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11.05.02 / Preußens Erbe _ Preußens Ehre

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Mai 2002


Preußens Erbe _ Preußens Ehre
von Gottfried Loeck

Als der Alliierte Kontrollrat im Februar 1947 dem preußischen Staatswesen den Todesstoß versetzte, als er Preußen als "Hort der Reaktion und des Militarismus" bezeichnete und den Staat kurzerhand durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 auflöste, interpretierte Golo Mann dieses Vorgehen pointiert als "Fußtritt, den siegreiche Esel einem längst toten Löwen gaben".

Im übrigen Staatsgebiet schien man erleichtert, weil es offenbar nur Preußen war, das so viel Unheil über das Land gebracht hatte. Auch wenn man den Vertretern des Kontrollrates nicht gerade historische Bildung attestieren sollte, waren sie bei weitem nicht die einzigen, die Preußen nach Idee und Inhalt ablehnten. Erinnert sei beispielsweise an Konrad Adenauer, der freimütig bekannte: "Wir im Westen lehnen vieles, was gemeinhin preußischer Geist genannt wird, ab." Das Urteil war gesprochen, ohne daß ein Verteidiger dagegen plädiert hätte.

Aber wen interessierte das damals wirklich im geschlagenen, zerstückelten, besetzten Deutschland, außer ein paar nicht zu überzeugenden Preußenfans? Marlene Dietrich, die sich zur Zeit des Dritten Reiches immer wieder scharf von Deutschland distanzierte, hatte keine Hemmungen zu bekennen: "... I am the last Prussian." Die alte Schulweisheit "vae victis" (wehe den Besiegten) bestätigte sich, obwohl sich kein einziger Preuße in nächster Umgebung von Hitler befand, aber 70 Prozent der im Widerstand Umgekommenen aus Preußen stammten.

Daß man in Deutschlands We-sten und Mitte unterschiedlich mit der verordneten Entpreußung umging, bedarf kaum besonderer Untermauerung. Die deutschen Kommunisten tilgten so weit wie möglich die steinernen Spuren, sprengten Schlösser und Herrensitze, verbannten selbst Daniel Rauchs Reiterstandbild Friedrichs des Großen, das seit 1851 "Unter den Linden" gestanden hatte, in den Park von Sanssouci. Auch im Westen unseres Vaterlandes hielt man sich lange an Churchills Verdikt, daß Preußen die "Wurzel allen Übels" war, nutzte jedoch andererseits gerne von Anfang an den Sachverstand vieler untadeliger preußischer Beamter, ihre Leistungsbereitschaft, Selbstdisziplin, Verfügbarkeit, ihr unge- brochenes Pflichtbewußtsein beim Wiederaufbau. Nur "preußische" Primärtugenden durfte sie keiner mehr nennen.

Wie schizophren bestimmte politische Kreise und die sie fördernden Medien beim Thema Preußen reagieren, wurde 1991 gegenüber dem früheren Bundeskanzler Kohl überdeutlich, dem schon wegen seiner Teilnahme als Privatmann an der Beisetzung Fried-richs des Großen im engsten Kreis der Hohenzollern-Familie unterstellt wurde, in Deutschland "Nationalismus und Militarismus schüren zu wollen". Fragt man heutige Abiturienten nach Preußen, ist man über die verbreitete Unkenntnis erschüttert. Über den "Emanzipationsanspruch der Frau in Soweto" oder "die heterosexuelle Willfährigkeit sozialkritischer Reformer" zu plaudern ist weitaus gefragter, als sich mit der preußischen Geschichte auseinanderzusetzen. Insofern dürfen uns die Antworten sogenannter "Eliten" nicht wundern. Auf die allgemein gehaltene Frage "Was stellen Sie sich unter Preußen vor?" kommen nach zumeist längerer Bedenkzeit Antworten wie diese: Junker mit Reitstiefeln und Peitsche, die jährlich maximal ein Buch kaufen, elend ausgestattete Schulhäuser, Leutnante mit schnarrender Stimme, überall Kommiß, stramme Haltung, Pünktlichkeit, Sauberkeit Typ Piefke, jeder zweite Preuße trägt Uniform, eiserner Fleiß, Treue gegenüber dem gnädigen Herrn, Roggenbrot und dicke Milch, Rückständigkeit in jeder Beziehung, übertriebener Gehorsam ... Vereinzelt hört man auch Namen wie Friedrich d. Gr., Kant, Fichte, Arndt, Gebrüder Grimm, Schinkel, Menzel, Clausewitz, Moltke, die man Preußen zuordnet, meist ohne deren besondere Leistung zu kennen. Daß die Vorstellungen von Preußen allenfalls bruchstückhaft bleiben, ist politisch gewollt und bei vielen nachkriegsgeformten beziehungsweise geläuterten Geschichtslehrern nicht verwunderlich. Um die eigenen Kinder aus Karrieregründen nicht in Widerspruch zu den "modernen" Lehrern zu bringen, dem Zeitgeist ist scheinbar zu entsprechen, bleiben Wissensträger oft stumm. Die Willfährigkeit, mit der sich das gebildete Volk oder seine bedeutenden Bildungsschichten von Preußen getrennt haben, entspricht einer Art "Geschichtsfeindlichkeit", die zum Wesen des modernen Deutschen gehört.

Daß die Wirklichkeit Preußens sich keineswegs mit einem Blick erschöpft, sondern auch Widersprüche ausweist, gehört zu den Charakteristika aller Staaten. Als Abiturient aber so wenig von der Geschichte Preußens zu wissen, unterscheidet uns überdeutlich von allen unseren Nachbarn, bei denen die Rückbesinnung beziehungsweise der Rückgriff auf die vollständige eigene Geschichte Selbstverständlichkeit ist. Die bewußte Eingrenzung der deutschen Geschichte auf zwölf Jahre Nazi-Diktatur, der Verfall unserer Sprache, die Aufweichung der Kirchen, die Politisierung der Justiz, die Herausbildung ethnischer Parallelgesellschaften zeigen, daß eine Rückbesinnung auf die preußischen Ideale wünschenswert wäre. Wenn man heutige "Primärtugenden" wie Emanzipation, Selbstverwirklichung, Spaß in Form vieler Affären, Lügen, Betrügereien und die Selbstbedienung in Politik und Wirtschaft tagtäglich verfolgt, sehnt man sich nach preußischer Zucht und Ordnung, nach mehr preußischem Pflichtgefühl.

Man kann lange darüber streiten, wann man das Ende Preußens absehen kann: 1871, als es die alleinige Verfügung über seine Außenpolitik an das neu gegründete Deutsche Reich abtrat, 1918, als das preußische Königtum erlosch, 1920, als die preußische Armee in der Reichswehr aufging, 1932, als Reichskommissar Franz von Papen die preußische Regierung Braun-Severing weitgehend widerstandslos absetzte; nach der öffentlich wirksamen Inszenierung des Tages von Potsdam am 21. März 1933, bei dem der Nationalsozialismus das Preußentum durch die Macht der Bilder vereinnahmte, oder doch erst 1945, als völkerrechtswidrige Annexion, Flucht und Vertreibung die preußischen Kernprovinzen mit Ausnahme Brandenburgs entvölkerten? Gewiß, Preußen ist auf heutigen Landkarten verschwunden, der einstige Rechtsstaat hat sich als Gegenstand des Denkens bei vielen Zeitgenossen weitgehend abgeschafft.

In einer Spaßgesellschaft ein neues Preußen schaffen zu wol-len ist utopisch. Nur an seine Inhalte zu erinnern dürfte schon manchen Zeitgenossen irritieren; zumal von keinem anderen Staatsgebilde deutscher Nation derart starke Strömungen und Impulse ausgegangen sind wie von dem vielfach geschmähten Preußen. Der Verfall des Reichs begünstigte Preußens Aufstieg. Was es seinen Nachbarn lange Zeit unheimlich machte, sie manchmal ängstigte, war meistens weniger die Schlagkraft seiner Armee, die Beharrlichkeit seiner Grenadiere oder die Verwegenheit seiner Husaren, sondern die Qualität seiner Staatlichkeit, seine unbestechliche Verwal- tung und unabhängige Justiz, seine religiöse Toleranz und aufgeklärte Bildung. In der klassischen Epoche, dem 18. Jahrhundert, und übergreifend ins 19. Jahrhundert galt Preußen als der modernste Staat Europas.

Erlauben Sie mir, an zwei Anekdoten zu erinnern, die vielleicht mehr über diesen Staat und seine Bürger aussagen als manche geistvolle Betrachtung: In Potsdam saßen zwei friderizianische Grenadiere im Wirtshaus zusammen, und mit zunehmender Alkoholmenge stieg auch der Mut, über den König herzuziehen. Sie schimpften über die strenge Ausbildung, über die Engstirnigkeit manches Vorgesetzten, überhaupt über die Armee. Besonders über den Alten Fritz rissen sie ihr Mundwerk weit auf. Er galt ihnen als Inkarnation des Tyrannen: An einem Nebentisch aber hörte ein offenbar Fremder dem Gespräch zu, und als die Grenadiere ihrem Herzen lautstark genügend Luft gemacht hatten, trat er zu ihnen, um die Schimpfkanonade fortzusetzen. Die Grenadiere hörten eine Weile verwundert zu, standen dann aber auf, packten den Mann und verprügelten ihn tüchtig. Als er endlich wieder auf die Beine gekommen war und sich von der Überraschung erholt hatte, fragte er, weshalb sie ihn so schlecht behandelt hätten, er habe doch nur das gleiche über den preußischen König geäußert wie sie, die Herren Grenadiere. Worauf er die knappe Antwort bekam: Wir dürfen das, wir sind seine Kinder!

Weitaus bekannter dürfte die historisch belegte Geschichte aus dem Siebenjährigen Krieg sein, nach der Friedrich der Große 1760 dem Kommandeur seines Regiments Gendarmes den Befehl gab, das Schloß Hubertusburg zum Ausgleich für die Verwüstung des Charlottenburger Schlosses durch sächsische Truppen zu plündern und zu zerstören. Oberst von der Marwitz führte den Befehl jedoch nicht aus. Als der König ihn darauf zur Rede stellte, antwortete von der Marwitz: "Weil sich dies allenfalls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde ..." Auch wenn von der Marwitz in Ungnade fiel, überlebt haben die Worte auf seinem Grabstein in Friedersdorf: "... wählte die Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre brachte."

Wenige ausgewählte Bildkompositionen sollen die Erinnerung an Preußen wachrufen, das Besondere hervorheben.

18. Januar 1701: Kurfürst Fried-rich III. krönt sich in einer glanzvollen Zeremonie in Königsberg zum König Friedrich I. in Preußen. Das souveräne Herzogtum Preußen (Ostpreußen) wird zum Königreich. Ein neues Staatsgebilde "betritt" die europäische Bühne.

4. März 1713: Nur eine Woche nach seiner Thronbesteigung verkündet der sogenannte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (* 14. 8. 1688; † 31. 5. 1740): "Es ist mein absoluter Wille, daß die Justiz in meinem Staat schnell, unparteiisch, mit reinen Händen, gleich für arm und reich, für hoch und niedrig, administriert wird." Im Zeitalter des Absolutismus waren solche Töne ungewöhnlich. Die Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat hatte begonnen.

25. Oktober 1717: In Preußen wird dank königlicher Weisung des Soldatenkönigs die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Damit wird Preußen zum Vorreiter einer Bildungsinitiative in Europa.

2. Februar 1732: Preußen nimmt weitgehend die aus dem Bistum Salzburg vertriebenen Protestanten auf. Damit folgt der Soldatenkönig dem Vorbild seines Großvaters, des Großen Kurfürsten, der bereits 1685 etwa 150.000 französische Hugenotten ins Land holte, die die Wirtschaft und Kultur in Preußen maßgeblich mitgestalteten und beförderten. Der Toleranzstaat Preußen zog die Menschen an, obwohl - im Vergleich zu heute - von "sozialer Hängematte, multikultureller Gesellschaft" noch keine Rede war.

3. Juni 1740: Mit der Thronbesteigung Friedrichs II. (der Große *24.1.1712, †17.8.1786) wird die Folter abgeschafft, die königlichen Kornspeicher für die Armen geöffnet, die religiöse Toleranz verwirklicht.

14. Dezember 1779: Zehn Jahre vor der Französischen Revolution läßt der preußische König in den Berliner Zeitungen eine persönliche Erklärung abdrucken, "daß vor der Justiz alle Menschen gleich seien". Bettler und König auf einer Stufe! Die revolutionäre Schickeria in Paris oder anderswo war begeistert und irritiert zugleich. Graf Mirabeau bezeichnete Preußen "als märchenhaftes Königreich".

1781: In Königsberg schreibt Preußens bedeutendster Philosoph Immanuel Kant seine "Kritik der reinen Vernunft" und verkündet damit die ethischen Grundsätze eines beispielgebenden Aufklärungs-, Rechts- und Pflichtstaates.

1785: Friedrich der Große schließt mit den jungen Vereinigten Staaten von Amerika einen ersten Freundschafts- und Handelsvertrag, den George Washington als den "liberalsten Vertrag" kennzeichnete, "der je zwischen zwei unabhängigen Mächten eingegangen wurde".

1794: Mit Inkrafttreten des "Allgemeinen Preußischen Landrechts" wird ausgerechnet das vielgeschmähte Preußen zum ersten Rechtsstaat in Europa.

Und dennoch wird Preußen im nachhinein ausschließlich als Hort der Reaktion und des Militarismus gesehen. Gewiß - sich völlig frei von derartigen Vorwürfen zu stellen, wäre töricht und unangemessen. Erinnert sei nur an die beiden düsteren Jahrzehnte von 1786 bis 1806, als Preußen der Dünkel, die Verblasenheit an die Stelle von Zurückhaltung und Weitsicht traten. Daß es leidenschaftliche Preußen waren, die diese Zeitphase besonders selbstkritisch analysierten, entsprach dem Wunsch nach einer neuen maßvollen geistigen und ideellen Vorreiterrolle. Wenn Theodor Fontane, in seiner Jugend der Barde Preußens, im Alter hellsichtiger, trauriger und unbestechlicher Kritiker preußischer Dekadenz, in seiner Erzählung den "Schach von Wuthenow" sagen läßt, "daß Preußen kein Staat mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Staat sei", oder die kluge Königin Luise davon spricht, "daß sich Preußen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen ausgeruht" habe, werden die preußischen Tugenden wie Bescheidenheit, Selbstdisziplin, Toleranz, Pflichterfüllung, Gewissensentscheidung u. a. m. neu eingefordert, Tugenden, die Preußen groß gemacht haben. Übertriebenes Jammern oder das heute weithin gepflegte masochistische Suhlen in der Niederlage, in der neudeutschen Schuld- und Sühnekultur erscheinen unpreußisch. Die vom estnischen Präsidenten Lennart Meri kritisierte "Canossa-Republik", der man nicht trauen könne, "solange sie sich rund um die Uhr in Schuldbekenntnissen ergeht", verrucht, dem allgemeinen Werteverlust durch materielles Überangebot, Gleichmacherei und frühzeitige Selbstfindung zu begegnen.

1812: Mit der weitgehend eigenmächtigen Entscheidung Yorck von Wartenburgs, mit den Russen gegen den französischen Usurpator ein Neutralitätsabkommen zu schließen, beginnen die Befreiungskriege, in denen ostpreußische und pommersche Landwehrmänner, überwiegend barfuß in zerfetzten Leinenkitteln, zum Kampf für Deutschlands Befreiung auszogen. Den Ruhm, sich zuerst gegen die napoleonische Fremdherrschaft erhoben zu haben, muß Preußen mit keinem anderen deutschen Staat teilen. Daß die Anführer des damaligen Freiheitskampfes Yorck, Blücher, Gneisenau, Scharnhorst, E. M. Arndt, Fichte u. a. m. endlich dort wieder in Berlin Posto fassen dürfen, wo sie zur Ehre Preußens für alle Welt hingehören, stimmt freudig.

Ähnlich anderen Staatsgebilden hatte auch Preußen seine dunklen Flecken. Die Weberaufstände 1844 in Schlesien werden blutig niedergeschlagen, der 1848 in Frankfurt vorgelegte Grundrechtskatalog blieb Entwurf, der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (*15. Oktober 1795, †2. Januar 1861) lehnt die Kaiserkrone mit der Bemerkung ab: "Meister, Bäcker und Metzger" hätten keine Krone zu vergeben; Aufstände in Preußen und anderen deutschen Ländern im März 1848 werden militärisch niedergeschlagen, die zunehmende Industrialisierung wirft vielerlei soziale Probleme auf.

Stolz dürfen wir hingegen sein, daß es mit Otto v. Bismarck ein Preuße war, der den Flickenteppich unterschiedlichster Gebietsteile in Deutschland zu einer Einheit verschmolz, der aus Preußen, der kleinsten der fünf europäischen Großmächte, das preußisch-deutsche Reich schuf, ohne das europäische Gleichgewicht nachhaltig zu stören. Trotzdem hat man Preußen verächtlich als Hort der Reaktion und des Militarismus bezeichnet. Unstrittig ist, daß es auch im Königreich Preußen subalterne Naturen gegeben hat, die alles, was scheinbar unter ihnen stand, zu beugen trachteten, daß Preußen ein Militär- und Obrigkeitsstaat war. Aber konnte das unter den damaligen Bedingungen anders sein? Hätte Preußen unter anderen Bedingungen entstehen, sich entwickeln und existieren können? Was die Unterwerfung unter die Obrigkeit angeht, so ist das keineswegs nur auf Preußen beschränkt, sondern in jeder organisierten Gesellschaft Bedingung seiner Funktionstüchtigkeit. Vom preußischen Sozialdemokraten Kurt Schumacher stammt der unerwartete Ausspruch in seiner Dissertation, "daß alles, was auf deutschem Boden groß geworden ist, durch Gehorsam seine Größe erreicht hat". "In Freiheit dienen" hat Theodor Fontane diese Lebensdevise genannt. Disziplin und Gehorsam sind in der heutigen Spaßgesellschaft in Mißkredit geraten sind, weil sie angeblich jede Individualität unterdrücken, den Untertanengeist und Kadavergehorsam fördern. Doch wir wissen, daß die Anerkennung von Ordnung etwas anderes als Bürokratie und Kriechgang, Gehorsam etwas anderes als Knechtstand und Würdelosigkeit ist. Die heutzutage weit verbreiteten Beispiele schrankenloser Freiheit geben nachträglich einem stigmatisierten Staat recht, in dem Ordnung und Disziplin, Gehorsam und Maßhalten, Bescheidenheit und Toleranz, Frömmigkeit und Patriotismus ungeschriebene Gesetze darstellten.

Obwohl alle europäischen Mächte reichlich Kriege geführt haben, ist im Bewußtsein der Öffentlichkeit ausschließlich Preußen als "kriegslüstern" und "gewaltbereit" stigmatisiert. Daß das wilhelminische Deutschland nach 1890 den Vorurteilen mancherlei Zündstoff lieferte, in Teilen leider zur Karikatur entartete, darf nicht übersehen werden. Die großartigen Siege von Düppel, Königgrätz, Metz und Sedan haben so manche leutnantshafte Arroganz verstärkt, so daß es manchem In- und Ausländer schwerfiel, den schneidigen preußischen Kasernenton wortlos zu ertragen. Die bewährte Integrationskraft Preußens ließ deutlich nach. Das westdeutsche Neupreußen, in dem die großen, damals mächtig aufblühenden deutschen Industriereviere lagen, fühlte sich durch den Flottenbau, die industrielle Expansion und die wilhelminische Politik beflügelt, während man sich in Altpreußen östlich der Elbe murrend und knurrend in den Status eines armen Verwandten zurückgestuft sah. Man besann sich auf ein verjährtes "Erstgeburtsrecht" und fand Gefallen, sich gegenüber dem Pomp, dem Reichtum und der Großmannssucht, der parvenuhaften Prahlerei und Protzerei der Neureichen durch altpreußische Schlichtheit und Gediegenheit abzuheben.

Aussagen zu Preußen sind vielstimmig. Die buntscheckige Geschichte eines Staates weist - wie könnte es anders sein - Licht- und Schattenseiten, Höhen und Tiefen auf. Weil Preußen aber ein beispielgebender Rechts-, Toleranz-, Aufklärungs- und Sozialstaat war, zählt Preußen zu den Staaten in der anspruchsvollen Bedeutung des Wortes. Daher macht es stolz, sich des preußischen Erbes besonders heute zu erinnern. Wenn meine Großmutter noch im hohen Alter alle Strophen des Liedes "Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben" uns Kindern mit bewegter Stimme vortrug, wird jener selbstverständliche, ungekünstelte Stolz seiner Bürger deutlich, dazuzugehören. Was wahres Preußentum ausmacht, hat Henning von Tresckow in einer Tischrede am 11. April 1943 anläßlich der Konfirmation seiner Söhne in der Potsdamer Garnisonkirche meisterlich ausgedrückt: "Vergeßt niemals, daß Ihr auf preußischem Boden aufgewachsen und heute an der heiligsten Stätte des Preußentums eingesegnet seid. Das birgt eine große Verpflichtung in sich; die Verpflichtung zur Wahrheit, zur innerlichen und äußerlichen Disziplin, zur Pflichterfüllung bis zum letzten. Vom wahren Preußentum ist der Begriff der Freiheit niemals zu trennen. Wahres Preußentum heißt Synthese zwischen Bindung und Freiheit, zwischen Stolz auf das Eigene und Verständnis für andere. Nur in dieser Synthese liegt die Aufgabe des Preußentums, liegt der preußische Traum."