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20.07.02 / Kanzlerkandidat Stoiber bei den Nachbarn: Paris ist wichtiger

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Juli 2002


Kanzlerkandidat Stoiber bei den Nachbarn: Paris ist wichtiger
Ohne Frankreich läuft nichts in Europa
von Jürgen Liminski

Es ist eine Situation wie sie Edmund Stoiber liebt. Win-win nennt man das in der Wirtschaft. Man kann nicht verlieren. In der Tat steht es um das deutsch-französische Verhältnis so schlecht wie lange nicht mehr. Der Kanzlerkandidat der Union brauchte nur zu reden, nicht zu handeln. Schon neue Zuversicht ist in dieser Situation für Deutschland und Europa ein Gewinn.

Dafür hat Stoiber am Dienstag dieser Woche mit seinem Besuch bei den Nachbarn gesorgt und dabei viel Symbolik gebraucht. Den Elysee-Vertrag von 1963 will er erneuern, ein neuer "Gründungspakt" soll es richten. Worin dieser Pakt besteht, bleibt offen, zumal Stoiber richtig bemerkte, daß der Elysee-Vertrag nicht neu geschrieben zu werden braucht. Es gibt etliche Passagen in dem Werk von Adenauer und de Gaulle, die noch nicht mit Leben erfüllt sind.

Der Stoibersche Gründungspakt kann also nur psychologischer Natur sein. Das ist allerdings nicht gering zu schätzen im Umgang mit den französischen Nachbarn. Deshalb muß man sich auch wundern, daß Stoiber erst nach Moskau und davor noch nach Washington gereist ist, bevor er sich auf den Weg nach Paris machte. Paris ist wichtiger als Moskau. Ein kleiner Fauxpas.

Die Franzosen sind freilich diplomatisch genug, den Gast derlei Mini-Fehltritte nicht anmerken zu lassen. Im Gegenteil, für Jacques Chirac und seine neue Mannschaft war die Stoiber-Visite eine Gelegenheit, dem anglophilen Sozialdemokraten in Berlin mit ein wenig Pomp zu zeigen, daß ohne Paris nichts läuft in Europa. Man hat nicht vergessen, daß Schröder mit Blair im Februar Europa sozusagen per Brief reformieren wollte, daß er vor drei Jahren die Achse Berlin-Paris zum Dreieck mit London erweitern wollte, daß beim EU-Gipfel in Nizza vor anderthalb Jahren der Hauskrach in der deutsch-französischen Ehe das Tagesgespräch der Nachbarn war.

Mit verhaltenem Ingrimm verfolgt man jetzt, wie Künast und Co. in Brüssel ganz ungeniert über die Interessen der französischen Landwirtschaft hinweg schwadronieren. In Paris geht das geflügelte Wort um: Schröder mag keine Bauern, er mag auch keine Franzosen und vor französischen Bauern ist er völlig ratlos.

Frankreich hat bei aller Modernität seine ländliche Harmonie bewahrt. Mitterrand sprach, Chirac spricht in diesem Zusammenhang von der France profonde, von der tiefen Seele Frankreichs. Für Schröder ist das vielleicht provinziell, Stoiber kann es nachempfinden. Die Bayern hatten schon immer Sinn für den Lebensstil der Lateiner.

Sicher, es ist nichts passiert in Paris. Aber beim Händedruck werden Jacques Chirac und sein Premier Jean-Pierre Raffarin gemerkt haben: Mit dem könnten wir wieder gemeinsam etwas anfangen in Europa, auch wenn er ein wenig steif daherstolziert. Fast wie ein gallischer Hahn. Die Franzosen mögen das.

Die französische Regierung ist derzeit in der besten Ausgangslage für die Politik in Europa. Parlament, Premier und Präsident harmonieren. Chirac und Raffarin haben fünf Jahre Zeit, sie sind in der Pole-Position für das Rennen um Europa. Alle anderen Länder von Gewicht haben Wahlen entweder unmittelbar oder innerhalb der nächsten zwei Jahre vor sich. Sollte Stoiber im September siegen, kann das der Kairos, eine historische Weichenstellung für die Zukunft der Europäer in den nächsten Jahrzehnten sein.

Der französische Motor läuft warm. Noch gut zwei Monate, sagt man sich hinter vorgehaltener Hand in Paris, dann klappt es auch wieder mit der Übersetzung der Antriebskraft, dann kann der deutsch-französische Motor seine Kraft wieder entfalten. Europa hat es bitter nötig.

 

Fast wie ein gallischer Hahn: Wie sehr die Franzosen derlei Attitüde lieben, zeigt wohl auch die Auszeichnung mit dem Orden eines Kommandeurs der Fremdenlegion, den Chirac Stoiber im Elysee-Palast feierlich umlegen ließ. Foto: dpa