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23.03.02 / Fall Barschel: Nach 15 Jahren die alten Vorurteile

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. März 2002


Fall Barschel: Nach 15 Jahren die alten Vorurteile
Wie ein ARD-Sender mit längst widerlegten Behauptungen Stimmung macht

Anfang März präsentierte das vormalige Show-Talent Frank Elstner im Südwestfunk die Fernsehreihe "Schlaflos". Schlaflosigkeit zu produzieren ist die Sendung in der Tat geeignet, allerdings anders, als von den Machern vermutlich gemeint. Insbesondere gilt das für zwei Beträge über die "Kieler Affäre" von 1987, die Vorgänge um den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU), seinen Medienreferenten Rainer Pfeiffer und den Oppositionsführer Björn Engholm (SPD).

Da darf man zu fortgeschrittener Stunde, von 22.15 bis 23.15 Uhr, einen NDR-Beitrag von 1988 (!) auf sich wirken lassen, der den damals von vielen gewollten Vorurteilen verhaftet ist: Barschel als skrupelloser Ehrgeizling, dem jedes Mittel recht ist, seinen Herausforderer Engholm zu diffamieren. Das angebliche Werk- zeug, Rainer Pfeiffer, als wortreicher Hauptdarsteller. Und die TV-Macher stehen nicht an, jede widersinnige Unterstellung des Krawalljournalisten zu bestätigen. Björn Engholm zum wiederholten Male in der Rolle des Opfers. Nebenbei bekommt auch die CDU-Prominenz Schleswig-Holsteins ihr Fett ab, beiläufig wird unterstellt, Barschels Kabinett hätte nicht nur wissen können, sondern wissen müssen, was Pfeiffer im Kieler Landeshaus trieb.

So war damals ein Film zustandegekommen, der an der Wahrheit weit vorbeizielte. Manches mochte aus der kollektiven Hysterie in jenem Herbst '87 zu erklären sein, manches indes hätte man auch 1988 schon besser wissen müssen, wenn man sich denn um Wahrhaftigkeit bemüht hätte.

Sicherlich aber mußte fast fünfzehn Jahre später, im März 2002 also, bekannt sein, daß Pfeiffers üble Phantastereien längst ad absurdum geführt, daß er durch verschiedene Gerichtsverfahren als pathogener Lügner entlarvt worden ist - und daß auch die Rolle Engholms nicht ganz dem alten Bild entspricht. All dies war Ergebnis des zweiten Untersuchungsausschusses, der sich ab 1993 in den meisten Bereichen an die Wahrheit heranarbeitete, obwohl auch er nicht alle Vorgänge klären konnte. Denn ein Untersuchungsausschuß hat letztlich erheblich weniger Möglichkeiten als ein Gerichtsverfahren.

Es wäre zweifellos Aufgabe des Moderators gewesen, eben diesen Sachverhalt klarzustellen. Gerade das aber geschah nicht. Wer nach 23 Uhr ausschaltete, nahm das alte, grundfalsche Bild von den Kieler Vorgängen mit.

Also warten auf den zweiten NDR-Beitrag um 2.40 Uhr. Sein Titel "Zehn Jahre später" konnte die Hoffnung wecken, jetzt werde einiges zurechtgerückt, werde den Fakten der Vorrang vor Fehlbeurteilungen gegeben. Und siehe da: In Interviews mit Engholm, Pfeiffer und der Witwe des ehemaligen Ministerpräsidenten, Freya Barschel, wird der zweite Untersuchungsausschuß tatsächlich in zwei Halbsätzen erwähnt: daß Engholm die Öffentlichkeit jahrelang über sein Vorabwissen von Pfeiffers Machenschaften belogen hatte - er sei zurückgetreten, weil er schon eine Woche früher über Pfeiffer informiert gewesen sei. Nicht gesagt wird aber, daß dieser Untersuchungsbericht, freilich ohne abschließende Wertung, Zeugen zitiert, die von etliche Monate früheren Kenntnissen berichten. Ganz kurz taucht auch Engholms Sozialminister Günther Jansen auf, der Pfeiffer "aus Mitleid" mit Barem unter die Arme gegriffen hatte. Laut NDR mit 40.000 Mark, obwohl es nachweislich 50.000 Mark gewesen sind. Das aber war's dann schon.

Erneut erhalten Engholm und Pfeiffer Gelegenheit, Barschel mit Häme zu überziehen. Engholm selbst zelebriert sich als weise anmutender Schöngeist, und Pfeiffer darf seine als abstrus bewiesenen Unterstellungen zum x-ten Male ausbreiten. Freya Barschel erweist sich zwar als Sympathieträgerin für ihren verstorbenen Mann, das Gesamtbild kann sie allerdings auch nicht verändern.

So haben wir also - fünfzehn Jahre danach - fast zwei Stunden lang wieder Falsches, Halbwahres und Irreführendes über uns ergehen lassen müssen. Trotz eindeutiger Fakten greift ein Fernsehsender gerade jene Beiträge heraus, die nicht der Aufklärung dienen. Er verfestigt Vorurteile, vermittelt Schuldbilder und zementiert Falschdarstellungen. Besondere Delikatesse erhält dieser Vorgang, weil der Intendant des Senders jener Peter Voß ist, der damals als einer von ganz wenigen Journalisten die nötige Distanz zu den Vorgängen gezeigt hatte.

Können Gebührenzahler eine Lehre aus dieser Sendung ziehen? Sicherlich die, daß ein Intendant nicht alles wissen kann, was in seinem Hause vorgeht. Außerdem, deprimierender noch, daß Vorurteile immer umfassender werden, je öfter man sie wiederholt - und daß sie per Fernsehbild am eindrucksvollsten vermittelt werden können. Der Ärger darüber konnte einem wirklich den Schlaf rauben. S. G. M.