28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
01.06.02 / König Fußball geht in Pension

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Juni 2002


König Fußball geht in Pension
von Peter Sroka

Tag, Karl!" - "Tag, Bruno - wie geht's?" - "Danke, und selbst?" - "Ebenso!" Nach diesem tiefschürfenden Dialog gingen beide wortlos über die Straße und standen vor der grünen Tür ihres "Bärenkruges". Neben Flinsen, Schedderstroh und masurischen Dampfspirgeln gab es hier als flüssige Labe ein besonders gepflegtes Bier. Das Flair dieses Gasthofes erinnerte beide an ihre Heimat. Als die Gläser mit zünftigen Schaumkronen auf dem Tisch standen, fragte Bruno: "Na, Karl, was macht ein Pensionär eigentlich den ganzen Tag?"

Karl hakte beide Daumen hinter die Cordweste. "Was soll man immer machen? Den Ruhestand genießen, verstehst?"

"Am Sonntag spielen wir gegen Concordia ...", sagte Bruno, worauf Karl sein unwilligstes Gesicht zog. "Laß heute den Fußball!"

Bruno stieß beleidigt mit ihm an, trank das Glas in einem Zug leer und sagte ärgerlich: "Was den Sport anbelangt, ist bei dir Hopfen und Malz verloren. Fußball ist das schönste, was es gibt!"

"Für dich vielleicht ...", brummte Karl und verschluckte sich plötzlich. Bruno wollte ihm den Rücken klopfen, aber Karl stieß die Hand zurück und krächzte: "Danke - es geht schon... Jetzt sind wir wieder genau da, wo wir neulich aufhörten ..."

Das konnte Bruno nur bestätigen. "Weißt du, Karl", er leckte sich den Schaum von den Lippen, "mit dem Fußball ist es wie mit einer Frau ..."

"So ein Unsinn!" Karl war empört und schüttelte den Kopf.

Sie saßen sich schweigend gegenüber. Der eine trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, der andere sah gegen die Decke. Dann räusperte sich Karl: "Ich wollte nicht wieder streiten, sondern dir etwas anvertrau- en ..." Er gab sich einen Ruck: "Was du mir bisher vom Fußball erzähltest, kann ich heute besser verstehen. Unsportlich wie ich bin, ist es mir trotzdem gelungen, sozusagen Torschützenkönig zu werden, wie es in der Fußballsprache heißt ..."

Bruno zog die Brauen hoch. "Wie meinst du das?"

Karl lehnte sich zurück. "Seit du Club-Manager bist, bin ich Lotteriespieler geworden, wenn du verstehst ... Und letzte Woche bekam ich den Anruf von dieser Frau mit der sympathischen Stimme. Ich muß es meiner Familie schonend beibringen, Bruno ..."

Brunos Neugierde wuchs, seine Gedanken gingen "verschlungene" Wege. Karls Blick schweifte durchs Lokal. Dann beugte er sich vor und flüsterte: "Ich bin mit diesem Verein sozusagen in die Bundesliga aufgestiegen, wenn du verstehst ..."

Bruno aber verstand kein Wort. Zum besseren Durchblick bestellte er zwei Klare und trommelte den Schlachtruf aller Fußballfans auf die Tischplatte: Dam-dam, dam-dam-dam, dam-dam-dam-dam, dam-dam ...

"Was für Fußballer Punkte und Tore, sind für mich jetzt Zahlen und Beträge", unterbrach Karl das Getrommel und sagte, der Anruf dieser Frau hätte sein Leben verändert. Mit dem Fußball mag es nicht vergleichbar sein, aber es sei ein unbeschreibliches Gefühl.

Doch Bruno konnte mit solchen Gefühlsduseleien nichts anfangen, hob die Achseln und bestellte sich ein Bauernfrühstück.

Plötzlich verkündete Karl: "Im Dezember fliege ich für vier Wochen nach Hawaii. Ein Jugendtraum, weißt du ..."

"Woher soll ich denn das wissen?" Bruno - seit Jahren Campingplatz-Urlauber - wurde angesichts solcher großspurigen Unternehmungen ärgerlich. "Mal eben nach Hawaii ... Mit wem willst du denn nach Hawaii? Mit dieser Frau?" Schon wieder breiteten sich in seinem Kopf frivole Gedanken aus. "Mit dir scheinen die Pferde durchzugehen. Oder hast du eine Erbschaft gemacht."

"Erbschaft?!" lachte Karl. "Strenge mal deinen Fußballkopf an, Bruno. Lotterie! Um es in deiner Sprache zu sagen: ich habe alle Tore auf einmal geschossen, wenn du weißt, was ich meine ..."

Bei Bruno dämmerte es. Zum Zeichen seines Verstehens ließ er den Mund offen. Karl bestellte die nächste Runde. "Du trinkst doch noch einen? Oder mußt du zum Fußball?!

Bruno winkte unwillig ab und beugte sich neugierig weit über den Tisch: "Darf man fragen, wie viele Tore du denn geschossen hast?"

"Einhundertfünfzigtausenddreihundertsechs Euro dreißig!" "Euro dreißig ...", wiederholte Bruno und starrte seinen Landsmann fassungslos an. "Hundertfünfzigtausend ..."

"Dreihundertsechs Euro dreißig!" ergänzte Karl. "Aber lassen wir diese Differenzen. Wir sind Landsleute, das ist es, was uns verbindet. Feiern wir meinen ‚Bundesliga-Aufstieg' mit deinem Fußball-Club. Vielleicht ernennt mich der Verein am Ende noch zum Ehrenmitglied. Aber vorher werden wir schwelgen, Bruno - wie Gott in Frankreich!"

"Frankreich", murmelte Bruno. Seine Hand umspannte das Glas, als wollte er es zerdrücken. "Weißt du, was das kostet?"

Karl winkte ab. "Ich rede nicht über Geld, sondern vom Feiern. Wir Ostpreußen sind ein ernster Menschenschlag, wenn wir aber feiern, dann feiern wir, also feiern wir. Ihr seid alle meine Gäste. Wir machen ein Faß auf, Bruno, oder auch zwei. Wie viele Personen - denkst du - werden wir?"

Bruno war überwältigt. "Achtzig oder neunzig?" Er zählte im Geist seine Mannen zusammen. "Vielleicht mehr ...?"

"Mehr nicht?" lachte Karl und hob den Klaren. Die rauhreifen Gläser klickten aneinander. "Das Fest könnte schon am kommenden Sonntag steigen."

"Am Sonntag, sagst du?" Bruno zählte die Tage an den Fingern ab.

"Stop!" rief Karl, "geht nicht, da trifft sich eure Mannschaft." -"Paah!" stieß ärgerlich Bruno hervor. "Weißt du, was die im letzten Monat für erbärmliche Leistungen gezeigt haben?"

"Eben nicht," bedauerte Karl, "vom Fußball habe ich keine Ahnung, wie du weißt, da ist bei mir Hopfen und Malz verloren ..."

Bruno protestierte und legte Karl die Hand auf den Unterarm: "Wir mögen dich. Nur schade, daß dir unser Sport nichts bedeute. Schade ist das", wiederholte er eine Spur nachdrücklicher. "Du hast deinen Garten, gehst angeln und sammelst Münzen ..."

"Geld macht nicht glücklich", warf Karl etwas abwesend dazwischen, "aber es beruhigt!" Bruno konnte dies nur bestätigen, obgleich er keins hatte. Er lehnte sich über den Tisch und flüsterte: "Wie geht denn das in deinem ‚Lotterie-Verein' mit den Toren?"

"Genau wie auf dem Fußballplatz", lachte Karl "du brauchst eine gute Vorlage, den richtigen Kick und der Ball zappelt im Netz!"

"Wie du das sagst ..." Bruno war verwirrt. "Aber wir wollten doch nicht mehr vom Fußball reden."

"Warum nicht?", jetzt beugte sich Karl über den Eichentisch. "Ist eigentlich ein schöner Sport, oder nicht?"

Bruno machte ein Gesicht, als müsse er sich das erst überlegen. Dann sagte Karl beschwörend: "Bruno - für Spitzenspieler werden Millionen gezahlt. Es ist ein Genuß, diese Stars agieren zu sehen."

"Wie du plötzlich redest ...", Bruno saß wie versteinert.

"So eine Münzsammlung", sagte Karl "die liegt nur herum. Totes Kapital. Du hattest recht, Bruno, wir hätten uns nicht so streiten sollen. Und das Angeln?" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Oft nichts weiter als Blinker waschen oder Würmer baden, wie wir Angler scherzhaft sagen. Dafür stehst du Stunden an der Pier und bekommst am Ende Streit mit der Frau."

Bruno aber war anderer Meinung. Münzen seien etwas Wertbeständiges und Angeln Nervenbalsam. Und Ärger mit der Frau? Da müßte sich Karl unter seinen Vereinskameraden mal umhö- ren ...

Brunos Frau behauptete, Fußball sei nur noch Geschäft. Ganz unrecht habe sie nicht. Es tue ihm leid, daß er Karl neulich so angegriffen habe. Auch seine Fußballmeinung habe mittlerweile einen Knacks bekommen. Es gehe tatsächlich nur noch ums Geld. Nein, so allgemein könne man das nicht sagen, verteidigte Karl jetzt Brunos Sport, sah auf die Uhr, hob den Arm und rief: "Bitte zahlen ! - Heute war es besonders nett mit dir, Bruno, aber wir sollten gehen, bevor es womöglich wieder Streit gibt."

"Getrennt?" fragte die Serviererin - "Zusammen!" sagte Karl. "Sechsundzwanzigachtzig!" Sie legte den Zettel auf den Tisch, Karl schob einen Hunderter darüber und sagte: "Stimmt so!"

Jetzt hielt die junge Frau den Mund offen. Bruno preßte seine Lippen zusammen, half Karl in den Mantel, reichte ihm die Mütze und schwang wie ein Portier die Tür auf.

"Mach's gut, Bruno!" sagte Karl amüsiert, während ihm der Wind fast die Prinz-Heinrich-Mütze vom Kopf fegte. Brunos "Danke für alles!" ging im Lärmpegel eines vorbeidonnernden Lkw unter.

Auf der anderen Straßenseite drehte sich Karl noch einmal um, formte die Hände zum Trichter und rief: "Bruno!! - Wenn ich tatsächlich irgendwann das große Los ziehe, feiern wir ein Fest!"

Bruno blieb plötzlich wie angenagelt stehen und hatte das Gefühl, in seinem Gesicht entgleise ein Zug.

 

Gerhard Wydra: Wo Schiffe über Berge fahren - am Oberländischen Kanal (Aquarell, 1999)