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08.06.02 / Möllemann, Walser und die Medien: Alles Antisemiten?

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. Juni 2002


Möllemann, Walser und die Medien: Alles Antisemiten?
Hans Heckel über die verhängnisvolle Inflation eines Begriffs

Nachdem Jürgen Möllemann sich keine Entschuldigung beim Zentralrat der Juden abringen ließ, setzt Paul Spiegel auf Eskalation. Einen "Aufstand der Demokraten" rief der Zentralratsvorsitzende aus und verpflichtete gleich alle relevanten Gruppen des Landes für seinen Feldzug. In der Manier eines Staatschefs, der am Beginn eines Krieges seine Verbündeten zu den Waffen zitiert, forderte er die Kirchen, Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, an die Seite des Zentralrats zu treten. Die Auseinandersetzung sei keine zwischen Möllemann und dem Zentralrat, sondern "zwischen Herrn Möllemann und den Demokraten in diesem Lande" - laut Spiegel ist Möllemann also nicht allein Antisemit, sondern auch kein Demokrat mehr.

Man ringt um Fassung: Hat Paul Spiegel, ganz benommen von der eigenen Rhetorik, den Blick für die Wirklichkeit nun gänzlich eingebüßt? Oder sind wir Zeuge eines kühl kalkulierten Machtkampfes? Jedenfalls zeigt sich der Zentralratsvorsitzende erschreckend lernresistent. Im Jahre 2000 rief er schon einmal zum "Aufstand", damals ging es mit den "Anständigen gegen rechts". Dieser Tage nun muß Paul Spiegel erleben, wie zahllose seiner damaligen Mitaufständischen in heftigster Weise gegen Israel polemisieren. Mit der gleichen pseudomoralischen Anmaßung, mit der sie damals die gesamte politische Rechte zu kriminalisieren versuchten. Jamal Karsli, Möllemanns ex-grüne Neuerwerbung, an der sich der Streit entzündete, ist ein Paradebeispiel für diese Sorte Diffamierungssüchtiger.

CDU-Generalsekretär Laurentz Meyer ließ anläßlich der jüngsten Anwürfe gegen den Schriftsteller Martin Walser durchblicken, womit wir es derzeit zu tun haben. Er forderte die Künstler auf, in der Antisemitismus-Debatte "auf Wortwahl und Formulierungen zu achten, so daß Mißverständnisse gar nicht möglich sind". Der blaß-betuliche Parteigeneral meint es vermutlich sogar gut. Unfreiwillig aber malte er das finstere Bild einer von Rede- und letztlich Denkverboten geknebelten Debattenkultur, in der Politiker Künstler ermahnen, ja nichts "Mißverständliches" zu produzieren. Adieu, freie Kunst ...

Die Blüten solch ängstlicher Verkniffenheit werden zunehmend grotesker. Ein nach eigenen Angaben vor neun Jahren aus Rußland eingewanderter Jude schrieb unlängst an die Welt, sein Gymnasiallehrer habe ihm leise gestanden, daß er "Angst habe, das Wort Jude in den Mund zu nehmen". Man könnte ihn ja mißverstehen, der Tonfall könnte mißlingen, wie bei Bundestagspräsident Philipp Jenninger. Dieser hatte 1988 eine Rede über die Hintergründe der NS-Machtergreifung gehalten, an der inhaltlich niemand etwas monierte. Ignatz Bubis hielt exakt dieselbe Rede viele Jahre später und erntete brausenden Beifall. Aber Jenninger, so hieß es, habe die Betonungen falsch gesetzt - und war prompt erledigt.

So also funktioniert die von Walser zehn Jahre nach Jenningers Fall kritisierte "Moralkeule": Nicht was man sagt, was man denkt, ist entscheidend, sondern wie andere es verstehen (wollen). Mit welchen Methoden und Wirkungen jenes öffentliche Daumensenken praktisch funktioniert, darüber hat Martin Walser gerade einen satirischen Roman geschrieben. Anhand seines eigenen Metiers karikiert er, wie er sagt, die "Machtausübung im Kulturbetrieb". Die realen Machtausüber sind darob außer sich vor Wut.

Wenn es um öffentliche Literaturkritik in Deutschland geht, denkt ein jeder an Marcel Reich-Ranicki. In Walsers Roman wird ein Kritiker, ein Jude, vermeintlich umgebracht, der spontan an "MRR" erinnert. Damit stand die Grundlage für das Verdikt bereit: Antisemitisch. Im einzelnen gingen Walsers Feinde, allen voran FAZ-Feuilletonchef Frank Schirrmacher, mit den gleichen Waffen zu Werke, die Möllemann schon seit Tagen zu spüren bekam. Die von Walser dem jüdischen Romankritiker angehängten Negativattribute wurden just als Geißelung der gesamten Judenheit umgedeutet. Getönt mit allerlei Verdrehungen und hanebüchenen Unterstellungen ist das Bild vom Judenhasser Walser perfekt. FAZ-Mann Schirrmacher steuerte den Konflikt zielsicher mitten den laufenden Möllemann-Friedman-Disput, das schafft Auflage. Gegen alle Sitten des Verlagsgewerbes verriß er die Walser-Novelle noch vor deren Erscheinen. Das hatte es noch nie geben.

Bizarrerweise platzte völlig unerwartet noch ein weiterer Akteur in den allgemeinen Krawall und stellte etliche Hauptankläger im Antisemitismusstreit zu deren Mißvergnügen selbst unter Verdacht. Im Auftrag des Berliner Büros des "American Jewish Committee" (AJC) hatte das "Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung" (DISS) den Tagesspiegel, die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung, die Taz, die FAZ und die Welt auf "antisemitische Diskurselemente" hin abgeklopft und war bei allen fündig geworden!

Daß jenes DISS weniger Forschungsstätte als vielmehr linksradikale Denkfabrik für pseudowissenschaftliche, "antifaschistische" Agitation ist, linderte den Schmerz nur wenig. Die Angegriffenen sind pikiert. Ob der unwissenschaftlichen Gleichsetzung von Kritik an Scharon und Antisemitismus beklagt sich die FAZ: "Die Studie fragt nicht, was Scharon selbst dazu beiträgt, daß die Berichterstattung so ist, wie sie ist, auch begeht sie den eklatanten Fehler, daß sie Scharon für alle in Israel lebenden Menschen nimmt, wenn sie das Urteil über ihn gleichsetzt mit dem Urteil, das über ganz Israel gefällt wird."

Das hört sich vernünftig an, und verwirrt gerade deswegen. Denn ist dies nicht die Argumentation, die einem Möllemann, einem Walser und wer weiß wem demnächst noch alles um die Ohren gehauen wird? Möllemann nimmt in Anspruch, einen konkreten Menschen, Friedman, angegriffen zu haben, Walser hat eine einzelne Romanfigur geschaffen, die er ziemlich häßlich aussehen läßt. Allein, da beide Juden sind - wie Scharon - wird der wüste Antisemitismus-Vorwurf erhoben.

Friedman hat nun den Bundespräsidenten aufgefordert, ein Machtwort zu sprechen. Er hofft gewiß, daß es in seinem Sinne ausfällt. Für die Freiheit - der Rede zumal - wäre ein Machtwort jedoch "von oben" ein Rückschlag. Solche Debatten muß eine Demokratie aushalten, wenn sie ihre Freiheit bewahren will.

 

Männerfeindschaft

Ein Bild, das es so wohl nie wieder geben wird: Martin Walser (l.) im Gespräch mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki während des Literaturforums der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt 1996. Wegen seines noch unveröffentlichen Romans "Tod eines Kritikers" sieht sich Walser seit einer Woche heftigen Antisemitismusvorwürfen, losgetreten von der FAZ, ausgesetzt. Unterdessen muß sich die Zeitung selbst Antisemitismus-Verdächtungen erwehren, die aus einer vom "American Jewish Committee" in Auftrag gegebenen Studie hervorgehen. Foto: dpa