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20.07.02 / Ein neues Werk über die Geschichte Spaniens bietet ein gutes Gesamtbild

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. Juli 2002


Am Reichtum erstickt
Ein neues Werk über die Geschichte Spaniens bietet ein gutes Gesamtbild

Walther L. Bernecker, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, gilt als bester deutscher Kenner der spanischen Geschichte und Kultur. In seinem neuesten Buch nimmt er die Vergangenheit Spaniens souverän in den Griff "von der Reconquista bis heute". Die Hauptstärke des Buches liegt darin, daß der Autor verschiedene Aspekte, nämlich politische Verhältnisse, wirtschaftliche und soziale Strukturen in Spanien und dessen Kolonien, nicht bloß additiv beschreibt, sondern zur Gesamtschau komponiert. Worin ist die Eigenart spanischer Geschichte zu sehen?

Die Rückeroberung Spaniens von den Mauren während des Mittelalters stellte fundamentale Weichen. Ein Kriegsadel betrat die Bühne, der nach Grundbesitz und mühelos erworbenem Reichtum gierte. Der lange Kampf gegen die Moslems forcierte ein blutrünstiges, besonders unduldsames Christentum, das als furchtbarste Frucht im späten 15. Jahrhundert die Inquisition gebar, deren unheimlicher Schatten fast ein halbes Jahrtausend auf Spanien lastete. Johanna von Kastilien und Ferdinand von Aragon schufen seit 1479 den spanischen Nationalstaat, obwohl Spanien auch fortan in Unterkönigtü- mer zerfiel und bis heute eine Tradition des Regionalismus besteht.

1492 fiel Granada, der letzte maurische Stützpunkt in Spanien, wirtschaftlich tüchtige Juden mußten das Land verlassen, und Kolumbus "entdeckte" Amerika. Nahtlos mündete die Reconquista in die Eroberung gigantischer Kolonialreiche. Sie erdrosselten Spanien wie eine Garotte. Gold und Silber strömten ins Land, riefen eine enorme Inflation hervor und wurden vergeudet, weil spanische Könige das geraubte Edelmetall dazu nutzten, um Religions- und Hegemonialkriege zu finanzieren. Der Import von Luxuswaren wiederum behinderte das einheimische Gewerbe. Die "spanische Krankheit" nahm ihren unheilvollen Lauf.

In der Epoche Karls V. und Philipps II. repräsentierte Spanien die Gegenreformation, bekämpfte wissenschaftlich-rationales Denken, verlor kostspielige Kriege und erklärte immer häufiger den "Staatsbankrott". Das 17. Jahrhundert stand im Zeichen spanischer "Dekadenz". Kein Monarch packte die Übel an der Basis, trotz mancher Reformpläne. Der Pyrenäenfriede von 1659 besiegelte Spaniens langen Abstieg als europäische Großmacht; dann geriet es selbst in koloniale Abhängigkeiten.

Nach dem Aussterben der spanischen Habsburger regierten Bourbonen die Halbinsel. Spanien kopierte das zentralistische französische Regierungssystem. Unter Karl III. formierte sich auch in Spanien ein aufgeklärter Absolutismus, der gewisse Modernisierungen einleitete. Handelsmonopole und Binnenzölle wurden reduziert, die Infrastruktur verbessert, Jesuiten vertrieben. Unangetastet blieben jedoch die wenig produktive Landwirtschaft und eine extrem ungleiche Bodenverteilung. Drohnenhafte Kleriker saugten Spanien aus. Immer noch fehlte ein kräftig entwickelter Mittelstand.

Seit Karl III. existierten in Spanien zwei unterschiedliche Strömungen: am westeuropäischen Denken orientierte Reformer und reaktionäre Vertreter des "schwarzen" Spanien. Ihr konfliktreicher Gegensatz prägte die spanische Geschichte innerhalb der nächsten 200 Jahre.

Von 1812 bis 1931 pendelte Spanien zwischen liberal-konstitutionellen Regierungen und der Herrschaft ultrakonservativer oligarchischer Gruppen, deren soziale Basis Großgrundbesitzer, Kirche und das Finanzbürgertum bildeten. Die Industrialisierung begann spät und verlief ungleichmäßig, während die spanische Arbeiterbewegung zum größten Teil dem Anarchismus zufiel.

Bald schon konnten Spaniens dominante Schichten die unteren Klassen endgültig nicht mehr in das System integrieren. Als es zusammenbrach, folgte 1931 die Republik. Obgleich diese schwere Probleme zu bewältigen hatte, hinsichtlich Kirche, Landwirtschaft, Bildung, Regionalismus, sozialer Aufstände, verfolgte sie eine sehr gemäßigte Politik. Schon das ging Spaniens Oligarchen viel zu weit; sie putschten 1936 mit Hilfe des Militärs. Erst jetzt kam es zur sozialen Revolution.

In den langen Jahren der Franco-Diktatur begann sich Spanien wirtschaftlich und sozial zu modernisieren, so daß die junge Demokratie nach 1975 in guter Erde wurzelte, zumal die EU Spanien aufnahm und massiv unterstützte. Ob Spaniens Demokratie wirklich gefestigt ist, wie Bernecker annimmt, bleibt noch eine offene Frage. In jedem Fall verdanken wir diesem Buch einen spannenden Rundgang durch die Geschichte Spaniens. Rolf Helfert

Walther L. Bernecker: "Spanische Geschichte. Von der Reconquista bis heute", Primus Verlag, Darmstadt 2002, 248 Seiten, 19,90 Euro.