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25.05.02 / Neuer Streit um Königsberg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. Mai 2002


Neuer Streit um Königsberg
EU verweigert Rußland einen visumfreien Land-Korridor

Fast 60 Jahre nach Kriegsende dürfte der russischen Führung der Stolz auf einstiges "Beuteland" restlos vergangen sein. Mit der bevorstehenden Erweiterung von EU und Nato um Polen und Litauen droht der Exklave Königsberg die völlige Isolation auf dem Landweg, nachdem Brüssel es abgelehnt hat, einen visumfreien Korridor für Bürger der Region durch polnisches und litauisches Gebiet zu legen.

Die als "unfreundlich" bezeichnete Entscheidung fußt auf dem sogenannten Schengener Abkommen, das die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Außengrenzen der Union besonders scharf zu überwachen. Eine Regelung, wie sie von Rußland beansprucht wird, würde nach Ansicht der EU den Kordon durchlöchern und womöglich die Sicherheit der Bürger gefährden.

Der Gouverneur des Königsberger Gebietes, Wladimir Jegorow, hat sich deshalb in den Medien besonders verärgert über die erst am 15. Mai in Rauschen formulierte EU-Resolution geäußert. Sie sei "ungerechtfertigt hart" und "diskriminierend". Jegorow unterstellt, die EU wolle "das Recht der Kaliningrader, sich frei von der Oblast Kaliningrad ins übrige Rußland und umgekehrt zu bewegen", ganz bewußt beschneiden.

Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte der Gouverneur, die Brüsseler Position könne das Gebiet in den wirtschaftlichen Kollaps treiben: "Wir haben Kontakte mit allen russischen Regionen und 125 Ländern. Es gibt ein totales Chaos, wenn die Lebensbedingungen für Kaliningrad nicht klar definiert werden." Das, so Wladimir Jegorow auf Nachfrage, wäre für die Region Königsberg eine Katastrophe.

Um den freien Personen- und Warenverkehr zu gewährleisten, hatte Moskau vorgeschlagen, zwei Straßen- und eine Eisenbahnstrecke zu Transitrouten zu erklären. Vergleichbar mit den einstigen Passage-Regelungen für die ehemalige DDR sollten die Züge ohne Aufenthalt (Terminologie: "Mit geschlossenen Türen") zwischen Königsberg und Rußland pendeln, Autofahrer bei der "Einreise" in EU-Territorium einen Sonderpaß erhalten, der bei der Ausreise wieder abzugeben sei. Die EU-Staaten, so interpretierte Gouverneur Jegorow das Brüsseler "Njet", fürchteten wohl so sehr um ihre Sicherheit, daß "sie zu glauben scheinen, unsere Leute würden aus den Zugfenstern springen".

Wesentlich gemäßigter fiel die Reaktion des Innenministeriums in Moskau aus. Hier zeigt man sich immerhin zufrieden darüber, daß die Probleme, die sich aus der Ost-Erweiterung ergeben, der EU in Brüssel bewußt sind. Man räumt ein, daß Rußland die Hauptverantwortung für die Entwicklung des Königsberger Gebietes selbst zu tragen habe, und veweist auf die Pläne und Erfolge in dieser Hinsicht: Die Region entwickle sich zügig. Diese Aspekte wolle das Europaparlament jedoch nicht sehen, bedauert das Ministerium. Somit stünde das Königsberger Gebiet vor einem Versorgungsengpaß. Der Spiegel brachte es im Interview mit Wladimir Jegorow auf den Punkt: "Wäre Kaliningrad wirtschaftlich auf dem Niveau von Litauen oder Polen, gäbe es die ganze Aufregung nicht. Wie lange brauchen Sie, um diesen Standarad zu erreichen?" Jegorow: "Nicht weniger als 15 Jahre. Sie können sich die riesigen Probleme hier gar nicht vorstellen."

Da die Königsberger Wirtschaft zu 50 Prozent auf den westlichen Markt ausgerichtet ist, hofft man im Innenministerium auf eine "einsichtigere Haltung" der Union, wenn am 29. Mai das Gipfeltreffen Rußland-EU in Moskau ansteht. Bislang hat aber nur Schweden signalisiert, die russische Position unter Umständen unterstützen zu können.

Für den Fall weiterer Verweigerung haben Deputierte der Königsberger Duma, die Rußlands Souveränität über die Exklave gefährdet sehen, schon mal Gegenmaßnahmen angedacht. Von einem Embargo für Waren aus der EU ist die Rede und auch von einem "baltischen Schengen-Abkommen". Will heißen: Die Einreise für westliche Besucher wird massiv erschwert.

Eine bemerkenswerte Erkenntnis vertraute Jegorow dem Spiegel an. Der wollte, feinsinnig auf einen möglichen künftigen Status der Königsberger Region anspielend, wissen, ob die jüngere Generation der Kaliningrader nicht ohnehin mehr nach Westen schaue. Antwort: "Es gibt den Begriff Heimat, und von der wollen wir nicht getrennt sein." M. Rosenthal-Kappi/E. Wenzel