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03.08.02 / Siebenbürger Impressionen: Bei den letzten Sachsen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. August 2002


Siebenbürger Impressionen: Bei den letzten Sachsen
Wehmut und Resignation beherrschen das Denken
von Herbert Bolte

Das bewegendste Kulturerbe Siebenbürgens sind die Kirchenburgen, errichtet als letzte Zuflucht deutscher Dorfbewohner bei feindlichen Überfällen. Durchschreitet man die mächtigen, bis zu zwölf Meter hohen Mauern, befindet man sich in einer anderen Welt, die den Wandel der Zeiten nicht erlebt zu haben scheint - Inseln des Althergebrachten, Relikte längst vergangener Epochen.

Der Unterschied der Gottesdienste in diesen Kirchen zu den unsrigen ist deutlich: Die Predigt ist eindringlicher, ernster, am Wort Gottes, nicht am Zeitgeist orientiert. Konfirmanden hören gebannt zu und singen mit. Die Liturgie ist länger, die Gemeinde recht zahlreich; man merkt, daß der Gottesdienst zum Sonntag gehört.

In den trutzigen Kirchen wird auf eindrucksvolle Weise der Gefallenen und Deportierten gedacht. In der Regel findet man drei Erinnerungstafeln: für die Toten des Ersten Weltkrieges, die als k. u. k.-Soldaten dienten, für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges und, oft damit verbunden, für die Opfer unter den in die Sowjetunion verschleppten Zwangsarbeitern.

Welch ein Gegensatz zu den vielfach vernachlässigten und beschmierten Gedenkstätten in Deutschland. Oder zu den Pastoren in Flensburg, die die Gefallenentafeln sogar aus ihren Kirchen entfernen ließen.

Eine heimatverbliebene sächsische Küsterin zitiert einen rumänischen Bekannten: "Die Siebenbürger Sachsen hängen mit den Zähnen an ihren Kirchen, auch wenn sie schon gestorben sind." Und, so ließe sich hinzufügen, sie kommen einfach nicht los von ihrer Heimat.

An einem Sonntagmorgen löst sich aus einer Gruppe ein Mann, kommt auf uns zu und zeigt auf das vor uns liegende Gebäude: "Das war mein Haus, jetzt darf ich es nicht einmal mehr betreten, und wo meine Blumen standen, liegt jetzt der Dreck!"

Der Mann wohnt in Deutschland. Wie Tausende seiner Landsleute, reist er Jahr für Jahr in die alte Heimat. Viele kommen mit Kind und Kegel, oft vom ersten bis zum letzten Urlaubstag.

Alle sind sie von Wehmut und Resignation erfüllt. Sie wissen, daß die Versuche, ihre besondere Lebensform deutscher Kultur zu bewahren, zwecklos sind und es langfristig kein lebendiges Sachsentum mehr geben wird. So sehen es die Gebliebenen, so die Auswanderer.

In unserem großen Dorf gibt es noch 80 Deutsche, dazu 50, die in "Mischehen" leben. Die letzten jungen Leute kehren dem Land den Rücken und siedeln nach Deutschland aus. Für die Alten bleibt das Warten auf den Tod. Auch viele Gebäude siechen dahin; selbst die prächtigen, vom einstigen Wohlstand zeugenden Bürgerhäuser in Kronstadt verfallen.

Ein Zeitzeuge der Nachkriegsära blickt zurück: Nach dem Einmarsch der Sowjets, der hier nicht mit Verwüstung und Plünderung einherging, folgte die Deportation der Arbeitsfähigen nach Rußland. Er selbst blieb als Kleinkind mit dem Großvater zurück.

Das Haus seiner Familie und das ganze Dorf wurde von Rumänen besetzt, die man aus dem Osten des Landes geholt hatte, und von Zigeunern. Großvater und Enkel hausten in einem Hinterzimmer und mußten den Garten bestellen. Die Zigeuner beanspruchten erst die Hälfte, dann drei Viertel der Ernte. Selbst taten sie nichts.

Eigentlich ist Rumänien ein an natürlichen Ressourcen reiches Land (Erdöl, Edelmetalle, Uran) mit hochwertigen Böden und von großer landschaftlicher Schönheit. Doch es ist, so das Urteil einer Einheimischen, bis auf die Knochen heruntergewirtschaftet durch Korruption, mafiöse Strukturen und Kommunismus.

Die erwähnte Küsterin klagt, daß sie im Monat nur etwa 20 Euro Gehalt bekommt, ohne jeden Urlaubsanspruch.Andererseits hat eine kleine Oberschicht enorme Reichtümer angehäuft. Fast sind es russische Verhältnisse.

Besuchern aus Deutschland erscheinen viele Preise noch immer unglaublich niedrig. Mit sieben Personen gehen wie für umgerechnet 25 bis 30 Euro essen. Ein sehr schöner handgearbeiteter Pullover ist für unter zehn Euro zu haben.

Ärgerlich ist das Bettlerunwesen: Überall sieht man Zigeunerfrauen mit einem Säugling auf dem Arm und Mitleidsmiene, Kinder, die dem Vorübergehenden die Beine umklammern, vor einem knien oder auf das Rot der Ampel warten, um sich dem Auto zu nähern und ungefragt die Scheiben zu putzen. Ausländische Kennzeichen sind ihnen die liebsten, da sie am meisten Geld versprechen.

Arm dran sind die Tiere. Ganz besonders die vielen ausgemergelten Pferde und die unzähligen herrenlosen Hunde, die nach Eßbarem suchen oder erschöpft und unbeachtet am Straßenrand liegen, dich mit einem Blick ansehen, den man nicht vergißt.

Wer in Rumänien umzieht, läßt häufig den Hund einfach da; ein alternder Hund wird auf die Straße gesetzt und statt dessen ein junger angeschafft. In Bukarest soll es 300 000 streunende Hunde geben. Kastration und Sterilisation sind unbekannt. In den Tierheimen, sofern es diese überhaupt gibt, soll regelmäßig das Futter unterschlagen werden.

Ein weiteres deprimierendes Kapitel ist die allgegenwärtige Korruption. Auf der Hinfahrt treffen wir einen Bundesdeutschen, der erzählt, er sei von rumänischer Polizei angehalten worden. Die bemängelte, daß am Wagen das D-Schild fehle. Sein Hinweis auf das dieses beinhaltende europäische Kfz-Kennzeichen nützte nichts. Erst als er den Polizisten ein Paket Kaffee zuschob, hätte er die Fahrt fortsetzen können.

Auch unser Chauffeur, der mit der Sprache und den (Un-) Sitten des Landes vertraut ist, gerät einmal in Schwierigkeiten. Er übersieht eine Vorfahrtsregelung und nimmt ausgerechnet einem Polizeiauto die Vorfahrt. Obendrein hat er einige Papiere vergessen. Im Verlauf des anschließenden Palavers drohen die "Ordnungshüter" mit der Beschlagnahmung des Führerscheins. Daraufhin schiebt unser Fahrer ihnen eine stattliche Summe Devisen zu, und die Probleme sind schlagartig erledigt.

Eine andere Geschichte, die tief blicken läßt, erfahren wir in Kronstadt von der Frau eines rumänischen Professors. Ihr gehören Weinberge, die enteignet waren und nach der Wende zurückgegeben wurden. Doch einige Zigeuner, die dort arbeiten sollten, stahlen alle Stangen an den Rebstöcken und verwendeten sie als Feuerholz. Der Weinbau kam zum Erliegen.

Neben solchen Berichten kann ein Rumänienreisender jede Menge Erfreuliches erzählen. Etwa von der bei uns in diesem Ausmaß unbekannt gewordenen Gastfreundschaft. Besagter Professor, der eigentlich nur eine mitreisende Familie von früher her kennt, lädt am Vorabend seines Geburtstags die ganze Gesellschaft zu sich ein.

Was folgt, ist ein Gelage mit nicht enden wollender Speisenfolge rumänischer Spezialitäten, teils vom Hausherrn selbst zubereitet und mit großer Herzlichkeit serviert. Später gibt es eine zweite und auch noch eine dritte Einladung.

Wir sind überwältigt und trinken auf die Gastgeber und alle Bewohner dieses merkwürdigen Landes an der Scheidelinie zwischen Mitteleuropa und Balkan.

 

Gräber in Deutsch-Weißkirch: Alle Versuche, die Kultur der Siebenbürger Sachsen am Leben zu erhalten, sind langfristig zum Scheitern verurteilt, Foto: Martin Schmidt