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01.06.02 / Vom Ersten Weltkrieg bis zum Nichtangriffspakt mit dem Reich

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Juni 2002


Zwischenkriegspolen: Die ersten Jahre
Vom Ersten Weltkrieg bis zum Nichtangriffspakt mit dem Reich

Der Erste Weltkrieg bescherte der aufgeteilten sarmatischen Nation die staatliche Wiedergeburt. Die ersten aktiven Schritte hatte Josef Pilsudski (1867-1935) unternommen. Aus einer polonisierten litauischen Adelsfamilie stammend, stellte er im August 1914, mit Genehmigung Österreich-Ungarns, die Polnische Legion auf. Ein in Krakau gebildeter Nationalrat hatte die Polen zum Kampf an der Seite der Donaumonarchie aufgefordert. Von k.u.k.-Offizieren ausgebildet, fand sich unter den Legionären die Blüte der polnisch-galizischen Jugend zusammen und nahm am Krieg der Mittelmächte gegen Rußland teil. Pilsudski war auch Mitbegründer der Polnischen Sozialistischen Partei.

In Frankreich agitierten unterdessen die Exilpolen unter dem Deutschenhasser Roman Dmow-ski und dem Pianisten Ignaz Paderewski. Dmowski, der Gründer der Nationaldemokraten, der schon lange vor dem Ersten Weltkrieg eine panslawistische Politik propagierte, erhoffte sich durch eine Versöhnung mit Rußland die Wiederherstellung der Polska Rzeczpospolita. In Lausanne hatte er das später in Paris sitzende polnische Nationalkomitee ins Leben gerufen, dessen Hauptaufgabe in der Beeinflussung der USA und ihres Präsidenten Woodrow Wilson bestand. Dmowski wirkte bei den Westmächten für eine Abtretung des ganzen deutschen Ostens an Polen. Er vertrat sein Land 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz und verstand es in geschickter Weise, den Alliierten die polnischen Interessen als realisierbar zu unterbreiten.

Unter den Polen in den deutschen Ostprovinzen herrschte wohl eine antirussische Stimmung, aber die Abneigung gegen Preußen überwog, sie verhinderte eine allgemeine Stellungnahme zugunsten der Mittelmächte. Die Mehrheit der Bauern, Arbeiter und der Intelligenz stand hinter dem Pariser Komitee, das die Entente als einzigen berufenen Vertreter des polnischen Volkes anerkannte. In den ersten Phasen des Krieges konnte Polen noch damit rechnen, mit Hilfe Rußlands die Selbständigkeit zu erlangen. Großfürst Nikolajewitsch hatte die Wiederherstellung des Königreiches in seinen alten Grenzen, unter dem Zepter des Zaren, in Aussicht gestellt, was viele Polen beeindruckte. Dann veränderte der deutsche Vormarsch im Osten die Kriegslage vollständig, in einem kühnen Siegeszug, dank der Feldherrnkunst eines Hindenburg und Ludendorff, war bis 1915 ganz Kongreßpolen besetzt. Der nördliche Teil wurde als Generalgouvernement Warschau General v. Beseler unterstellt, im Süden übernahmen die Österreicher die Verwaltung des Gouvernements Lublin. Das Deutsche Reich und die Doppelmonarchie verpflichteten sich, ein selbständiges Königreich Polen mit konstitutioneller Verfassung und einer eigenen Armee zu errichten, deren Führung einheitlich dem Reich zufallen sollte. Natürlich lag es nahe, die wehrfähigen Kräfte Polens für die Kriegführung der Mittelmächte auszunützen, nachdem man sie vom russischen Joch befreit hatte. Die Polnische Legion sollte den Stamm der zu errichtenden Armee bilden. Am 5. November 1916 proklamierten das Deutsche und das Habsburgerreich die Neugründung eines polnischen Königreiches.

Doch die Hoffnung trog, mit diesem Königreich einen neuen Verbündeten gegen das Zarenreich zu gewinnen. Den Polen standen die Grenzen ihres viel weiter nach Westen reichenden Staates von 1772 vor Augen, ein noch unbestimmtes Königtum in den Grenzen Kongreßpolens erschien ihnen zu unbedeutend. Sehr bald wurde auch deutlich, daß alle Maßnahmen zur Aufstellung eines polnischen Heeres nichts als ein Schlag ins Wasser waren, da man polnischerseits meinte, mit Hilfe der Entente, also gegen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, sein Ziel viel besser erreichen zu können. Wiederum kam es zu Unruhen in allen drei Teilungsgebieten. Als sich auch Pilsudski den Vorstellungen der Mittelmächte verweigerte, seine Legion gar zu einer Nationalarmee umformen wollte, wurde er verhaftet und 1917 in Magdeburg gefangengesetzt.

Inzwischen hatte die russische Revolution im Osten Europas eine neue politische Lage geschaffen, die den Sieg der Mittelmächte begünstigte. Als am 26. November 1917 die bolschewistische Regierung um einen Waffenstillstand bat, trat in Brest-Litowsk die Ostfriedenskonferenz zusammen. Der Sowjetstaat mußte auf Polen, das Kurland und Litauen verzichten, deutsche Truppen rückten in Estland, Livland und in die Ukraine ein. Zum Schutz gegen die bolschewistische Gefahr schickte das Reich auch Soldaten nach Finnland. Unverzüglich nahmen nun die Alliierten Verhandlungen mit der Pariser Gruppe um Dmowski und Paderewski auf, denen sie die Anerkennung Polens als kriegführen-de Macht zusicherten. Schon Woodrow Wilsons 14 Punkte vom 8. Januar 1918 hatten beinhaltet: "... ein unabhängiger polnischer Staat soll diejenigen Gebiete umschließen, die von einer unbestritten polnischen Bevölkerung bewohnt sind. Ein freier Zugang zum Meer ist zu gewährleisten."

Noch vor Beginn der Versailler Friedensverhandlungen versuchten polnische Nationalisten in den deutschen Ostprovinzen vollendete Tatsachen zu schaffen. In Posen brach ein blutiger Aufstand aus. Ein Oberster Polnischer Volksrat setzte die eingeschüchterte deutsche Verwaltung ab, die demoralisierte Garnison kapitulierte, die deutsche Herrschaft in der Residenzstadt Posen war zu Ende. Viel zu spät hatte man in Deutschland die Gefahr erkannt, war aber infolge der revolutionären Vorgänge im Innern unfähig, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es muß festgestellt werden, daß von allen deutschen Stämmen die Kärntner Landsleute es waren, die mit Waffengewalt ihre Heimat mit Erfolg verteidigten. Von polnischer Seite war geplant, den Aufstand auch auf Ost- und Westpreußen auszudehnen. Im Bromberger Gebiet rief Georg Cleinow, Herausgeber des "Grenzboten", zur Bildung von Heimwehren auf. Es gelang zumindestens, die Polen an der Weichsel bei Thorn und an der Netze bei Bromberg aufzuhalten. Die kaschubische Bevölkerung Westpreußens verhielt sich neutral. Weitergehende Erfolge ließ die von der Entente abgesteckte "Demarkationslinie" nicht zu. Diese südlich von Thorn und Bromberg verlaufende virtuelle Grenzziehung sollte die Polen in ihrem Besitzstande schützen.

Am 11. November 1918 rief ein Regentschaftsrat in Warschau die Republik Polen aus. Die Pariser Exilpolen hatten sich mit dem inzwischen befreiten Pilsudski verständigt, der sich zum provisorischen Staatsoberhaupt ausrufen ließ. Dem zum Ministerpräsidenten und Außenminister ernannten Paderewski gelang es auf der Pariser Friedenskonferenz nicht, ganz Oberschlesien wie Westpreußen und zudem noch Ostpreußen für Polen zu vereinnahmen, obwohl Dmowski mit frei erfundenen Zahlenangaben zur Bevölkerungsstatistik dieser Gebiete operierte. Das, was das Versailler Friedensdiktat Deutschland zumutete, war schlimm genug. Der italienische Außenminister Sforza soll nach den Verhandlungen in Versailles gesagt haben, wenn es nach der polnischen Delegation gegangen wäre, so wäre "halb Europa ehemals polnisch gewesen und hätte wieder polnisch werden müssen".

Aufgrund der deutschen Niederlage hatte Polen Gebiete zugesprochen bekommen, die teilweise in ihrer Mehrheit nicht polnisch, sondern deutsch besiedelt waren. Die Siegermächte ermöglichten es Polen sogar, Land-striche einzugliedern, die sich in einer Volksabstimmung unter internationaler Aufsicht für den Verbleib beim Deutschen Reich ausgesprochen hatten, wie das hochentwickelte Industriegebiet von Ost-Oberschlesien. In erbitterten Kämpfen, die in der Erstürmung des Annaberges durch das Freikorps "Oberland" gipfelten, war es dem deutschen Selbstschutz gelungen, die polnischen Eindringlinge aus Oberschlesien zu vertreiben.

Obwohl Polen durch den Versailler Vertrag einen freien Zugang zum Meer erhalten hatte, nämlich an der Nordspitze Pommerellens bei Gdingen, wurde ihm auch ein beträchtlicher Einfluß in dem vom Reich abgetrennten Zwergstaat "Freie Stadt Danzig" eingeräumt. Eine Übergabe der kerndeutschen Stadt an den neuen Polenstaat wagte man allerdings nicht.

Schwierig erwies sich die Grenzfrage im Nordosten. Pilsudskis Ansinnen einer Wie-derherstellung der Union mit Litauen stieß auf Ablehnung. Daraufhin annektierten Pilsud-skis Truppen handstreichartig Wilna, die alte historische Hauptstadt des Großfürstentums Litauen. Auch eine Intervention des Völkerbundes änderte nichts an der polnischen Besetzung des Wilna-Gebietes. Die Bildung eines neuen Staates aus ehemals deutschen, russischen, österreichischen und litauischen Gebieten brachte große Schwierigkeiten mit sich. Allein die unterschiedlichen Verwaltungs-, Rechts-, Verkehrs- und Bildungssysteme zu vereinheitlichen und dazu noch die ethnischen Minderheiten zu integrieren, überforderte sichtlich die Republik.

Dem ungestümen Drang nach Osten begegneten die Alliierten mit der 1919 gezogenen "Curzon-Linie". Der Engländer Lord Curzon, von 1919 bis 1924 britischer Außenminister, hatte als Ostgrenze Polens die Linie Grodno-Brest vorgeschlagen. Diese sich an der Volkstumsgrenze orientierende Linie diente übrigens 1939 als deutsch-sowjetische Demarkationslinie und ist auch der polnisch-sowjetischen Grenzziehung von 1945 zugrunde gelegt. Diese Grenze aber anzuerkennen widersprach allen politischen Zielen der Nationalisten. Im Frühjahr 1920 schien Pilsudski die Gelegenheit günstig, Rußland anzugreifen. Er ließ seine Truppen tief in die Ukraine einmarschieren, am 7. Mai eroberten sie Kiew. Die sowjetische Gegenoffensive ließ nicht lange auf sich warten, und beinahe wäre der Bestand des jungen Staates wieder in Frage gestellt worden. Die Russen unter Tuchatschewski rückten bis vor die Tore Warschaus. Die einzige Hilfe der Alliierten für ihren Verbündeten waren einige Schiffsladungen mit Waffen und eine französische Kommission unter General Weygand. In der Schlacht von Warschau, die man das "Wunder an der Weichsel" nannte, gelang Pilsudski der Sieg über die Sowjets. Die Russen mußten in den Frieden von Riga (1921) einwilligen, der die polnisch-sowjetische Grenze weit nach Osten vorschob. Große Gebiete mit vorwiegend ukrainischer und weißrussischer - also nichtpolnischer - Bevölkerung wurden polnisch.

Die neue Republik zwischen Ostsee und Karpaten, von Posen bis Lemberg reichend, zählte etwa 33 Millionen Einwohner. Ungefähr zehn Millionen umfaßten die Minderheiten, die dem Staat, der sie in ihren staatsbürgerlichen Rechten benachteiligte, gleichgültig oder gar feindlich gegenüberstanden. Die stärksten Gruppen bildeten die sechs Millionen Ukrainer und Russen, drei Millionen Juden und fast 1,5 Millionen Deutsche. Angesichts dessen kann es nicht verwundern, daß sich weder Rußland noch Deutschland mit den Gebietsverlusten abfanden, beide arbeiteten auf eine Revision der Grenzen hin.

Innenpolitisch nahm der Gegensatz zwischen Nationaldemokraten und Sozialisten zu. Die ungeheuren Finanzlasten für den Ausbau des Militärs verhinderten die dringenden sozialen Hilfeleistungen. Die Zahl der Analphabeten nahm eine Spitzenstellung ein in Europa, ein ebenso trauriges Kapitel war die Gesundheit der Bevölkerung. Der Alkoholmißbrauch bildete ein großes Problem. 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe verfügten über 43 Prozent des nutzbaren Bodens. 1923 legte Marschall Pilsudski - seinen Rang erhielt der militärische Autodidakt nach dem Sieg über die Russen - aus Enttäuschung über das Versagen der politischen Parteien alle Ämter nieder.

Außenpolitisch fühlte sich Polen durch das seit 1921 bestehende Bündnissystem mit Frankreich und Rumänien einigermaßen gesichert. Als deutliche Warnung mußte die Rzeczpospolita den zwischen dem Deutschen Reich und Rußland abgeschlossenen Vertrag von Rapallo empfinden. Sobald die beiden Verlierermächte des Ersten Weltkrieges, die beiden Parias, wieder erstarkten, bestand die Gefahr des Zer- drücktwerdens zwischen West und Ost. Pilsudskis Rückzug aus der Politik war nur vorübergehender Art. Als er sah, wie die unfähigen Politiker durch ihren abscheulichen Eigennutz das Land immer mehr ins Verderben trieben, entschloß er sich zum Staatsstreich. Gestützt auf einen Kreis junger, ehrgeiziger Obristen, übernahm er im Mai 1926 als Ministerpräsident, Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber der Armee die autoritäre Führung des Staates. Sein Freund Ignaz Moscicki, seit 1913 Professor der Chemie in Lemberg, wurde zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Mit harter Hand wurden alle Opponenten bekämpft. Die Aufhebung des demokratisch-parlamentarischen Systems wurde erst später durch eine ganz auf den Marschall zugeschnittene Verfassung gesetzlich fixiert.

Gerne hätte Pilsudski mit militärischer Gewalt dem Reiche auch noch die Provinz Ostpreußen entrissen, doch die Dritte Republik, die von einer Kabinettskrise in die andere taumelte, versagte sich seinen Wünschen. Obwohl Polens Armee die zehnfache Stärke der deutschen Reichswehr besaß, wagte der Marschall die Auseinandersetzung alleine nicht, wohl aus Furcht vor einem möglichen Zweifrontenkrieg. Statt dessen versuchte er es nun mit einer Annäherung an Deutschland, das ihm vertrauenswürdiger erschien als die Sowjetunion, schließlich hatte er schon einmal fünf Jahre in sibirischer Verbannung zubringen müssen. Sein Außenminister Josef Beck bereitete den Wechsel in der Außenpolitik vor. Im Januar 1934 schloß der aus einer polonisierten, ursprünglich deutschen Familie stammende Minister mit dem Deutschen Reich einen Nichtangriffspakt ab, der allerdings nur vier Jahre Bestand haben sollte. Rüdiger Ruhnau

 

Josef Pilsudski: Er prägte Zwischenkriegspolen bis zu seinem Tode am 12. Mai 1935 wie kein anderer.