20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.05.02 / Niemals lange Frieden

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Mai 2002


Niemals lange Frieden
Ernst Baltrusch untersucht in einem neuen Werk die Beziehungen zwischen den Juden und Römern

Ernst Baltrusch, Historiker an der Freien Universität Berlin, reflektiert die wichtige Frage, warum in der frühen römischen Kaiserzeit schwere Konflikte zwischen Rom und den Juden entstanden. Diese Streitigkeiten, besonders der jüdische Krieg von 66 bis 70 n. Chr., der den staatlichen Untergang des Judentums verursachte, brandeten in einer Zeit auf, als die römische Obrigkeit ihren Provinzen ein Optimum an Frieden, Selbstverwaltung und Wohlstand bot. Bal- trusch will das "bis heute nicht wirklich erklärte Phänomen der

jüdisch-römischen Katastrophe" deuten.

Im allgemeinen hätten Historiker das Geschehen damit interpretiert, daß sie einzelne Personen oder die jüdische Religion verantwortlich machten. Der Autor hingegen nimmt an, daß die Religion nicht Ursache, sondern eher Folge des "ausgeprägten Freiheitsdranges" der Juden gewesen sei. Den singulären jüdischen Glauben hält Baltrusch für eine "pragmatische Religion", die politischen Wandlungen angepasst wurde. Letztlich legitimierte die Religion nur jüdisches Streben nach Autonomie. Eine gewagte These?

Baltrusch betrachtet nicht die römisch/jüdischen Konflikte als solche, sondern versucht, sie in einen historischen Gesamtzusammenhang zu stellen, indem er ihre lange Vorgeschichte darlegt. Erst mit Hiskia, um 700 v. Chr. König von Juda, begann laut Baltrusch die "religiöse Sonderentwicklung" der Juden. Der Kampf gegen die Herrschaftsansprüche der Assyrer kräftigte den jüdischen Kult. Etliche Leser dürften hier stutzen. Bekanntlich existierte der monotheistische Jahwe-Glaube, das Herzstück jüdischer Religion, schon lange vor Hiskia. Auch stellt Baltrusch gar nicht erst die Frage, warum jüdischer Freiheitsdurst gerade diese Religion und keine andere hervorbrachte. Unabhängigkeit begehrten zahlreiche antike Völker!

In der Ära des babylonischen Exils sicherte der Glaube die "Zusammengehörigkeit" der Juden. Nach ihrer Heimkehr kooperierten sie mit der toleranten persischen Oberhoheit. Zwar mußte Judäa Tribute zahlen, erhielt aber Autonomierechte, zumal Jerusalem eine Fremdherrschaft nicht prinzipiell ablehnte. Dennoch, so Baltrusch, gab es jüdisch/persische Zwiste, weil das beiderseitige Verhältnis stark vom jeweiligen Monarchen abhing. Ähnlich gestaltete sich die Lage unter dem Zepter der Nachfolger Alexanders des Großen, Ptolemäern und Seleukiden. Das jüdische Verlangen, Eigenständigkeit und religiöse Identität zu wahren, behinderte eine dauerhafte Integration, so daß es 168 v. Chr. zum Makkabäer-Aufstand kam. Gut 20 Jahre später gewährten die Seleukiden der jüdischen Provinz weitgehende Unabhängigkeit.

Etwa zur gleichen Zeit knüpften Rom und Judäa erste Kontakte. Jahre relativer Freundschaft folgten; die jüdische Seite glaubte, daß die italische Macht sie selbstlos unterstütze. Roms oligarchischer, "rechtsstaatlicher" Charakter differierte in jüdischen Augen positiv von der Willkür hel- lenistischer Monarchen. Dennoch war das Verhältnis von Rom und Jerusalem, wie Baltrusch gut herausarbeitet, durch wechselseiti- ge Fehleinschätzungen geprägt. Nach der stufenweise erfolgten Umwandlung Judäas in eine römische Provinz trat zutage, daß Rom den Juden zwar religiöse Toleranz, aber keinesfalls politische Unabhängigkeit konzedierte. Jüdische Gesetze standen in einem fundamentalen Gegensatz zum römischen Kaiserkult.

Baltrusch gelingt es, komplizierte Strukturen und Prozesse darzustellen. Fundamental Neues präsentiert er zwar nicht, aber das Buch ist unbedingt lesenswert. Seine eigentliche Hauptthese jedoch, daß die jüdische Religion nur politische Interessen "pragmatisch" absicherte, beweist er nicht. Pragmatismus hätte es erfordert, die tolerante Supermacht Rom zu akzeptieren, statt aus Gründen religiöser Dogmatik Aufstände zu entfesseln, die nur mit einer katastrophalen Niederlage enden konnten.

Letztlich verloren die Juden nicht allein die Reste ihrer Autonomie, sondern die staatliche Existenz überhaupt. Symptomatisch hierfür ist immer noch der Massenselbstmord Tausender Juden, die sich während des jüdischen Krieges vom Berg Tabor hinabstürzten. Will Baltrusch auch hierin ein pragmatisches Verständnis von Religion und Politik erkennen? Undogmatisch war die römische Religion - aber gerade nicht die der Juden! Rolf Helfert

Ernst Baltrusch, "Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, 223 Seiten, 34,90 Euro

 

Rom und die Juden: Dies Detail vom Titusbogen in der italienischen Hauptstadt zeigt Römer, die Beute aus Jerusalem davontragen.