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22.06.02 / Wie Phönix aus der Asche

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Juni 2002


Wie Phönix aus der Asche
Die virtuelle Rekonstruktion des Königsberger Doms

Der Start dieses Projektes war ein Abenteuer: Der damalige Bayerische Staatsminister Alois Glück überreichte der Universität Kaliningrad 1994 den ausgemusterten Großrechner der Fachhochschule Rosenheim. Prof. Dr. Nikitin, Leiter des Rechenzentrums der Kaliningrader Universität, schlug Prof. A. Nieswandt von der Fachhochschule Rosenheim vor, am Computer ein virtuelles Modell des Königsberger Doms zu erstellen. Dieser Projektvorschlag war kurz nach der Öffnung des nördlichen Ostpreußen, das bis dahin streng abgeschirmtes militärisches Sperrgebiet war, eine Sensation.

Die erste Phase des Projekts war geprägt vom Idealismus der Beteiligten und unterstützt durch die rasante Entwicklung der PC-Architektur und der Intelprozessoren. So ist es gelungen - was viele beim Start der Arbeiten in Zweifel gezogen hatten -, in mühevoller und geduldiger Arbeit eine animierte 3D-Konstruktion des Baukörpers des Doms zu erstellen. Mit der Maus kann man um, über und in das Konstruktionsmodell fliegen.

Allerdings braucht man sehr viel Zeit, weil auch die heutigen schnellen Multiprozessoren-Anlagen nicht Schritt halten. Der Grund ist, daß die Rechenprozesse exponentiell mit dem Detaillierungsgrad steigen. Nachdem auch Texturen zur Oberflächengestaltung in das Modell eingebracht wurden, nahmen die Rechenprozesse Tage in Anspruch.

Die Ergebnisse wurden gespeichert und können als Computerfilm "abgespult" werden. Den Fachkräften ist klar, daß für die Weiterführung des Projektes auch die schnellsten PC und der Idealismus der Mitarbeiter nicht mehr ausreichen, geht es doch darum, das Innere des Doms mit der Fülle an räumlichen Strukturen darzustellen, mit Seitenschiffen, Mittelschiff, Kapellen, Kanzel, Säulen, Altären, Skulpturen - man denke nur an das Grabmal Herzog Albrechts oder das gewaltige Kreuz über dem Renaissancealtar, an die Glasfenster, die Empore mit der wunderschönen Orgel und viele weitere Kunstwerke, welche das Glaubens- und Andachtsgefühl der vergangenen Epochen wi-derspiegeln.

Die bisherigen Ergebnisse, welche nur als Zwischenergebnisse angesehen werden können, sind im Oktober 2001 auf einem Symposium der Fachhochschule Rosenheim "Computerrekonstruktion des Königsberger Doms" präsentiert worden, woran auch zahlreiche Fachkräfte aus Königsberg beteiligt waren. Eine Ausstellung zeigte den "virtuellen Dom" auch auf dem Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Ostpreußen in Leipzig.

Jedem der Beteiligten war klar: Die Weiterführung des Projekts muß mit der heute schnellsten Computerarchitektur und mit hauptamtlichen Kräften bewältigt werden. Der Projektleiter, Professor Aribert Nieswandt, blieb und bleibt zuversichtlich, was die Suche nach Sponsoren und Geldgebern betrifft.

Das Projekt bleibt ein Abenteuer: Es ist, wie auch der reale Wiederaufbau des Königsberger Doms, geprägt von - zumeist positiven - Überraschungen, auch bezüglich der Förderer. Die jünste Erfolgsnachricht: Der weltweit führende Computer-Multi Hewlett Packard (HP) steigt in das Projekt ein und finanziert der Fachhochschule Rosenheim die zur Durchführung des Projekts benötigte Hochleistungs-Computerarchitektur mit einem Euro-Betrag in sechsstelliger Größenordnung.

Als Begründung für dieses Engagement verweist Hewlett Packard auf die europäische Bedeutung des Projektes: Der Königsberger Dom ist der "Dom der Aufklärung", der große und wohl bedeutendste Philosoph Europas, Immanuel Kant, hat an der Nordost-Flanke des Domes sein Grabdenkmal erhalten. Während der Dom im Krieg in Asche versank, blieb sein Denkmal als "Wächter" der Ruine erhalten.

Dieser Vorgang ist symbolisch für unsere zerrissene Zeit zu sehen. Während das Abendland geistig und ideologisch zerrissen und in Blöcke geteilt war, wurde Kant im Westen wie im Osten gleichermaßen geschätzt. Das zeigte sich auch darin, daß die Ruine des Domes nicht das Schicksal des Königsberger Schlosses teilte, welches gänzlich abgerissen wurde. Nun wird der Dom tatsächlich wieder aufgebaut. Da es kaum in absehbarer Zeit möglich sein wird, das Innere voll zu restaurieren, gewinnt die animierte Computerrekonstruktion um so mehr an Bedeutung. Sie zeigt das historische Innere, die Geschichten von Jahrhunderten werden wach und können textlich, verbal und durch (historische) Orgelkonzerte und Predigten im virtuellen Kirchenraum erlebt werden.

Dazu benötigt die Fachhochschule Rosenheim Bild-, Text-, Musikquellen, welche das Geschehen im Dom wiedergeben. Insbesondere die Leser dieser Informationsschrift sind aufgerufen, eventuell vorhandenes Material zur Verfügung zu stellen. Die Bilddokumente können eingescannt und dann zurückgegeben werden. Da die Bilder meist in schwarz-weiß vorliegen, wäre es gut, eine Beschreibung der Farben aus dem Gedächtnis zu liefern. Das Computermodell kann so auch wertvolle Impulse zur Restaurierung des Dom-Inneren beisteuern.

Zur Zeit stehen die Fachhochschule Rosenheim und die Universität Kaliningrad vor der Aufgabe, Geld und Sponsoren für die moderne Visualisierungssoftware und für ein hauptamtliches Team von Fachkräften zu finden. Die Projektdauer soll etwa zwei Jahre betragen. Das große Anliegen dieser virtuellen Königsberger Kathedrale ist es auch, Königsberg als kulturelles Zentrum einer breiten deutschen, europäischen und globalen Öffentlichkeit wieder ins Bewußtsein zurückzurufen und Touristen für einen Besuch des Königsberger Domes und der Stadt zu gewinnen. Das kulturelle Erbe aus dieser so bedeutenden Region wird so wachgehalten und vor allem auch der Jugend in Ost und West vermittelt. H. J. M.