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18.05.02 / Reinhard Gloel - Opfer der '93er Krawalle in Bonn: "Die Polizei durfte nur zusehen"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Mai 2002


Reinhard Gloel - Opfer der '93er Krawalle in Bonn: "Die Polizei durfte nur zusehen"
Bis heute leidet der Jurist an den Folgen "autonomer" Gewalt
von Eberhard Wenzel

Wie mehrmals in der Woche schwingt sich Reinhard Gloel am Morgen des 26. Mai 1993 auf sein Fahrrad, um von der Wohnung in einem Bonner Stadtteil zum Bundestag zu radeln. Auch an diesem Tag verabschiedet sich der 38jährige Jurist von seiner Familie wie üblich, küßt seine Frau und die beiden Jungs: "Bis später dann!" Als seine Frau ihn einige Stunden später wiedersieht, liegt Reinhard Gloel auf der Intensivstation einer Bonner Klinik, sein Gesicht blutverschmiert, vom Körper führen Schläuche und Kabel zu Maschinen und Meßgeräten, einen Tubus haben die Ärzte direkt in die Luftröhre gelegt. Er liegt im Koma, ringt mit dem Tod. Reinhard Gloel ist der Gewalt sogenannter Autonomer zum Opfer gefallen.

Erst viele Wochen später, "als mir die Beatmungsschläuche nicht mehr aus der aufgeschnittenen Kehle hingen", dürfen seine beiden Jungs ans Krankenbett; zwischenzeitlich sagt der Jüngste zu seinem Teddy Papa. Dort liegt ihr Vater, noch immer fast bewegungsunfähig, noch immer nicht in der Lage, vollständige Sätze zu formulieren. Bis heute leidet der Familienvater unter Schmerzen, humpelt, ist zu hundert Prozent behindert. Man spürt, daß er sich bei jedem Satz, den er spricht, stark konzentrieren muß.

Zu den körperlichen Verletzungen kommen, mindestens genauso schmerzhaft, die psychischen Verwundungen. Noch in der Klinik erfährt er, daß seine Frau, die ihn jeden Tag besucht und so gut es geht pflegt, selber krank wird. Die Ärzte raten ihr schließlich von weiteren Visiten im Krankenhaus ab. Und er liegt da und kann ihr nicht helfen. Als er endlich nach Hause darf, hat seine Frau "nun drei Kinder, aber keinen Mann mehr". Reinhard Gloel ist lange auf einen Rollstuhl und auf fremde Hilfe für jeden Handgriff angewiesen. Am schlimmsten aber nagt an ihm, daß niemand etwas tut, um die Täter zu ermitteln.

Wie er später erfährt, ist es zu dieser Zeit politisch nicht opportun, die gewaltbereite linke Szene durch Recherchen oder gar Festnahmen "zu reizen". Dabei läßt sich schon am 26. Mai 1993 recht genau eingrenzen, woher der Mob stammt. Doch bis heute bleiben die Täter von der Justiz unbehelligt. Deshalb auch ist Reinhard Gloel nicht der richtige Name des Juristen (der ist der Redaktion bekannt), er hat ihn sich nach den Ereignissen von 1993 zugelegt. Die Angst vor möglichen Rache-Anschlägen der Terroristen, die seine gesamte Familie treffen könnten, sitzt tief.

Als Geschäftsführer der Gesellschaft zur Entbürokratisierung hatte Reinhard Gloel beinahe täglich in den Schaltzentralen der Macht zu tun, im Bundeshaus und im Bundesrat. In diese Funktion hatte ihn 1992 Herbert Helmrich berufen, Justizminister im Schweriner Kabinett von Ministerpräsident Berndt Seite. CDU-Mann Helmrich, bis dahin Abgeordneter seines Wahlkreises Buchholz/Harburg, war schon als Mitglied des Rechtsausschusses und stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bundestages auf Gloel aufmerksam geworden. Der strebsame Jung-Akademiker, 1955 in Heidelberg geboren, dort und in Bonn zum Volljuristen ausgebildet, erwarb sich die Meriten vor allem als Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim "Bund der Selbständigen" (BDS), dem mit über 100 Jahren ältesten und größten Verband der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland. Von 1987 bis 1992 erarbeitete Gloel dort Stellungnahmen, schrieb Artikel, redigierte die verbandseigene Zeitschrift, begleitete Anhörungen und wirkte so, wie er heute sagt, an der Verbesserung neuer Gesetze mit.

In dieser Zeit lernt er, "daß und wie die Bürokratie etliche hunderttausend Arbeitsplätze vernichtet". Er lernt aber auch, wie man etwas dagegen unternehmen kann. Genau solch einen engagierten, unvorbelasteten und ideenreichen Mitstreiter sucht der CDU-Abgeordnete Helmrich als Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Entbürokratisierung. Weil er selbst jetzt in Schwerin und seinem neuen Wahlkreis Ücker-Randow in Mecklenburg-Vorpommern wirkt, fungiert Gloel als Statthalter in Bonn und "Verbindungsoffizier": Mehrfach täglich telefonieren beide miteinander, formen Strategien gegen behördlichen Starrsinn und papierne Blockaden wirtschaftlicher Entwicklung.

Auch am 26. Mai 1993 will Reinhard Gloel möglichst bald mit "seinem" Vorsitzenden sprechen. Seit Tagen ist zwar bekannt, daß sich gewaltbereite Demonstranten, Chaoten und Kriminelle rings um den Bundestag zusammenrotten würden, um gegen die an diesem Tag behandelte Asylrechtsnovelle zu "protestieren". Doch anders als die Abgeordneten, die sich mit Booten über den Rhein übersetzen oder auch per Hubschrauber einfliegen lassen, glaubt Gloel nicht, daß er als Nicht-Politiker bedroht werden könnte.

Ein beinahe tödlicher Irrtum. Nur wenige hundert Meter vor dem Bundeshaus, so schildert es später eine Zeugin, springen rund 30 teils vermummte Demonstranten dem Juristen entgegen: "Dann schleuderte G.'s Vorderrad in die Höhe", und die Frau sieht nur noch, wie der 38jährige mit dem Kopf auf dem Boden aufschlägt. Dort bleibt er bewußtlos liegen. Es dauert eine Weile, bis Polizeibeamte zu ihm durchdringen können. Der von ihnen gerufene Rettungswagen bringt den Verletzten in die Klinik.

Dann aber geschieht das Merkwürdige, nahezu Unfaßbare - nämlich nichts: Die Beamten nehmen nicht die Verfolgung der Täter auf, versuchen nicht, Personalien zu ermitteln, nichts dergleichen. Die Chaoten agitieren unterdessen unbehelligt weiter gegen die ihnen verhaßten Symbole der Demokratie.

Erst einen Monat später nimmt sich die Presse des Falles an. "Demo-Opfer muß mühsam ins Leben zurückfinden", titelt der Bonner General-Anzeiger. Der Beitrag befaßt sich endlich mit Reinhard Gloels Schicksal. Die Versäumnisse der Polizei nennt ein Leserbriefschreiber "unbegreiflich": Sie habe sich auf die Argumentation zurückgezogen, die Ehefrau des Verletzten habe keine Anzeige erstattet. Falsch: Zweimal fordert sie telefonisch Ermittlungen, schließlich erscheint sie selbst auf der Dienststelle. Darauf hätten die Beamten freilich nicht warten müssen. Bei einem Offizialdelikt wie Körperverletzung haben sie unverzüglich zu untersuchen, selbst wenn vorerst nur der Verdacht auf eine Straftat besteht.

Doch die Begründung der Polizisten für ihr Nichtstun ist offenbar nur die Version für die Öffentlichkeit. Insgeheim brodelt in den Dienststellen die Wut. Allerdings muß Gloel selbst recherchieren, um das herauszufinden. Es wird immer deutlicher, daß die Beamten auf höhere Weisung zur Untätigkeit verdammt waren. Bonns damaliger Polizeipräsident Michael Kniesel hatte seine Direktiven offenbar aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium.

Das bestätigt das Erlebnis von Ansgar Hollah, der am 26. Mai ebenfalls an seinen Arbeitsplatz im Bundeshaus gelangen will. Auch er gerät an einen Trupp von Chaoten, die ihn, nach einigem Hin- und Herstupsen, zwingen, den Rückzug anzutreten.

Gut 300 Meter entfernt stößt Hollah auf eine Gruppe von Polizei-Einsatzkräften, die "da locker in der Sonne vor sich hin deeskalierten". Seine Frage nach einem sicheren Weg ins Regierungsviertel bescheiden die Uniformierten mit dem Anraten, es halt woanders "zu versuchen". Von derlei Versuchen, "für mein Recht auf Arbeit zu demonstrieren", hat Hollah allerdings für diesen Tag genug. Er bekommt noch mit, wie eine Krankenschwester, auf dem Weg zu ihrem Dienst in der Intensivstation einer nahen Klinik von Polizisten ebenfalls im Stich gelassen, mit Vollgas auf die Chaoten zurast, kurz vorher jedoch stoppt. Auch sie wird vom Mob nicht durchgelassen.

Ansgar Hollah spürt indes, daß die Polizisten gehörig "unter Dampf" stehen. Beim Nachfassen erfährt er es dann: "Sie haben mir bestätigt, daß sie leider angewiesen seien, nicht gegen Demonstranten vorzugehen", berichtet Hollah jetzt dem Ostpreußenblatt/Preußische Allgemeine Zeitung.

Obwohl "nur" mit ein paar blauen Flecken glimpflich davongekommen, erstattet er Anzeige gegen die Polizeibehörde wegen Strafvereitelung im Amt. "Als Bürger habe ich schließlich Anspruch auf Schutz und Sicherheit durch die Ordnungskräfte, wenn mich solche Chaoten an der Ausübung meiner demokratischen Rechte hindern", begründet er heute den Antrag. Nach ganzen zwei Jahren teilt ihm die zuständige Staatsanwaltschaft jedoch mit, es hätten sich keine Anhaltspunkte für den Vorwurf ergeben und man stelle das Verfahren ein.

Es ist kaum verwunderlich, daß die Medien nach dem 26. Mai 1993 zwar von einer Massen-Demonstration im Regierungsviertel berichten, von Blockaden, auch von einzelnen Ausschreitungen gewaltbereiter Autonomer. Doch allenthalben werden die Polizei-Oberen ob ihrer Zurückhaltung gelobt. Kein Hinweis auf energisches Vorgehen der Polizei, nichts über Scharmützel mit dem Pöbel.

Derlei hätte dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten des Bundeslandes auch kaum ins Kalkül gepaßt: Johannes Rau, bekanntermaßen bis heute kein Freund deutlicher Worte an Linksaußen, wollte offenbar nichts riskieren, was Chaoten zu Märtyrern ausgerechnet der Sozialdemokraten hochstilisiert hätte. Deshalb haben die Betroffenen von damals ihn als eigentlichen Urheber der Kapitulation vor dem Gesinnungsterror in Verdacht.

Und noch ein anderer Sozialdemokrat gibt keine rühmliche Figur ab, wenn es um die Wahrung von Recht und Ordnung in jenen Jahren geht. Gerhard Schröder hat als Ministerpräsident von Niedersachsen nichts unternommen, um den kriminellen Sumpf in seinem Land trockenzulegen, beklagt Reinhard Gloel. Gloel weiß nämlich heute, daß die Autonomen, die ihn damals vom Rad rissen, zur gewalttätigen Szene der niedersächsischen Stadt Göttingen gehörten. Das war, haben verdeckte Ermittler später bestätigt, auch Behörden und Politikern in Hannover bekannt. "In-

teressiert hat's keinen" (Gloel). Bis heute offenbar nicht: Die Göttinger sogenannte Antifa-Bewegung ist nach wie vor aktiv, ihre Schläger und Steinewerfer tauchen immer dort auf, wo sie Zoff provozieren können. Viele von ihnen, weiß Ansgar Hollah, sind den Fahndern sogar mit Namen bekannt. Bundesweit.

Die Ausschreitungen vom 1. Mai des Jahres 2002 haben gezeigt, daß Politiker wohl nichts dazugelernt haben und noch immer die "weiche Welle" gegen Gewalt und Radikalismus bevorzugen: Eine Verantwortungslosigkeit gegenüber den Bürgern eines demokratischen Gemeinwesens, klagen Reinhard Gloel und Ansgar Hollah in Gesprächen mit dem Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung.

Es geht beiden vordergründig nicht um ihre eigenen Ansprüche. Gloel, der für den Rest seines Lebens körperliche und seelische Schmerzen ertragen muß, hat - ganz Sohn einer ostpreußischen Mutter - nie resigniert: Seine zweite Ehe bereichert ein Kind, er hat ein Buch über sein Schicksal geschrieben, eine Internet-Seite eingerichtet (www.reinhard-gloel.de) und er macht wieder Musik, wie "damals als Hippie", diesmal mit eigener CD. Und: Er hat wirtschaftlich keine Probleme. "Wenn der Steuerzahler aber wüßte, was ihn allein meine Behandlung, die Rehabilitationsmaßnahmen und meine Rente gekostet haben, das könnte schon in die Million gehen, dann würde manch einer anders über die Tolerierung von Gewalt in unserem Staat denken", mahnt er.

Obendrein verzweifelt der Jurist am plötzlichen Ende seiner Arbeit: "Was hätte ich erreichen können, wenn es gelungen wäre, die Bürokratie aus der mittelständischen Wirtschaft zu vertreiben! 200.000 Arbeitsplätze, die die Selbständigen hätten schaffen können, sind nicht zu hoch gegriffen."

Es sei denn auch nicht mehr zu verstehen, daß ein ganzer Staat sich immer wieder aufs neue der Gewalt einer Hundertschaft gut organisierter Gewalttäter beuge und es offenbar für selbstverständlich erachte, daß dabei jedes Mal wirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe entstehen.