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06.04.02 / Eine Liebeserklärung an Königsberg

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. April 2002


Stadt des Schicksals
Eine Liebeserklärung an Königsberg
von Gertrud Papendick

Laßt uns noch einmal heimfahren zu unserer alten Stadt, als wäre sie noch am Leben, als wäre der Weg zu ihr frei und als sähen wir von fern schon ihre steilen Türme in den Himmel steigen; als fänden wir sie wieder, unverloren und unversehrt, und alles wäre wie einst ...

Um die elfte Vormittagsstunde erhebt sich auf der Höhe eines Schloßturmes der Bläserchoral, sein Klang sinkt in die Schächte der Straßen, mitten hinein in das tiefgeschäftige Leben und zieht über Dächer und Mauern davon. Das Wasser und der Wind sind immer auf dem Wege, sie tragen jeden Augenblick erneut den Atem der Landschaft hinein, aus der Königsberg, 1255 gegründet, durch sieben Jahrhunderte seine Kraft und den Sinn seines Daseins bezog.

Und doch liegt der Schloßteich, als wäre er von je gewesen, wie ein ruhiger Spiegel im Herzen der Stadt. Da der Deutsche Osten sein festes Haus baute, floß noch ein rascher Bach von Norden her zu Tal, ein gutes Wasser, um die Burgmühle zu treiben, das man darum einfing und in die Breite staute. Seitdem rinnt nur noch unterirdisch wie ein sagenhafter Quell die Katzbach unter der Konditorei Zappa hindurch und den Mühlenberg hinunter bis in den Pregel.

Das Schloß und der Schloßteich zogen uns groß, vergeßt es nicht! Die gewaltige Silhouette, unverrückbar wie auf Ewigkeit vor dem Hintergrund jedes Tages. Der feierliche Ernst der Kirche, in die das Licht durch die Scheiben auf die Wappen alter Geschlechter fällt. In all den hohen Räumen, in den Kellertiefen der Gewölbe die geheimnisvoll verdämmernde Vergangenheit.

Und draußen - im Sommer - die schattigen Gärten am Teich und sonnige Uferwege, von Blumen gesäumt, die erhöhte Terrasse des Cafés Schwermer so verheißungsvoll unter den Bäumen; Schularbeiten im Börsengarten und dann und wann ein Stück Torte; die Schwäne auf dem Wasser und immer die Boote, große und kleine, an den Flößen und auf Fahrt, Studenten mit Mütze und Band; heimliches Glück einer verbotenen Kahnpartie am Abend bei sanft schwingenden Lampions, wenn die Militärmusik herüberklingt.

Im Winter der Machtbereich des Clubs der Schlittschuhläufer, Inbegriff und Erfüllung. Auf raschen, klingenden Eisen unermüdlich hin und her und in die Runde bis in die einfallende Dunkelheit. Dann flammen Lichter auf, und das Erlebnis aus Bewegung und Lust wird unversehens zum Abenteuer. Ein heißer Wunsch zum Himmel um langanhaltenden Frost!

Und zu jeder Zeit, immer und immer, mit zehn Jahren, mit zwanzig bis ins Alter hinein ungezählte Schritte über die alte hölzerne Brücke. Die Schloßteichbrücke ist Steg des heimatlichen Lebens und der Weg der Generationen - immer ist da das Wasser, und immer steht da das Schloß, und das Herz spürt vor dem ruhevollen Bild in der Geschlossenheit doch die Weite und Vielfalt der Welt. Die altväterischen Kastanien auf Königsgarten, unter denen es sich zum Promenadenkonzert am Sonntag so behaglich lustwandeln ließ, haben fallen müssen, als die neue Zeit anfing. Eine neue Zeit, eine neue Weite des Lebens und darum ein freier, großer Raum, an dessen Rand die Häuser des Geistes weithin sichtbar stehen. Die schlichte Fassade des Stadttheaters: auf seinen Brettern sang Lilly Lehmann die Leonore, spielten Adalbert Matkow-sky den Hamlet und Paul Wege- ner den Holofernes. Das neue große Haus der Albertina, das den Namen des herzoglichen Stifters als Symbol und den Kants als Verpflichtung von dem Altbau auf der Dominsel mit hinübernahm. Kant selber in Erz mit deutend erhobener Hand.

Das Leben stieg im Wandel der Zeit, und doch blieb im Grunde alles, wie es war. Das Roß des Reiterstandbildes Friedrich Wilhelms III. begeisterte einst den Knaben Lovis Corinth. Auf dem viereckigen Platz, zwischen Rasen und Blumen, sitzen auf den Bänken in der Sonne die alten Männer mit der Pfeife und die jungen Mütter mit den Kinderwagen. Das Café Bauer hat seine Tradition und seine Geschichte, es erlebte unzählige Frühschoppen und viele Zechernächte bis in den Morgen.

Der schöne Bogen des Paradeplatzes ist der Wandelgang der Kinder der Welt. Er beginnt bei der Großen Schloßteichstraße und wendet von der Altstädtischen Kirche in die Junkerstraße ein, führt bis zum Schloßplatz und wieder zurück und vielleicht noch ein zweites Mal; es ist der Weg der Begegnungen und schweifenden Träume. Er nimmt niemals ein Ende und ist durch alle Zeit jung geblieben.

Eine andere Luft weht dort unten im Urgrund der Stadt, wo die Straßen sich vielfach schneiden und der Fluß der Fahrzeuge und Fußgänger rascher strömt. Unterhalb der Südmauer des Schlosses, an der Stelle des Bimarckdenkmals, stand einst die Altstädtische Kirche; hier war Beginn und Mitte des städtischen Lebens; hier war je ein Knotenpunkt und Kreuzung, Durchgang des Hauptverkehrs und Zone der Geschäftswelt. Der Altstädtische Kirchenplatz wurde Kaiser-Wilhelm-Platz, und immer stärker branden hier die Wellen. Die Pferdebahn, die unten ein drittes Zugpferd in Vorspann nehmen mußte, um den langen und steilen Berg bis zum Steindamm zu zwingen, wich der elektrischen Straßenbahn, die mit Wagen hinter Wagen in dichter Folge die Hauptstränge der Stadt beschickt.

Doch Lärm und Wirbel, das unablässige Hin und Her sind nur das äußere Wesen, hinter dem das lebendige Herz des alten Stadtgrundes schlägt. Der Pregel ist seine Schlagader, die den Organismus durchdringt und nährt. Er bot siebenhundert Jahre zuvor auf der Höhe seines Nordufers die Stätte für den festen Wehrbau des Ordens, an den Ufern seines Doppellaufes entstanden die ersten Niederlassungen. Es siedelte der Fischer, der Kahnschiffer, der Jäger, der Handwerkübende und der Krämer. Altstadt und Löbenicht im Schatten der Burg, Kneiphof auf der von Wasserarmen umschlungenen Insel, einst durch Wälle und Tore geschieden, zuzeiten in blutiger Fehde miteinander, sind Wiege des Handwerks und des Handels und immer ihre Heimstatt gewesen. Dort erwuchsen die Gilden - Bäcker, Fleischer, Tuchmacher, Brauer - und ein ehrbarer, in die Weite reichender Kaufmannsstand.

Die Straßen sind alt und vielfach eng und verwinkelt; auf dem Platz in ihrer Mitte steht in Inselstille wie von Urzeiten her unser Dom; das Leben der Märkte quillt durch schmale, bogige Zugänge. Überall ist der Pregel.

"In unser Stadt im Norden stehn sieben Brücken, grau und greis." An jeder von ihnen hängen viele Jahre des eigenen Lebens, von jeder umfaßt der Blick ein anderes vertrautes Bild: die alte Universität hart überm Fluß, die Kirchtürme hoch überm Häuserwall; die Lastadie mit der langen Reihe der Speicher am Hundegatt; der Töpfermarkt und die Fischbrücke mit zünftigem Gewimmel und Geschrei ...

Ein wenig Geduld, es ist ein guter Platz auf der Grünen Brücke, an der als Wahrzeichen der Handelsstadt die Börse steht. Hier fängt der eigentliche Hafenraum an. Bis zur Grünen Brücke, wo schon die Möwen fliegen, kommen noch Schiffe, auch unter fremder Flagge, weither über die See, sie löschen und laden am Bollwerk vor den großen Lagerhäusern. Auch die Straßen streben aus dem inneren Kreis der Stadt ihrem Rande zu, sie durchmessen wie Strahlen die Oberstadt und die Unterstadt, den reservierten Tragheim mit Ver- waltungszentrum und gediegenen Wohnstätten, den Roßgarten mit der Stadthalle, dem hohen Haus der Musik, und den alten Sitzen des ostpreußischen Adels; den volkreichen Sackheim, den Haberberg mit dem Gewimmel seiner Kinder in Sandgasse und Schafgasse, im Schweizergrund und im Flinsenwinkel. Der Haberberg war einst die Vorratskammer des Kneiphofs; die Vorstadt barg die Kontore vieler Geschäftshäuser; die Laak war ein Wasserarm und der Tragheim ein Dorf; auf dem Roßgarten weideten die Pferde des Ordens; die Königstraße war die "Neue Sorge".

Es ist noch nicht lange her, ein paar Jahrzehnte erst, da trafen die Hauptstraßen am Ende auf den Ring der Mauer und zwängten sich mühsam durch die Tore. Wir haben es nicht vergessen, aber die Jungen und Mädchen wissen nichts mehr davon. Damals war Königsberg eine Festung, an Wall und Graben war die Stadt zu Ende. An ihrem Rande standen die Kasernen; die Exerzierplätze, in freier Sicht gelegen, boten ein Schauspiel, das zugleich erregend und belustigend war. Die große Garnison schoß ihre bunten Farben und ihren dröhnenden, klirrenden Ton in das Bild der Stadt.

Und in der Ferne war immer die See und alles Glück des Sommers. Auf dem Rennplatz Carolinenhof das grüne Feld der Pferde und der großen Welt, auf dem Radauplatz vorm Friedländer Tor der tobende, quietschende Rummel; und an allen Straßen draußen jene teils biederen, teils sturmbewegten Stätten, Etablissements genannt. Ihre Namen sind unvergessen: Julchenthal, Luisenhöh, Südpark, Schönbusch; vorm Königstor hinter der stillen Flucht der Kirchhöfe, besonders beliebt beim Militär: Café Sprind und Sprechan.

Als die alte Zeit neu wurde, gab es die erste Breche im Wall, und nach und nach fiel die ganze Mauer. Die Stadt wurde frei und streckte sich ins Land.

Wir sind schon die Generation der Großstadt mit dem neuen, weiträumigen Bahnhof im Süden und dem Flughafen im Osten, mit den ausgedehnten gartenreichen Bezirken, in denen auch die großzügig angelegte Kunstakademie, die neuen Kliniken und Behörden stehen.

Stadt der Geschichte und des Schicksals auf ausgebautem Brückenkopf im Grenzland des Ostens, von Rittern errichtet und durch seine Zeit von Kriegen umbrandet, von Feinden besetzt, von Bränden und Seuchen verheert und wieder erstanden, immer sich der Ehre bewußt und auf ihre Stärke vertrauend. Stadt des Geistes auf entlegenem Posten, Stätte der Wissenschaft, Heimstatt der Kunst, Wiege und Heimat manches großen Namens. Stadt der warmherzigen, klaren ostpreußischen Menschen, Stadt des Humors, der Gastlichkeit und der Treue. Laßt uns ihr die Treue halten! Es ist Glück und Stolz, ihr Kind zu sein, ein Glied ihres organischen Lebens; in ihr verwurzelt und mit ihr verwachsen, durch sie geformt und ihr dienstbar, teilhabend an ihrer rastlos bewegten, durch viele Kräfte getragenen und von mancherlei Strömen durchpulsten Welt.

Laßt uns daran denken, wenn wir auf der Brücke des Westens stehen im Abendlicht. Wir sind einmal noch heimgekommen zu unserer Stadt auf den Straßen des Herzens. Von der Höhe des Schloßturmes, unvergessen, blasen sie am Abend um die neunte Stunde: "Nun ruhen alle Wäl- der ..."