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22.06.02 / Kirchenradio des NDR akzeptierte Predigttext für ostpreußischen Heimatgottesdienst nicht: "Eine Zensur findet ... statt"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juni 2002


Kirchenradio des NDR akzeptierte Predigttext für ostpreußischen Heimatgottesdienst nicht: "Eine Zensur findet ... statt"
Wie eine angeblich für politische Zwecke mißbrauchte Predigt zum Politikum wurde
von Eberhard Wenzel

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland läßt eigentlich keinen Zweifel zu: "Eine Zensur findet nicht statt" lautet dessen Artikel 5 Absatz 1 zur Rundfunk- und Pressefreiheit. "Außer beim Norddeutschen Rundfunk", müßte man neuerdings anfügen. Pfarrer i. R. Klaus Schulz-Sandhof wurde gezwungen, seine Predigt für den ostpreußischen Heimatgottesdienst am 26. Mai dieses Jahres, der von NDR 4 Info aus der evangelisch-lutherischen Dreifaltigkeitskirche in Hamburg-Harburg übertragen wurde, umzuschreiben oder zurückzuziehen. Begründung: Die Ansprache werde mißbräuchlich für politische Zwecke genutzt.

Grundsätzlich ist Pfarrer Schulz-Sandhof dem NDR dankbar, daß die von ihm betreute Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen (GeO) im niedersäch-

sischen Drethem Gelegenheit bekam, sich in der Radiokirche darzustellen. Der aus Labiau stammende Geistliche in seinem Predigtentwurf: "Daß wir heute einen ostpreußischen Heimatgottesdienst über den Rundfunk feiern, ist für mich ein Wunder und dafür sei den zuständigen Stellen gedankt."

Zu dem "Wun- der" stand Pfarrer Schulz-Sandhof auch noch, nachdem ihn Radiopastorin Rosemarie Wagner-Gehlhaar wegen des Predigttextes gerüffelt hatte. Der Pfarrer hatte den Entwurf pflichtgemäß dem evangelischen Rundfunkreferat der norddeutschen Kirchen vorgelegt. Das trägt die letzte Entscheidung über die Inhalte der Gottesdienstübertragungen in Funk und Fernsehen.

Schulz-Sandhof wollte seiner Predigt die Geschichte vom Auszug Abrahams aus dem Buch Mose im Alten Testament (1. Mose 12, 1 - 3) zugrunde legen und Parallelen zur Vertreibung aufzeigen. Schon darüber mokierte sich Radiopastorin Wagner-Gehlhaar: "Es ist sehr unsensibel, sich gerade einem jüdischen Stammvater als Schicksalsgefährte anzudienen." Das AT-Zitat lautet: "Der Herr sprach zu Abraham: ,Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.' Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte."

Kräftige Striche und zensorische Randbemerkungen weisen den Leser dann auf die Stellen des Predigttextes, die offenbar nicht zur "political correctness" evangelisch-landeskirchlicher Glaubensgrundsätze passen. Einige Auszüge (die Anmerkungen der Redakteurin Wagner-Gehlhaar sind jeweils kursiv), die den Lesern von Das Ostpreußenblatt/

Preußische Allgemeine Zeitung - anders als den NDR-4-Hörern - ein eigenes Urteil über die vermeintliche Politisierung von der Kanzel ermöglichen soll:

"Damit wir uns nicht mißverstehen: Die Gewißheit, daß Gott auch hinter Flucht und Vertreibung steht, nimmt der Ausstoßung in keiner Weise den Schrecken: Im Gegenteil, das unbeschreibbare Geschehen wird in unserem Text mit dem einen dürren Wort ,Geh' beschrieben. Ein kleines Wort, nicht mehr und nicht weniger. Das Undenkbare und auch damals Unzumutbare war nicht umfassender auszumalen. Man verzichtete auf lange Beschreibungen. Ein Außenstehender versteht es sowieso nicht, was ein derartiger Verlust bedeutet: Nacktes Elend! Ich möchte nur daran erinnern, weil die Betroffenen unter uns leben, in Ostpreußen hieß das kleine Wort im Jahr 1945: ,Frau komm!'" (Die Worte "Geh" und "Frau komm!" in diesem Absatz versah Wagner-Gehlhaar mit einer Klammer und der Bemerkung Das ist nicht die Entsprechung.)

"Mit dem Auszug änderte sich für Abraham das gesamte Leben. Er war in seiner Heimaterde verwurzelt. Er kannte jeden Weg zum Vaterhaus, die Freunde, den Beruf. All das war vertraut. Er verlor es. Für ihn war das wohlbekannte Umfeld wichtig, um den eigenen Glauben zu leben (Wo steht das?). Unterschätzen wir das nicht. Glaube ist ohne ein Heimatgefühl nicht möglich (wie das?). Das muß man warnend den global players, die überall in der Welt zu Hause sind, ins Stammbuch schreiben. Die innere Haltlosigkeit der modernen Welt hängt mit der Heimatlosigkeit zusammen (persönlich). Die Identität, das Selbstbewußtsein eines Menschen wird durch die heimatliche Umgebung geprägt. In der Bibel wird dieser Zusammenhang im Leben eines Menschen in einem Bild voller Stolz beschrieben. Man verstand die Heimat Kana als ein blühendes Land, ein Land, in dem Milch und Honig floß."

"Egal ob Jerusalem oder Kapernaum, ob Labiau, Darkehmen oder Königsberg, Ramalah oder Bethlehem - es sind unsere Geburtsstädte, und sie gehören zu den schönsten Städten in unserem Leben: Für diese Erfahrung (welche?) danken Menschen - auch wenn sie keine Christen sind - mit heißem Herzen. Es ist und bleibt vor dem Völkerrecht schweres Unrecht, Menschen - ganz gleich welcher Herkunft - aus ihrem Heimatland zu vertreiben. Flucht und Vertreibung, Massenmord und Aneignung fremden Landes - ob an Arabern oder Juden oder bei den Kurden, im Kosovo oder in Afghanistan - ist vor Gott und der zivilisierten Menschheit ein Verbrechen. Dadurch werden Menschen äußerlich und innerlich haltlos. Man nimmt ihnen die Würde ihres Lebens."

"Wir erlebten die größte Vertreibung, die es je in der Weltgeschichte gab. In den ersten Monaten des Jahres 1945 brachen die primitivsten Instinkte der Menschen auf, als ,die Befreier' in Ostpreußen die Macht übernahmen (das war schon vorher). Die Berichte darüber sind noch heute erschütternd zu lesen. Angesichts dieser Erinnerungen scheue ich mich, in einer vermeintlich konsequenten Auslegung unserer Bibelstelle zu behaupten, daß es Gottes Wille war, der uns das zumutete und uns heraustrieb" (das erwartet niemand).

"Für mich ist dieses Unheil grausames Menschenwerk, und das letzte Wort Gottes darüber steht noch aus (was meint das?). Es ist auch nicht erlaubt, Vertreibung als einen gerechten Ausgleich für das Unheil, das wir über andere Völker gebracht haben, auszudeuten. Nein, wir, die Schicksalsgefährten aus den deutschen Ostgebieten, sind nicht die Sündenböcke der Nation, die sich für die Überheblichkeiten Deutschlands in der NS-Zeit zur Verfügung stellen müssen. Unrecht kann nicht mit Unrecht ausgeglichen werden, wenn man denn Frieden und Versöhnung wirklich will. Das dürfen wir als Betroffene und Christen deutlich sagen und wollen trotzdem ein friedliches Zusammenleben und respektieren die Verträge und Gesetze der Völkergemeinschaft. Die steinzeitlichen Gesetze ,Auge um Auge, Zahn um Zahn' sind überholt! Wir haben mit der Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens Erfahrungen. Wir sind mit Litauern und Polen und Russen als Nachbarn seit sieben Jahrhunderten bis in die jüngste Gegenwart bei festen Grenzen ausgekommen."

"Wo sind die ,großen Ostpreußen', die ,Hirten, die Väter' - um biblisch zu sprechen -, die sich in Glauben und Geschichte auskennen und sich verantwortlich fühlen? Es gab die großen Geschlechter, die im alten Preußen sich immer wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stellten. Es gibt die Nachkommen auch heute im Lande. Sie verstecken sich vornehm in ihren Berufen und ihren Gärten! Wir brauchen sie, weil sie als Erprobte etwas wissen, was andere nicht drauf haben. Es genügt in der gegenwärtigen Situation nicht, sich politisch peinlich korrekt darzustellen, in allen Fällen auf Ausgleich und Frieden bedacht zu sein, liebenswert und lauter seinen Beruf auszuüben. Wir brauchen Persönlichkeiten, die mit Kraft und Mut zupacken, furchtlos und unbestechlich auftreten und zur Sache rufen (was heißt das?)."

"Beobachtern scheint die Geschichte manches ostpreußischen Heimatkreises besser erforscht und dargestellt als die Geschichte unserer westdeutschen Kreise, in denen wir jetzt leben. Man denke an die Heimatbriefe. Mit welcher Sorgfalt werden sie hergestellt und mit welcher Freude machen Menschen aus ihrer Liebe zu diesem Landstrich kein Hehl? Das alles 57 Jahre danach! Fast nicht erklärbar. Das ist unsere Geschichte, unser Ursprung, die Heimat unseres Glaubens und unserer Väter. Ostpreußen war die erste lutherische Landeskirche, begründet durch den Hochmeister des Deutschen Ordens. Die Geschichte unseres Vaterlandes geben wir nicht auf! (was meint das?)"

"Abraham war der Weg zurück, der Weg in die Vergangenheit verwehrt. Gott wollte ihn und will uns in eine neue Zukunft führen. Auch wir lassen uns mit dieser neuen Zukunft beschenken. Das gilt für alle Betroffenen. Den Segen, der auf der Zukunft liegt, erfährt nur, wer furchtlos und ohne Jammern die Vergangenheit hinter sich läßt und die nächste Zukunft mutig betritt. Die Segenszusage ist so etwas wie ein Missionsbefehl. Er schließt einen nicht ablassenden Einsatz im Sinne dieses Segens ein. Dabei gilt, daß er nur Gutes enthält. Er enthält den Auftrag zu einer zukünftigen förderlichen Gestaltung der Geschichte. Damit hat unser Text eine politische Komponente, die wir nicht überlesen dürfen. Das war damals bei seiner Entstehung so: Israel gelang in der Folgezeit, ein politisches Programm zu verwirklichen. Es gelang damals die nie wieder erreichte Ausbreitung des salomonisch-davidischen Großreiches. Das gilt auch bei der Auslegung für die heutige Zeit (welches Großreich soll's denn sein?)."

"Zum geschärften Gewissen gehört das Eintreten für Opfer von Vertreibung in der Gegenwart, sei es in Tschetschenien oder Palästina. Dazu gehört auch die Empfindsamkeit für eine korrekte und wahrheitsgemäße Deutung der Geschichte des deutschen Ostens, die gegenwärtig oft entstellt wird. An diesen Namen hängt Geschichte. Dazu gehört auch die Mühe für ein zukünftiges Zusammenleben der Deutschen und auch der jetzigen Bewohner in den ehemaligen Gebieten (es sind immer noch Gebiete). Wir brauchen auf vielen Gebieten Zukunftskonzepte, Wegebeschreibungen mit Zwischen- stationen. ... Wir geben nicht auf, auch wenn nicht alles nach unseren Vorstellungen läuft. Manchmal zeigen sich Erfolge über Nacht, manchmal muß man lange warten. Die Israeliten wartete über Hunderte von Jahren.

Wir - die Schicksalsgefährten des Abraham (anbiedernd) - haben bei diesen nationalen Vorhaben die Aufgabe, anderen ein Segen zu sein."

Wie die meisten Autoren war auch Pfarrer Klaus Schulz-Sandhof froh und dankbar, daß sein Skript nach dem Vier-Augen-Prinzip noch einmal von fachlicher Seite lektoriert wurde. Er werde, versprach er postwendend, "die handwerklichen Fehler (unscharfe verallgemeinernde Ausdrücke, unnötige Ärgernisse, falsche Schlußfolgerungen u. ä.) korrigieren und auch Ihre übrigen substantiellen Einwände noch einmal gründlich bedenken".

Doch der Geistliche hatte ebenso gründlich unterschätzt, worauf seine Amtsschwester hinaus wollte. "Es geht bei Ihrem Predigtentwurf nicht um stilistische Feinheiten", faxte sie rüde zurück. "Es geht darum, daß Sie die Möglichkeit zu predigen mißbrauchen, um politische Ansichten zu äußern."

Theologen könnten gewiß über die Feststellung Rosemarie Wagner-Gehlhaars streiten, daß "schon Ihr grundlegender Vergleich ,Der Auszug Abrahams - die Vertreibung der Ostdeutschen' nicht stimmig" sei. Ihre Ablehnung aber begründete sie mit der Behauptung, Schulz-Sandhof habe ihr in einem Telefonat bestätigt, daß es ihm nicht um einen Bibeltext, sondern um die Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung gehe. "Das stimmt nicht", notierte der Pfarrer.

Schließlich wurde die Medien-Gewaltige resolut: "Wenn Sie mir bis Freitag, den 17. Mai, um 10 Uhr eine Predigt vorlegen, die wirklich eine Predigt ist, dann können Sie die am 26. Mai halten. Wenn nicht, werde ich nach einer Alternative suchen." Derart eingeschüchtert, versprach Klaus Schulz-Sandhof handschriftlich: "Ich werde eine Ersatzpredigt vorlegen!"

Damit nicht genug der Zensur. Auch der sogenannte Ablaufplan, der Gottesdienstgemeinde und Rundfunkmannschaft minutiös die Handlungen in der Kirche darstellt, mußte geändert werden. Beispiel aus den Fürbitten:

Vorgabe: "Wir denken an alle, die über den Verlust ihrer Heimat traurig sind. Herr, wir brauchen Zeit! Mach unsere Herzen ruhig; stärke in uns das Vertrauen. Gib Freunde, die Verständnis für unsere Situation haben und uns Mut machen; gib den Politikern das Gespür, neue Wege zum Wohle aller zu gehen. Wir bitten dich ..." Daraus sollte werden: "... traurig sind. Die als Fremde in ein fremdes Land kommen. Hilf allen Vertriebenen, daß sie allmählich Wurzeln schlagen können. Gib ihnen das Vertrauen in eine neue Heimat. Laß' sie Menschen finden, die ihnen helfen, heimisch zu werden. Wir bitten dich ..."

Die Passage einer Fürbitte "Herr, wir hängen an unserer Heimat. Nur beschwerliche Wege führen dorthin" wurde gestrichen.

Pastorin Rosemarie Wagner-Gehlhaar scheint die Chance nicht erkannt zu haben, die sich ihrer Kirche angesichts immer leerer werdender Gotteshäuser aufgetan hatte, hätte sie sich die einleitenden Worte von Pfarrer Klaus Schulz-Sandhof zu Herzen genommen. Er wollte seine Predigt mit dem Zitat aus dem Brief eines alten Ostpreußen beginnen: "Ich habe meine Heimat verloren, nun fürchte ich, auch mein Vaterland und meinen Glauben zu verlieren." Um dann fortzufahren: "Viele, die an ihrem Land hängen, sind müde geworden. Sie haben sich von der Gesellschaft, der Politik und der Kirche abgekoppelt. Ihr Vertrauen in diese Ämter ist nachhaltig gestört. In der Politik erlitten sie einen erschreckenden Mangel an geschichtlichem Wissen mit all den Folgen. In der Kirche kommen sie mit der geistlichen Kraftlosigkeit nicht zurecht und in den Medien ertragen sie bis in die Gegenwart als die angeblich ewig Gestrigen Uninteressiertheit und Beschimpfungen."

Ein schwacher Trost bleibt. In der Lebensbeschreibung, mit der sich Rosemarie Wagner-Gehlhaar Besuchern der NDR-Internetseite vorstellt, heißt es unter anderem: "Weinen tut sie auch über Verlorenes, über Nichtgelingendes, über Ohnmacht und die menschliche Unzulänglichkeit (die eigene und die anderer)." Es wäre an ihrer Zeit, zu den Taschentüchern zu greifen.

 

Fototexte: "Sie mißbrauchen die Möglichkeit zu predigen": Radiopastorin Rosemarie Wagner-Gehlhaar kanzelte den ostpreußenstämmigen Pfarrer Klaus Schulz-Sandhof ab. Foto: ndr

Ein Hort gläubiger Besinnung oder politischer Agitation? Aus der Dreifaltigkeitskirche zu Hamburg-Harburg wurde nach der Kritik durch das Kirchenradio eine von Pfarrer Schulz-Sandhof selbst abgeänderte Predigt übertragen. Foto: Kirchenarchiv