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20.04.02 / Deutsche Schultraditionen in Estland, Lettland und Litauen

© Das Ostpreußenblatt / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. April 2002


Baltikum: Bildungshungrige Barone
Deutsche Schultraditionen in Estland, Lettland und Litauen
von Bodo Bost

Seit dem 13. Jahrhundert bildeten Baltendeutsche über fast siebenhundert Jahre hinweg die herrschende Klasse im heutigen Estland und Lettland. Sie hatten entscheidenden Einfluß auf die dortige politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.

Im Gefolge der Hanse waren Deutsche ab 1201 zunächst als Händler gekommen, gleich darauf folgten Missionare, die das Baltikum - die letzte heidnische Bastion Mitteleuropas - christianisierten und zu diesem Zweck den Orden der Schwertbrüder gründeten. Erste Schulen wie die Domschule in Reval gehen auf jene später mit dem Deutschen Orden vereinigten Ritter zurück.

Vom 13. bis ins 16. Jahrhundert bestand im Baltikum der Ordensstaat, der in Kultur und Sprache dem deutschen Mutterland in nichts nachstand. Da die Hanse in der Ökonomie das Sagen hatte, war Niederdeutsch die Verwaltungs- und Wirtschaftssprache. Im Bereich der Kirche dominierte das Lateinische.

Erst mit der Einführung der Reformation wurde seit 1525 Hochdeutsch die herrschende Sprache. Die in der Folgezeit im Baltikum maßgeblichen Mächte - zunächst Rußland, später Schweden und Polen und danach wieder Rußland - erkannten die Privilegien der deutschen Oberschichten an und stärkten damit deren kulturelle Dominanz über die autochthone Bevölkerung.

So entstand im estnischen Dorpat im Jahre 1632 unter schwedischer Herrschaft nach dem Muster von Uppsala die erste baltische deutschsprachige Universität, die bald zum geistigen Zentrum der Region wurde und weit ins Zarenreich ausstrahlte.

Unter der russischen Ägide, die von 1710-1918 dauerte, erlangte der politische und kulturelle Einfluß der Baltendeutschen seinen Höhepunkt. Begünstigt durch die Nähe zur neuen Hauptstadt St. Petersburg und der Öffnung nach Westen wurden sie, obwohl sie nie mehr als 10 bis 15 Prozent der örtlichen Bevölkerung ausmachten, zu Wegbereitern der russischen Großmachtstellung und zur tonangebenden Gruppe in der russischen Beamtenschaft und der zarischen Armee.

Kulturell galt das Baltikum aus hiesiger Sicht nicht als Ausland.Viele Werke von Immanuel Kant und Gottfried Herder gingen zunächst dort in den Druck, bevor sie auch im deutschen Kernland bekannt wurden.

Unter der Regie des deutschen Adels entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach der Niederlage Napoleons, an der die 69 baltendeutschen Generäle des Zaren wesentlichen Anteil hatten, eine große Zahl deutscher Schulen. Auch viele Esten und Letten wurden in ihnen ausgebildet.

Diese Bildungsstätten waren somit Geburtshelfer der im 19. Jahrhundert aufkommenden lettischen und estnischen Nationalbewegungen. Desgleichen die evangelische Pastoren und die Universität Königsberg, an der die ersten Bibeln und Katechismen in den baltischen Sprachen gedruckt wurden. Anders war die Entwicklung in Litauen, das nie deutsches Kulturgebiet gewesen ist. Es konnte sich in Personalunion mit dem Königreich Polen gegen die Einbeziehung in den deutschen Ordensstaat wehren.

Nachdem Litauen jedoch im Laufe des Spätmittelalters zur beherrschenden Regionalmacht wurde, ließ es vor allem deutsche Handwerker aus dem Ordensstaat ins Land. Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts, als ein Teil Litauens infolge der polnischen Teilungen an Preußen fiel, kamen auch deutsche Bauern. Insgesamt waren die Litauen-Deutschen eine zu kleine und zu inhomogene Gruppe, so daß sich viele von ihnen im Laufe der Zeit assimilierten.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Entstehung der drei baltischen Staaten veränderten sich die Lebensbedingungen der baltendeutschen Bevölkerung schlagartig. In Estland und Lettland verloren die Deutschen, die in ihrer Mehrheit gegen die Unabhängigkeit gekämpft hatten, ihre angestammten Privilegien und auch den Großteil ihres Landbesitzes.

Ab 1925 wurden in Estland, Lettland und Litauen vorbildliche Minderheitenstandards eingeführt, die es den Deutschen erlaubten, in den Genuß einer weitgehenden Kulturautonomie zu gelangen. Deren Kernpunkt in Estland und Lettland war ein gut funktionierendes öffentliches und privates Schulwesen. 100 Prozent aller deutschen und 20 Prozent der jüdischen Schüler besuchten diese Bildungsstätten.

In Estland gab es bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges vier deutsche Gymnasien, 8 Mittelschulen und ein dichtes Netz deutscher Grundschulen. Selbst an der ab 1919 estnischen Universität Dorpat (Tartu) wurden bis Ende der 30er Jahre Vorlesungen auch auf Deutsch gehalten. Estland war damals das Land Europas mit dem prozentual höchsten Studentenanteil.

In Lettland existierte in der Zwischenkriegszeit ein ähnlich gut ausgebautes deutsches Schulwesen mit zehn Gymnasien in Riga, Mitau, Libau, Goldingen und Windau sowie 65 Grundschulen. Über die Hälfte davon privater Natur.

In Litauen hatte man vor 1914 kaum von einem flächendeckenden Bildungswesen sprechen können. Erst unter der deutschen Besatzung 1914-18 entstanden an die tausend Grundschulen, von denen 75 deutschsprachig waren. Auch aus diesem Grund war Litauen bei Kriegsende der deutschfreundlichste baltische Staat.

Im Jahre 1923 veränderte sich die Lage in Folge der Besetzung des Memelgebietes grundlegend. Litauen besaß nun einen Streifen deutschen Gebietes, der ohne Volksabstimmung gewaltsam vom Vaterland gelöst worden war. Als Teil Preußens kannte das Memelgebiet ein bestens organisiertes Schulwesen mit vier Gymnasien in Memel, Heydekrug und Pogegen und 173 deutschsprachigen Grundschulen. Das 1925 vom Völkerbund verabschiedete Memelstatut garantierte zwar die Schulfreiheit, doch wechselten im Laufe der Jahre auf Druck der Behörden immer mehr Grundschulen zum Unterricht auf Litauisch.

Mit der Aussiedlung der Baltendeutschen 1940/41 und der Vertreibung der Memelländer 1945 schien für die deutsche Kultur und Bildung in der Region das Ende gekommen. Daß dem nicht so war, zeigte sich mit Beginn der Pere-strojka, die eine erfreuliche Entwicklung in Gang setzte.

Dieser Beitrag wird in der nächsten Folge mit Ausführungen über die heutigen deutschen Schulen im Baltikum fortgesetzt.

 

Fototext: Hauptportal der Universität Dorpat (Tartu): Bereits 1632 entstand in dieser estnischen Stadt die erste baltische deutschsprachige Universität

Foto: Martin Schmidt