsleute mit Ruth Mertens in Verbindung standen. Deshalb wiederhole ich seine Bitte noch einmal und gebe hiermit seine Anschrift bekannt, die bei seinem Suchwunsch in Folge 5 nicht vermerkt war: Horst Gogol, Reither Mauspfad 87 in 51107 Köln.

Herzlich bedankt sich der Salzburger Verein für die Zuschriften nach der Bitte um salzburgische Überlieferungen in Ostpreußen. Wie der Archivar des Vereins, Herr Standera, mir mitteilte, hat es neben Adressen von Bibliotheken auch einen brauchbaren Hinweis auf den Eckart-Boten gegeben. Die Festschrift „Dona Ethnologica“, München 1973, für Leopold Kretzenbacher mit dem Aufsatz „Zur Frage des Fortlebens salzburgischer Volkstraditionen in Ostpreußen“ von Erhard Riemann, konnte der Verein antiquarisch erwerben.

Doris Schleisner suchte in unserer Familienspalte nach zwei Büchern. Sie ist glücklich, das Buch „Der unheimliche Mann Gottes“ von Hanns Helmut Kirst von einem Ehepaar aus Berlin erhalten zu haben - beim zweiten Buchwunsch („Macht die Tore weit“ von Hartmut Schustereit) leider Fehlanzeige. Aber ein 50:50-Erfolg ist doch auch schon was.

Und zum Schluß noch etwas Heiteres, denn Lachen verzaubert auch den griesesten Tag. Wir hatten für Ingrid Zentgraf nach einem Klops-Poem gesucht, das von einer Frau handelt, die sich bei einem Festessen heimlich ein paar Klopse in die Tasche steckte, um daheim ihren Mops damit zu füttern. Beim Tanzen kullerten die Klopse dann auf das Parkett. Nun - ein Gedicht ist es nicht, das Ursula Otten kennt, sondern eine kleine Geschichte, und sie ist so nett, daß ich sie an unsere ganze Familie weitergeben möchte:

Bei uns gab es im Winter auf den großen Gütern immer Treibjagden. Nach Abschluß der Jagd wurde meist in das Gutshaus zum „Schüsseltreiben“ gebeten. Und da wir ja ein gastfreundliches Volk waren, wurde tüchtig aufgetischt. Da durften auch die Königsberger Klopse nicht fehlen. Einer der Jäger war schon so satt, daß kein einziger Klops mehr hineinpaßte, aber die Gastgeberin legte ihm noch zwei Klopse auf den Teller. Der Gast wußte sich nicht anders zu helfen, als sie in sein - garantiert sauberes - Taschentuch zu wickeln. Nach dem Essen wurde im Salon Kaffee gereicht und natürlich auch das Verdauungsschnäpschen. Unser Jäger verspürte nun plötzlich ein auf- steigendes Niesen in seiner nicht gerade kleinen Nase, griff nach dem Taschentuch in der Hosentasche und - die Klopse rollten der Gastgeberin direkt vor die Füße. Geistesgegenwärtig sagte der Gast: „Sehen Sie, gnädige Frau, das kommt vom ewigen Nötigen, jetzt kullern mir die Klopse sogar schon aus der Nase!“

Und dazu noch ein echtes Nachschrapselchen, diesmal aus unserem „Kartoffelwurst“-Pott zusammengekratzt. Endlich war es uns doch gelungen, das Rezept in verschiedenen Versionen aus unserem Familienkreis zu erhalten. Und in Dillenburg wurde es bei Ostpreußens nachgekocht. Eine fröhliche Karte kam mit folgendem Wortlaut: „So nett uns der „Feinschmecker“ von Debucourt im OB auch anlacht - nichts gegen die sieben „Feinschmek-ker“, die sich heute abend beim Ehepaar Hoffmann an der Kartoffelwurst delektierten. Wir danken Ihnen sehr, daß Sie uns das Rezept kundgetan und so zu dem Genuß verholfen haben!“

Eure

Ruth Geede

 

Fototext: Betreuung einer „Rasselbande“: Brigitte Willmann war während ihrer Zeit beim Arbeitsdienst vier Wochen in Nemmersdorf. Dort leistete sie ihren Dienst im Kindergarten des Ortes. Die Bilder entstanden vor dem furchtbaren Russeneinfall. Foto (2): Archiv Wer weiß schon, was die Zukunft bringt: Dieser kleine Steppke gehörte auch zu den von Brigitte Willmann betreuten Kindern.