20.04.2024

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18.05.02 / ZDF-Doku zeichnete ein neues Bild Wilhelms II.

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Mai 2002


Gedanken zur Zeit: Gerechtigkeit für einen Kaiser
ZDF-Doku zeichnete ein neues Bild Wilhelms II.
von Hans Heckel

Keine Verhöhnung war zu vulgär, keine Schuldzuweisung zu platt, keine Verdächtigung zu finster: In den gängigen Darstellungen aus jüngerer Zeit nahm Wilhelm II. die grotesken Züge jener Fratze an, die gegnerische Kriegskarikaturisten von 1914 bis 1918 gepinselt hatten. Er wurde zur Quersumme aus hysterischem Schreihals, pompös-komischem Kauz und Blutsäufer, von dem alles Unheil des 20. Jahrhunderts seinen Ausgang nahm.

Als das ZDF eine über zweistündige Dokumentation für die Nacht vom Himmelfahrtstag zum folgenden Freitag ankündigte, mußte der Verfasser dieser Zeilen mit sich ringen: Soll man sich das antun? Sich mitten in der Nacht zum x-ten Male das übliche Gewäsch anhören und dann vor Wut wieder nicht richtig schlafen können? Die Entscheidung fiel fürs wackere Ausharren - sie wurde reich belohnt.

"Majestät brauchen Sonne" betitelte Autor und Produzent Peter Schamoni seine Dokumentation, in Anspielung darauf, daß der letzte Kaiser achtgab, daß seine öffentlichen Auftritte ausschließlich bei schönstem "Kaiserwetter" zu erfolgen hatten.

Was anderen Anlaß zur ersten Spottkanonade gewesen wäre, erklärt Schamoni erstaunlich modern: Wilhelm sei ein "Medienkaiser" gewesen, habe als einer der ersten die Wirkung des jungen Films erkannt. Und für gelungene Aufnahmen sei gutes Licht eben unabdingbar gewesen.

Sichtbar ist Schamoni bemüht, nicht nur nach belastendem Material zu fahnden. Ohne zu glorifizieren oder zu verdammen, nähert er sich behutsam dem Menschen und Politiker Wilhelm mit all seinen Stärken und Schwächen, seinen Fehlern und Leistungen - und letztlich seiner Tragik. Seine schwere Kindheit etwa, überschattet von der Behinderung seines linken Arms. Erschütternd die kalte Selbstsucht, die einen Brief seiner englischen Mutter an Wilhelms Großmutter Queen Victoria durchzieht, wo sie allein ihren Kummer über die Unvollkommenheit des Sohnes beklagt - und kaum Mitgefühl erkennen läßt, dafür aber um so mehr Kritik an dem Kleinen.

Schamoni läßt Wilhelm II. wie auch dessen engste Umgebung in zahlreichen Zitaten selbst zu Wort kommen und zeichnet so ein facettenreiches Bild des Menschen hinter dem 1941 verstorbenen Kaiser.

Ausführlich geht Schamoni auf den heikelsten Punkt von Wilhelms Biographie ein, sein Verhalten am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Hier fördert der TV-Produzent Bekanntes und weniger Bekanntes zutage. Allgemeingut ist, daß der Kaiser nach dem Attentat von Sarajewo demonstrativ wie jedes Jahr auf Kreuzfahrt gen Norwegen aufbrach. Ein nahezu verzweifelter Versuch, die aufgeheizte Lage in Europa zu entspannen. Vergebens: Aus norwegischen Zeitungen erfuhr der Monarch von der Mobilmachung Serbiens und Österreich-Ungarns am 25. Juli und kehrte in höchster Sorge nach Berlin zurück.

Weniger bekannt ist, daß der Kaiser auch nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Wien und Belgrad in mehreren Telegrammen seinen russischen Vetter Zar Nikolaus beschwor, nicht in den Konflikt einzugreifen und so einen Flächenbrand, einen Weltkrieg, zu vermeiden.

Zu spät. Während der Kaiser in Norwegen auf Anraten seiner Diplomaten friedliche Gelassenheit signalisiert hatte, saßen die anderen europäischen Häupter längst an den Kartentischen ihrer Militärs, war Rußland auf breiter Front aufmarschiert. Diese Details erschüttern das Bild des "Kriegstreibers" heftig. Schamoni läßt den ausländischen Argwohn über die wirtschaftliche Stärke Deutschlands als zentralen Kriegsgrund denn auch klar durchblicken.

Hitlers Herrschaft sah der Kaiser von Doorn aus mit unverhohlener Ablehnung, ließ Emissär Göring ("Rindvieh") abblitzen und formulierte: "Die Deutschen werden die Fahne mit dem Hakenkreuz noch einmal verfluchen, später verbrennen." Einer Rückkehr nach Deutschland stellte er laut Schamoni Bedingungen voran, die auf eine fundamentale Erschütterung des zentralistischen NS-Regimes hinausgelaufen wären.