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15.06.02 / Serie: Königsberger Dom

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Juni 2002


Serie: Königsberger Dom
Notizen von einer Reise in eine vergessene Zeit (Teil III)
von Christian Papendick

Nach der Wende vor der Ruine stehend - an einem Sommertag im Juli 1992 - bei wunderbarem Licht, zeigt sich mir unser herrlicher alter Dom; schwer verwundet, aber immer noch eng verbunden mit der Geschichte dieses Landes. Früher war er fast eingeklemmt von der engen Bebauung des Kneiphofs, umringt von quirligem Leben, von Universität, Kneiphöfischem Gymnasium, Mädchenmittelschule und dem Pregel. Heute steht er als einsame Ruine auf dieser plattgemachten Stadtinsel als Sinnbild des untergegangenen Königsberg. Man sollte diese Ruine so belassen, die in diesem Zustand noch soviel Kraft und Würde ausstrahlt.

Doch die Zeiten haben sich geändert. War ich damals noch entsetzt über diese Stadt, die ich niemals wieder betreten wollte, so lassen sie und auch das Land mich nicht mehr los. Heute denke ich anders. Der Weg des Wiederaufbaues ist notwendig, damit wir wieder zueinander kommen. Deutsche wie Russen müssen sich der Geschichte dieses Landes bewußt sein und in einer Verklammerung der beiden Kulturen gemeinsam den Weg nach Europa gehen. Noch nie hat es eine derartige Überlappung in diesem Bereich zwischen beiden Völkern gegeben - jetzt haben wir die Chance dazu.

Dombaumeister Igor Alexandrowitsch Odinzew, ein pensionierter Oberst der Pioniertruppen der ehemaligen Roten Armee, tut sich schwer mit der Rekonstruktion beziehungsweise Restaurierung, mit den ihm zur Verfügung stehenden Materialien, den wenigen, meist aus der Bundesrepublik Deutschland kommenden Geldern. Äußerste Sensibilität, solide Handwerksarbeit im Sinne der Denkmalpflege müssen hier am Platze sein. Wenn ich mit meinem jungen Kollegen Jurij Sabuga - der sich schon als Student so intensiv mit dem Wiederaufbau des Königsberger Domes befaßt hat - auf der Dominsel erscheine, läuft dem Dombaumeister die Galle über. Es gibt viele Probleme - große und kleine! Im Sommer '97 zeigte ich auf das recht brutale, simple Betonpflaster, daß zwischen zwei mit Granitsteinen umfaßten Pflanzflächen bis an das Hauptportal herangeführt wurde. Hier entsteht eine Materialdiskrepanz, die dem Dom nicht gerecht wird. Das alte Backsteinmauerwerk, mit dem mittelalterlichen Klosterformat errichtet, verträgt in diesem Bereich besser altes, aus Granitsteinen hergestelltes Straßenpflaster, das dann als Zwischenglied verträglicher erscheint. Als sehr überlegenswert nahm der Dombaumeister den Vorschlag zur Kenntnis - hoffen wir auf eine gute Lösung!

Später dann, im Herbst, als ich wiederum in der Stadt war, stehe ich mit Sergej, einem russischen Arzt und Chirurgen, auf der Ostseite des "Dom Sowjetow", der sich etwa auf der Anhöhe des niedergerissenen Schlosses erhebt. Ein fahles Licht liegt über der Stadt. Herbstlaub setzt sich allmählich durch. Südlich, etwas unterhalb unseres Standpunktes, steht auf dem Kneiphof - der jeglicher Bebauung entledigten Insel - einsam der Dom. Plötzlich stellt sich uns eine neue Situation dar: über dem Chor, der sich dem Mittelschiff nach Osten anschließt, ist der neue Dachstuhl in leichter Stahlkonstruktion gerichtet, die untere Hälfte der zukünftigen Dachfläche ist bereits in Holz verschalt. Unglaubliche Visionen tun sich auf, das Bild erweitert sich bereits, der Dom erhält mit dem neuen hohen Dach seine alten Proportionen zurück. Fast euphorisch erkläre ich Sergej, wie das alte geistige Zentrum der Stadt sich aus den Trümmern erhebt und wieder sichtbar wird. Aus der von den Russen "Kaliningrad" genannten "Unstadt" muß der Geist Kants wieder hervortreten - wie fällt jetzt schon dagegen der "Dom Sowjetow", das Haus der Räte, ab, der mit seinem Zentrum heute auch den Zusammenbruch einer ganzen Ideologie darstellt.

Hier auf den Gründungen und Pfählen der alten Teilstadt Kneiphof besteht durchaus die Chance, um den Dom herum das organisch gewachsene Leben wieder sichtbar zu machen. Nur in Andeutungen könnten einige Straßenzüge, mit altem Pflaster versehen, als Hauptachsen wieder hergestellt werden. Ebenfalls angedeutet durch etwa kniehoch erstelltes Mauerwerk zeigt sich die Lage der alten Königsberger Universität an - innerhalb der alten Mauern mit weißem Kies ausgefüllt. Einige weitere Kreuzungspunkte, Gebäude, Ensemble, wie die des Kneiphöfischen Rathauses, lassen sich ebenso darstellen. Der Dom erhält sein Umfeld wieder zurück - nur angedeutet zwar - doch ganz sparsam erheben sich dazwischen die Bauten der Neuen Zeit, ganz transparent, mit strengen weißen Mauern als Kontrast zum alten Backsteinmauerwerk des Domes, in Stahl und Glas errichtet. Ein geistiges Zentrum, bestehend aus Museen, Auditorien und Ausstellungsgebäuden. Und diese Ausstrahlung greift über auf das ganze Land. Den hier lebenden Menschen muß bewußt gemacht werden, wie ihr Land stirbt. Sie müssen verstehen lernen, daß die zerfallenen Kirchen, die geschundenen Städte und Dörfer, die Verwüstungen der Landschaft und die Kloaken der Bäche, Flüsse und Gewässer innerhalb einer großartigen Kulturlandschaft eingebunden waren. Wenn sie das erkannt haben, werden sie vielleicht nicht mehr auf Abruf leben, werden die Geschichte des Landes begreifen und damit ihre jetzige Heimat auch lieben lernen. Ein weiter, schwerer Weg, doch auch eine gemeinsame Aufgabe für Europa, an der sich die europäischen Staaten beteiligen sollten.

Der Wiederaufbau des Königsberger Domes ging Jahr für Jahr, oft recht schleppend, aber dennoch stetig weiter. 1997/98 wurde das Dach gerichtet und in Kupferblech eingedeckt. Früher waren durch Jahrhunderte die Dächer der Ordenskirche mit Dachziegeln versehen. Der Turmhelm besaß eine Abdeckung aus Biberschwänzen. Beim Wiederaufbau wurde zu Beginn der Arbeiten an Beton nicht gespart - das hatte fast noch ideologische Gründe, denn Beton war das Gold des Sozialismus! Heroische Arbeiter-, Kämpfer- und Leninskulpturen wurden daraus gefertigt (siehe die martialischen Rotarmisten unter anderem in Pillau, der stupide Fischer in Karkeln und der frisch silbern angestrichene Lenin in Cranz). Der junge Architekt Sabuga warnte vergeblich und handelte sich damit die Feindschaft des Dombaumeisters ein. Das Material war zu schwer, die ersten Senkungen zeigten sich. So entschloß man sich, die Dachkonstruktion in Leichtbauweise zu erstellen und die Dachdeckung in Kupferblech auszuführen. Die Kosten hierfür übernahmen die Zeit-Stiftung und die Arbeitsgemeinschaft "Königsberger Dom" der Ostpreußen aus der Bundesrepublik.

Heute, am Beginn des neuen Jahrtausends, ist der Dom in seinem äußeren Erscheinungsbild wieder hergestellt. Ein bedeutendes Kulturwerk ist gerettet - der Anblick ungeheuer eindrucksvoll, wenn auch die gelbe Farbgestaltung des Blendwerkes nie vorhanden gewesen ist. Auch das sehr schön gemalte rankende Weinlaub auf den schmalen Putzfriesen fand sich nur im Innern der Domkirche.