16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.08.02 / Relativiertes Grundgesetz (Teil II): Stoibers Affront gegen die Ehe ... und wie Rotgrün die Reste einer ethischen Familienpolitik vorsätzlich ruiniert hat

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 10. August 2002


Relativiertes Grundgesetz (Teil II): Stoibers Affront gegen die Ehe ... und wie Rotgrün die Reste einer ethischen Familienpolitik vorsätzlich ruiniert hat
von Jürgen Liminski

Auch wenn die von Edmund Stoiber ins Kompetenzteam geholte 28-jäh- rige, evangelische Mutter Katherina Reiche sich seit der Kritik aus der katholischen Kirche ostentativ bemüht, Familie als ihr "Kraftzentrum" und die Ehe als Bund vor Gott zu bezeichnen, dessen "Bindungskraft aus dem kirchlichen Segen" komme, von einem Verdacht kann Stoiber sich nicht mehr lossprechen: Er ist ein Relativist. Wer sich in bezug auf die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ohne Not zu Äußerungen hingibt, wonach alle Lebensformen nebeneinander her leben können und sollen, und wer sagt, die Entscheidung über eine Abtreibung sei letztlich eine Gewissensentscheidung der Frau, der hat den Geltungsanspruch der Wahrheit aufgegeben und sich somit unter Relativismusverdacht gestellt.

Der Verzicht auf die Wahrheit (nach Ratzinger der Kern der heutigen Krise) ist die eigentliche Tragödie im Fall Reiche. Daß ein Politiker und sein Wahlkampfteam scharf rechnen und versuchen, auch in der Gruppe der 25- bis 35jährigen Frauen Stimmen zu gewinnen, indem sie eine junge Frau ins Kompetenzteam holen, ist noch zu verstehen. Das Kalkül bis hierhin ist einfach: 52 Prozent der Deutschen begrüßen Stoibers Entscheidung, die ledige Mutter ins Team zu berufen, mehr als 60 Prozent der Unionsanhänger finden sie richtig, nur zwölf Prozent der Unionswähler (vermutlich die praktizierenden Katholiken und die Evangelikalen) finden sie falsch. Man dürfte also mehr Stimmen gewinnen als durch Wahlenthaltung verlieren. So weit, so gut. Diese Berufung aber als Grundsatzentscheidung zu definieren, wie Stoiber dies tat, ist ein Affront gegen alle, denen Ehe und Familie etwas bedeuten. Das war ein Schritt zuviel. Denn seither ist nicht nur das traditionelle Leitbild von Ehe- und Familie in Frage gestellt. Es ist vor allem die Glaubwürdigkeit des Kandidaten, die unter dieser opportunistischen Rechnerei leidet. Solch ein Kandidat kann in der Tat nicht für sich beanspruchen, das "C" zu repräsentieren. Das hohe C wird zum hohlen C. Die Offenheit, mit der Stoiber dies betreibt, wird nicht wenige Wähler so frustrieren, daß sie am Wahltag zu Hause bleiben. Das scheint man erkannt zu haben und das dürfte der Grund sein, weshalb Frau Reiche neuerdings öffentlich den Segen der Kirche für die Ehe und die Kraftquelle Familie preist.

Überraschend ist diese Entwicklung freilich nicht. Schon Helmut Kohl hat prinzipielle Fragen, zum Beispiel die Abtreibung oder auch die Verarmung der Familie, seinem politischen Kalkül untergeordnet. Und der gesellschaftliche Relativismus ist längst an den Schalthebeln der Macht angekommen. Rotgrün hat nicht nur die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft fast der Ehe gleichgestellt - es fehlt nur noch die Abschaffung des Ehegattensplittings und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare -, die Koalition hat auch eine Tätigkeit, die gern als "ältestes Gewerbe der Welt" betitelt wird, gesellschaftlich salonfähig gemacht, die Prostitution. Sie wurde als Beruf anerkannt. Mit genügend Zynismus könnte man diese Regelung sogar begrüßen. Er bedeutet bares Geld für Vater Staat, denn nach dem Gesetz von Ministerin Bergmann sollen Prostituierte sozial abgesichert und ihr "Honorar" arbeitsrechtlich geregelt, mithin juristisch einklagbar werden. Der Staat wird, sozusagen als schützender Oberzuhälter, also davon profitieren. Er wird für jeden Vor- und Abgang in den entsprechenden Etablissements Steuern und Sozialversicherungsbeiträge kassieren. Honorarbeteiligung für Puffvater Staat. Pecunia non olet - Geld stinkt nicht. Man fühlt sich an das Wort des Augustinus vom Staat als organisierte Räuberbande erinnert, wenn Gerechtigkeit und Ehre fehlen.

Die Ehre der Frauen? Dafür fühlt sich Frau Bergmann offenbar nicht zuständig. Das gehört in die Schublade der Firma Kirche. Und statt darüber nachzudenken, wie man diesen Frauen, die in ihrer Mehrzahl mehr Opfer als Täter sind, einen Ausweg aus der Misere ebnet, verführt sie mit solchen Regelungen eher manche notleidende junge Frau zu diesem alten "Gewerbe". Bergmanns Plädoyer für eine geregelte Prostitution war enthüllend. Es offenbarte ein Defizit - um nicht zu sagen die Nacktheit - ihrer Vorstellungen von Menschenwürde und ein Denken in materialistischen Kategorien, wie man es eher bei der PDS als bei der SPD vermutete. Von Werten und guten Sitten keine Spur. Die Beziehungen unter den Menschen scheinen sich für Rotgrün im Bereich von Ehe und Familie auf Lust und Haben zu reduzieren. Vom Sein und von der Liebe, von der Fürsorge für die anderen, vom Glück jenseits körperlicher Genugtuung oder Sattheit scheinen sie nicht viel zu halten.

Das paßt jedenfalls auch zu der Absage an die Forderung, ein noch älteres und wirkliches Gewerbe, diesmal sogar ein absolut ehrenhaftes, die Arbeit der Hausfrau und Mutter, aufzuwerten. Das will Rotgrün nicht. Dabei handelt es sich hier um eine gesellschaftlich notwendige Arbeit, die von der Politik bisher stiefmütterlich behandelt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik deswegen mehrfach gerügt und zu Korrekturen aufgefordert. Hier tut sich ein weites Betätigungsfeld auf für eine Frauen- und Familienpolitik. Statt dessen verwirft die rotgrüne Regie- rung Vorschläge wie Erziehungslohn mit Vorurteilen von der Rückkehr an den Herd. Das läßt nicht nur eine armselige Vorstellung vom Erziehungsgehalt und seinen positiven Folgen für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft erkennen, das läßt auch die Frage zu: Favorisiert Rotgrün die Alternative "Lieber im Puff als am Herd"?

Der Schutz der Frauen, die ihren Körper verkaufen, sollte strafrechtlich geregelt werden. Die Aufwertung der Prostitution aber wertet nicht nur jede andere, gesellschaftlich wirklich notwendige, ehrenhafte Arbeit ab. Sie erschwert auch die Abgrenzung zum Mißbrauch von Jugendlichen. Und wie will man den Sex-Tourismus oder den Menschenhandel mit Frauen glaubhaft ächten, wenn man die Rotlicht-Branche in Deutschland salonfähig macht?

Die Prioritäten, die Rotgrün setzt, zeigen, wessen Un-Geistes Kind die Gesellschaftspolitik dieser Regierung ist: Abtreibung ja, Abtreibungspille ja, Spätabtreibungen egal, Sterbehilfe egal, Homopartnerschaft ja, Prostitution ja, Aufwertung der Erziehungs- und Familienarbeit nein.

All das wäre bis vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Ist das die Errungenschaft, die die jetzige Frauen- und Familienministerin Bergmann aus dem Osten mitbrachte? Wer dies vermutet, tut vielen Menschen in den neuen Bundesländern unrecht, die nicht vom Regen der politischen Diktatur in die Traufe der ichsüchtigen Konsumgesellschaft fallen wollten. Aber sicher ist, daß Deutschland seit der Wiedervereinigung heidnischer und hedonistischer geworden ist. Man kann nur hoffen, daß die Stoiber-Mannschaft mehr Gespür für gesellschaftliche Mißstände hat, als sie jetzt zu erkennen gibt. Deutschland braucht, wirtschaftlich gesprochen, die Entdeckung neuer Arbeitsmärkte, die Herstellung von Leistungsgerechtigkeit für Mütter und Familien. Es braucht nicht die Legalisierung alter Mißstände und die weitere Herabstufung der Ehe noch die weitere Aushöhlung des besonderen Schutzes der Institutionen Ehe und Familie. Von der Notwendigkeit, ethische Maßstäbe wiederherzustellen, ganz zu schweigen.

Es gäbe viele Gründe und Argumente, um die Wähler und Wählerinnen, auch die jungen bis 35, davon zu überzeugen, daß Ehe und Familie keine Auslaufmodelle, sondern notwendig sind für die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Das ansprechendste Argument ist immer das persönliche Glück. Auch hier gibt es neue Erkenntnisse. Zum Beispiel eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Chicago. Sie belegt, daß Paare, die eine Krise durchstehen und sich nicht scheiden lassen, in der Regel glücklicher sind als jene, die sich trennen. Ehe macht glücklich, lautet das Fazit. Und Erziehung ebenfalls. Deshalb ist es auch gar nicht verwunderlich, daß nach Umfragen hierzulande mehr als drei Viertel der jungen Mütter in den ersten Jahren des Kindes lieber zu Hause bleiben und ihr Kind erziehen wollen, als es einer Betreuung zu übergeben.

Andere Studien sind noch deutlicher. Ehepaare, die gläubig sind, werden sehr viel seltener geschieden als atheistische Paare. Und Ehen, in denen der Glaube auch praktiziert wird, sind demoskopisch nachweislich glücklicher als andere. Der Gipfel des Glücks und der Unwahrscheinlichkeit einer Scheidung aber liegt in den Ehepaaren, in denen nicht nur sonntags der Glaube praktiziert, sondern in denen auch regelmäßig gebetet wird. "Die Ehe bindet, was man von der Partnerschaft nicht sagen kann", meint selbst der einflußreiche britische Autor und Berater Anthony Giddens. Das gilt um so mehr von einer Ehe, deren Bund vor Gott geschlossen wurde. Der Zusammenhang zwischen Glaube und Eheglück ist offenkundig, wird aber von den meisten Publizisten und Politikern verdrängt. Er mag der Natur des Menschen entsprechen, aber er paßt nicht in die Minderheitenlogik von Rotgrün.

Gegen diesen Trend in unserer geistlosen Zeit stehen Rom und die Bischöfe. Kardinal Meisners Ermahnungen zum Fall Reiche haben geradezu prophetischen Charakter. Natürlich ist man in der Union empört. Das waren auch der Hofstaat der jüdischen Könige und die Schriftgelehrten und Pharisäer. Selbst in der Kirche rümpfte man hier und da die Nase, als der Papst in seinem Brief an die Kardinäle im Februar letzten Jahres auf die Gefährdung der Ehe gerade in Deutschland hinwies. Die Kirche kann keine Rücksicht nehmen auf politisches Tageskalkül. Sie muß die Wahrheit verkünden, sei es gelegen oder ungelegen. Das sollte man auch in der Union verstehen. Es könnte sich für eine unionsgeführte Regierung sogar einmal als nützlich erweisen.

Rotgrün ist vor vier Jahren von einer Mehrheit gewählt worden, aber die Regierung Schröder hat eine Politik für Minderheiten gemacht und wird vermutlich daran zugrunde gehen. Die Schneise der geistigen Verwüstung ist breit. Sie hat nicht nur viele junge Menschen, sondern auch das Bundesverfassungsgericht erfaßt. Karlsruhe scheut das inhaltliche Argument und flüchtet in formale und materialistische Kriterien. Es wird schwer sein, das zurechtzurücken. Ohne eine Rückkehr zu den Werten von Ehe und Familie wird es erst recht nicht gelingen. Die Chance ist noch offen. Der Artikel 6 Grundgesetz muß nur mit Inhalt gefüllt werden. Wird der Einbruch in die Verfassung aber nicht repariert, haben wir es bald mit einer anderen Republik zu tun.