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15.06.02 / Weites Land

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Juni 2002


Weites Land
von Willi Schulz

Das Gras auf den Wiesen, der Klee auf den Feldern stand in voller Blüte, es war kurz vor Johanni, es war die Zeit der Heuernte. Wie ein Feuerball ging die Sonne über Leib zur nächtlichen Ruhe unter. Lange stand das Abendrot im Westen, und allgemein war man im Dorf der Ansicht, daß es gutes Wetter gibt, für das, was getan werden mußte. Schon seit ein paar Tagen hörte man das Dengeln der Sensen, das Zeichen, daß der Schnitt bald beginnen konnte. Etwas früher als sonst ging man schlafen.

Bevor der neue Tag anbrach, bevor noch die Sonne die Höhen von Kernsdorf überflutete, war schon Leben auf den Höfen. Das Klappern der Eimer, die hurtigen Schritte mit den Klotzkorken störten schon den Frieden, der noch über dem Dorf lag. Pferde, Schweine, Hühner, Enten, Gänse wurden gefüttert, Kühe gemolken, alles, was auf dem Hof lebte, wurde beschickt.

Das Frühstück wurde etwas eiliger eingenommen als sonst, vielleicht Klunkermus mit einem Stück Brot, vielleicht eine Schüssel dicke Milch, vielleicht haute auch das Muttchen ein paar Eier mit Spirkeln in die Pfanne. Als die ersten Strahlen der neu geborenen Sonne über dem Dorf lagen, ging es mit Maschine und Sense auf die Wiesen auf den Kleeschlag.

Unzählige Tautropfen auf den Gräsern gleich funkelnder Perlen, von der Sonne angestrahlt, machten die Wiese zu einem Meer von Diamanten. Dies Bild erschaute der Schnitter, Wunder Gottes, vor seinen Augen. Noch sah alles so aus wie am Schöpfungstag, noch strömte der Duft von blühendem Gras und Klee über das weite Land. Da strich einer die Sense, und der Frieden war dahin. Kraftvolle Arme setzten zum ersten Schnitt an und die blühenden Gräser sanken tödlich getroffen um. Nun war alle Ruhe, die noch kurz zuvor über dem gesegneten Land lag, vorbei. Das Lärmen der Grasmaschine, nicht der Sense, sie war sanft und übertönte den Gesang der Lerche, die kerzengerade, jubelnd mit ihrem Gesang in den blauen heimatlichen Himmel stieg.

Der Schnitter mit der Sense und der mit der Maschine legen nun Schwad neben Schwad des taufrischen Grases nieder. "Auf unserer Wiese gehet was, hat ein schwarzweiß Röcklein an, trägt auch rote Strümpfe", ja auch er hat sich eingefunden, um sich einen guten Happen zu schnappen. Die Sonne steigt höher, Mensch und Tier müssen ihren Tribut zahlen für das, was an Leben vernichtet wird. Schweiß rinnt vom Körper des Menschen, von Schweiß glänzt das Fell der Pferde, ganz nach dem biblischen Wort: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen. Kurze Erholung für die, die da mähen, gibt es nur beim zweiten Frühstück, mittags und abends.

Als sich der Tag zu neigen begann, waren große Flächen von Gras und Klee geschnitten. Schon am Nachmittag wurde mit der Hand einmal gewendet, meistens mit Harke aus Kernsdorf. Die Sonne ging auch an diesem ersten, arbeitsreichen Tag wie ein Glutball über Leib unter, freudig nahmen es die Menschen wahr. Schon zog ein leichter, würziger Duft des trocknenden Grases durch das Dorf und durch die Abbauten.

So ging es zwei, drei vier Tage lang, manchmal auch länger mit Mähen und Wenden, teils mit der Hand oder mit der Hungerharke über Wiesen und Felder. Alle Hände regten sich, gleich ob jung oder alt. Am Abend stand dann Kleehaufen neben Kleehaufen, Heukeps neben Heukeps schnurgerade und sauber nachgeharkt. Die Nächte blieben fast hell, Sterne standen am hellen Himmel, Frösche quakten in Teichen und Mooren, Frieden lag wieder über der Landschaft, hier und da bellte ein Hund. Von den höher gelegenen Stellen des Dorfes konnte man die Lichter von Deutsch Eylau sehen. Vor den Häusern saßen die Menschen mit ihren verarbeiteten Händen, erzählten oder schwiegen, die Jüngeren scherzten, sangen, spielten auf der Mandoline oder Quetschkommode. Die Zeit stand fast still. Ging Gott über das Land und segnete es? Vielleicht lag einer mit seiner Liebsten auf einem der Heukepse und versprach ihr, die Sterne herunterzuholen, wenn sie die Seine würde. Welches Hochzeitsbett könnte schöner sein als ein Heukeps?

Sind es nicht gesegnete Stunden, daß wir dies alles erleben durften? Sie sind nicht mit Gold aufzuwiegen, aber sie sind für immer verloren. Verloren, aber unvergessen. Sie können für den Heimatliebenden Stütze in schweren Stunden sein. Nicht verloren, weil unsere Heimat für uns verloren ist, sondern weil wir in einer anderen Zeit leben müssen, einer Zeit der Ruhelosigkeit.

Noch standen Kleehaufen und Heukepse auf den Feldern und Wiesen, noch durchglühte die Sonne das Gras und gab ihm die letzte Würze, bevor es auf den Heuboden eingefahren wurde. An solchen Tagen kam das Heu fast grün und trocken in die Scheunen. Sehen wir nicht noch heute vor unseren Augen die hoch beladenen Leiterwagen zu den Höfen fahren? Aufstaken und Fleien war keine leichte Arbeit, gemessen an heute, wo man nur noch Knöpfe oder Hebel bedienen muß. Der Staker und der Fleier mußten geschickt und kräftig sein. Der Fleier aber von besonderer Geschicklichkeit, nicht selten taten es die Frauen, vielleicht hatten sie das bessere Gefühl dafür.

War das Fuder hoch genug, kam der Wiesbaum darauf, mit Ketten oder Stricken festgemacht, sonst konnte, trotz guten Fleiens, es passieren, daß das Fuder im Straßengraben landete. Das kam aber selten vor. Na, und wie saß es sich doch so herrlich auf dem Fuder in dem duftenden Heu, man lag wie in einem Himmelbett. Leicht wiegend und schaukelnd lagst du da, schautest in den Himmel und rolltest dem Hof zu, für mich war diese Fahrt immer viel zu kurz. Lachen und Scherzworte flogen von Wagen zu Wagen, wenn man sich auf der Chaussee begegnete. So heiter ging es zu, auch wenn man noch kurz vorher müde und abgespannt war.

Nicht mit dem Förderband wurde abgeladen, sondern mit der Forke. Wer lange Arme hatte, konnte gut abnehmen und weiterreichen. Nein, der Staker spießte keinen mit den Zinken auf, obwohl es nicht ungefährlich war. Auf dem Heuboden wuchs und wuchs das Heu in die Höhe. Die einen schleppten es herbei, die anderen trampelten es fest. Eine Kette von Menschen bewerkstelligte das alles. Bis unter den Dachfirst, jede kleine Ecke wurde ausgenutzt, um das köstliche, duftende Heu unterzubringen. Wir Kinder waren die letzten hoch oben, die ihre Arbeit taten, und manche Beule holte man sich am Dachsparren. Kein Halm wurde vergeudet, der Winter war bei uns lang, und Kraftfutter für die Kühe war noch weithin unbekannt, darum war auch die Milch so gut.

War alles verstaut, schoß man rutschend von oben in die Arme der Mutter oder des Vaters. Meine Mutter hatte schon immer eine große Wanne mit Wasser am Brunnen stehen, die Sonne hatte es erwärmt und da bin ich dann splitternackt hinein.

Einige Male hatte meine Mutter zu dieser Zeit gebuttert, die Buttermilch wurde im Eimer in den Brunnenschacht zum Kühlen hineingelassen. Dann gab es zur Vesper frische Butter auf selbstgebackenem Brot und dazu die kühle Buttermilch. Na, jankert Euch nicht heute noch danach?

Auch an diesem letzten Tag der Heuernte ging die Sonne wie ein Glutball über Leib unter, lange stand das Abendrot über dem glücklichen Land voller Gnade. Die Frösche stimmten ihr Konzert an, Grillen zirpten, Kleehaufen und Heukepse waren verschwunden, die Liebenden fanden ein anderes Plätzchen, man saß für eine Weile vor der Haustür zufrieden und müde, die Sterne standen am Himmel wie vor Hunderten von Jahren, eine Glocke der Stille und des Friedens senkte sich über das Dorf, die Abbauten, über das weite Land und von den Wiesen stieg der weiße Nebel wunderbar ...