26.04.2024

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30.03.02 / "Kontinuität"

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. März 2002


Gedanken zur Zeit:
"Kontinuität"
von Wilfried Böhm

Ziemlich bestürzt" war Anfang 1989 der US-Botschafter in Bonn, Vernon A. Walters, darüber, daß so gut wie niemand in der damaligen Bundeshauptstadt seine Auffassung von einer baldigen Wiedervereinigung teilte. Das schrieb der als Freund der Deutschen bekannte Walters in den Erinnerungen an seine Bonner Zeit ("Die Vereinigung war vorhersehbar", Berlin 1994).

Der damals 73jährige Walters war aufgrund seiner Analysen der Weltlage nach dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan überzeugt, "daß wir uns der Wiedervereinigung mit Windeseile näherten". Überrascht war er nur, sich mit diesem Glauben ziemlich allein zu sehen. So auch bei seinem Antrittsbesuch beim damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.

"Nachsichtig lächelnd, ja beinahe herablassend" habe ihn Genscher behandelt, schreibt Walters, als er diesem gegenüber seine Überzeugung von einer baldigen deutschen Wiedervereinigung kundtat. Hartnäckig insistierte Walters: noch während seiner Amtszeit als Botschafter in der Bundesrepublik werde die Entwicklung zur deutschen Einheit erfolgen. "Wiederum", so Wolters, "erntete ich nur ein ungläubiges, freundliches Lächeln ..."

"Schnee von gestern", sollte man meinen, doch 13 Jahre später nahm jetzt der 75jährige Genscher mit freundlichem Lächeln als "Vater der Einheit" mediengerechte Glückwünsche entgegen, die ihm öffentlich-rechtlich in aufwendiger Geburtstagsgala entboten wurden. Der Erfolg hat eben viele Väter und darunter ganz besonders viele, die, aus welchen Gründen auch immer, die nationalstaatliche Wiedervereinigung "der beiden deutschen Staaten" längst abgeschrieben hatten. Bestenfalls in einem nebulösen "vereinten Europa" könnten die Deutschen irgendwann vielleicht wieder zusammenleben, hieß es damals.

So orientierten sich 1975 die "Perspektiven liberaler Deutschlandpolitik" des FDP-Vorsitzenden Genscher nicht mehr am nationalstaatlichen Einheitsbegriff. Ziel war eine "Friedens- und Entspannungspolitik" bis zur Entwicklung eines "gesamteuropä-ischen Friedenssystems" als Ergebnis einer "blockfreien Zusammenarbeit". Ein ähnliches System war auch die Wunschvorstellung der Kremlherren, die damit die deutsche Teilung verewigen, die DDR konsolidieren und die Deutschen in der DDR zwingen wollten, sich mit dem kommunistischen System abzufinden. Für Genscher mutierte die "staatliche Einheit des deutschen Volkes" zum "Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in beiden Teilen Deutschlands". Aus Rechtspositionen wurden "Leerformeln". Ganz auf der Linie von Egon Bahrs "Wandel durch Annäherung" war "die deutsche Frage nicht mehr offen". Auch in der Koalition mit Helmut Kohls CDU konnte Genscher seine Politik fortsetzen, die deutsche Frage stand für sie "nicht auf der Tagesordnung der Weltpolitik". Genscher hatte einen wesentlichen Anteil daran, die Ostberliner Regierung "salonfähig" zu machen und den Mauerstaat DDR als "normalen Staat" erscheinen zu lassen. Die DDR nahm das dankbar zur Kenntnis.

Bei dieser Politik wurde übersehen, daß die demokratischen Nationalstaaten das Europäische an Europa und seine Lebensgrundlage sind. So gesehen war Deutschland erst mit der Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit "europafähig" geworden.

Genschers Außenpolitik hatte den eigenen Nationalstaat aus den Augen verloren. Die friedliche Revolution der Deutschen zwischen Rügen und Thüringer Wald, die ihre Selbstbefreiung und den demokratischen Nationalstaat erzwangen, traf diese Außenpolitik daher völlig unvorbereitet. Kein Wunder, hatte doch Walters wenige Monate vorher feststellen müssen, "wie wenige Politiker die Einheit Deutschlands in naher Zukunft verwirklicht sehen wollten". Eher habe die Sorge überwogen, "was Deutschlands Nachbarn von einem vereinigten Deutschland halten konnten. Das Zentrum dieser Besorgnisse lag im Auswärtigen Amt".

Nicht dank, sondern eher trotz der offiziellen bundesdeutschen Politik hatten sich die von ihr unerwarteten Entwicklungen ergeben. Erst als sie offenkundig waren, wurden die neuen Realitäten pflichtgemäß genutzt. Doch obwohl die neue Lage die Konzentration aller politischen und wirtschaftlichen Kräfte auf die Konsolidierung des demokratischen Nationalstaats Deutschland gebot, handelte Deutschland auch weiterhin als eher östlichstes Land Westeuropas statt als Europas Mitte. Seit über einem Jahrzehnt übernimmt sich Deutschland finanziell mit dem Versuch, die Folgen des Sozialismus zu überwinden und gleichzeitig der weitaus größte Nettozahler der EU zu sein. Damit finanzieren die Deutschen Spanien, Portugal, Griechenland und Irland, während die deutschen Interessen geopolitisch eher die Zuwendung zu den vielgestaltigen Problemen im östlichen Europa verlangen. Insofern setzt Joseph Fischer die Politik Genschers getreulich fort. Das Ganze nennt man Kontinui-tät.