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17.08.02 / Der hessische Ministerpräsident kritisiert die Hartz-Kommission

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. August 2002


Koch: Einfach abgeschrieben
Der hessische Ministerpräsident kritisiert die Hartz-Kommission

Ende dieser Woche, so war es geplant, sollte die Hartz-Kommission ihre Vorschläge zur Eindämmung und Reduzierung der Arbeitslosigkeit offiziell vorlegen. Etliche Einzelheiten sind bereits bekannt und nahezu zerredet. Weniger bekannt ist, daß auch Hessen Vorschläge auf den Tisch der Politik gelegt hat, die denen der Hartz-Kommission ähneln. Sie heißen Offensivgesetz und zielen auf eine Reform der Sozialhilfe in Zusammenhang mit der Arbeitslosenhilfe ab. Sie sollen demnächst als Pilotprojekte in die Erprobungsphase gehen.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch sieht große Unterschiede zwischen dieser Initiative seiner Landesregierung und dem Hartz-Konzept. In einem Gespräch mit dieser Zeitung weist er darauf hin, daß die Hartz-Debatte "eine vernünftige Wirtschaftspolitik nicht ersetzt". Da ginge vieles durcheinander. Die jüngsten Arbeitslosenzahlen zeigten "ein Versagen der nationalen Politik, Wirtschaftswachstum zu schaffen und Menschen dazu zu bringen, unternehmerisch tätig zu sein. Und keine Hartz-Kommission der Welt und keine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird das Problem lösen." Aber es gebe auch eine zweite Aufgabe. Sie bestehe darin, diejenigen, "die nun mal in Beschäftigungslosigkeit gekommen sind, sobald wie möglich an Arbeitsplätze zurückzuführen". Diese Aufgabe nähmen zur Zeit zwei Behörden wahr, völlig unabhängig voneinander und mit oft gegenteiligen Strategien und unterschiedlichen Finanzierungskonzepten. Das müsse man in eine Hand legen und das tue die hessische Offensive. Koch: "Die hessischen Vorschläge sind ein Jahr alt, wir haben Herrn Hartz dafür nicht gebraucht. Sie könnten schon längst Gesetz sein. Der Bundesrat hat dieses Offensivgesetz auch mit Mehrheit beschlossen. Die rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag hat es vor vier Wochen abgelehnt." Wenn man nun im Zusammenhang mit den Hartz-Vorschlägen über theoretische Maßnahmen rede, sollte man die Verweigerung nicht vergessen, daß man diese Maßnahmen längst hätte in praktische Politik umsetzen können zugunsten von arbeitsuchenden Menschen in Deutschland.

Hartz schreibe, so Koch, "das Offensivgesetz weitgehend ab". Aber es gehe der hessischen Regierung nicht um einen Wettstreit, wer was zuerst erfunden habe. Es sei schlicht "grober Unfug", zwei Ebenen von Institutionen sich mit dem gleichen Problem beschäftigen zu lassen. Hier gebe es keinen Dissens mit der Hartz-Kommission. Das Problem werde nicht befriedigend gelöst, insbesondere bei der Hilfe. "Wir brauchen neue Zumutbarkeits-kriterien, die für Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose gleich sind - und nicht, wie im Augenblick, unterschiedlich". Diesen Teil der Hartz-Papiere könne man sofort umsetzen, ihn gebe es bereits "als Gesetzestext, das muss man nur in Kraft setzen. Edmund Stoiber hat deutlich gesagt: Unmittelbar nach der Bundestagswahl wird eine CDU/CSU/FDP-Mehrheit dem, was im Bundesrat beschlossen worden ist, auch im Bundestag zu einer Mehrheit verhelfen".

Das Problem der Hartz-Kommission sei "die Neigung, jeden Tag ein neues wahlkampforientiertes Kaninchen aus dem Topf zu ziehen, um ein bisschen der Bundesregierung zu helfen. Damit wird die Aufgabe sicher für eine solche Kommission nicht leichter". Die Idee der Hartz-Kommission, mit einer Anleihe von 150 Milliarden Euro vor allem in Ostdeutschland eine Million neue Jobs zu schaffen, sei "so ein Kaninchen, das typischerweise in Wahlkampfzeiten auftaucht. Die Hartz-Kommission wäre gut beraten gewesen, ihren Bericht Anfang Oktober einer neuen Bundesregierung zu geben und jetzt nicht solch eine Öffentlichkeitsshow zu veranstalten".

Was dem Bundeskanzler vorzuwerfen sei, so Koch, "ist ja, daß er mit dem Namen der Hartz-Kommission den Eindruck erweckt, er bekämpfe Arbeitslosigkeit. Das haben die Hessen nie gesagt. Wir können die Menschen, die bedauerlicherweise arbeitslos geworden sind, besser betreuen, ihnen besser helfen, wenn wir die rechtlichen Regeln dafür ändern. Das ist auch notwendig. Aber an der Kernfrage ändert es nichts. Eine Bundesregierung, die eine so katastrophale Steuerreform gemacht hat, daß heute die Gemeinden und die Länder pleite sind und keine Investitionen mehr vornehmen können, die schafft keine Arbeitsplätze, sondern die vernichtet welche. Ein Land wie Deutschland, das im Augenblick nachhaltig auf Platz 15 des Wachstums der europäischen Länder liegt - das ist kein Anziehungspunkt für neue Investitionen". Ohne neue Investitionen aber brauche man immer größere Arbeitslosenverwaltungsprogramme. Koch übersieht die internationale Entwicklung nicht, macht aber auch auf hausgemachte Fehlentwicklungen aufmerksam. "Wir haben vom Bundeskanzler so lange gehört, daß Amerika der Grund ist, daß es uns in Deutschland so viel schlechter geht. Das müsste die Frage einmal auslösen, warum ein Land wie Großbritannien, das eine viel größere wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA hat, das dreifache und vierfache unseres Wirtschaftswachstums produziert". Die nationalen Elemente seien "stark genug, um durch richtige Politik viel mehr Wachstum in Deutschland" zu produzieren. Das hätten alle, zuletzt auch die Europäische Kommission bestätigt". Es komme darauf an, den "Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Das bedeutet schlicht, daß wir wieder Verhältnisse im Niedriglohnbereich, wie die 630-Mark-Jobs es früher waren, haben müssen, das bedeutet, daß wir Bündnisse für Beschäftigung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung begründen können müssen, das bedeutet, daß Leiharbeitsverhältnisse, die in den Niederlanden und anderen Ländern so erfolgreich sind, auch in Deutschland vernünftig etabliert werden müssen". Es gebe eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen und Möglichkeiten, aber die seien "bei den Sozialdemokraten weitestgehend ideologisch versperrt und deshalb in den letzten Jahren nicht verwirklicht, sondern manchmal sogar verhindert worden".

Hessen werde nach der Ablehnung durch Rotgrün im Bundestag voraussichtlich noch in diesem Jahr vier Pilotprojekte starten. Es handele sich um Jobcenter, mit denen die Kooperation zwischen Arbeits- und Sozialämtern erprobt werden solle. Jeder Hilfsempfänger schließe eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter ab, das wiederum mit Zeitarbeitsfirmen kooperiere. Die Zeitarbeitsfirmen funktionieren gemäß Angebot und Nachfrage, die Jobcenter nach staatlichen Vorgaben. Auf die Frage, wer soll es nun regeln, Staat oder Markt, meint Koch: "Jeder das seine. Die Jobcenter verfügen über die normale Unterstützung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Das müssen staatliche Institutionen sein, aber sie müssen wissen, was sie können. Die Hartz-Kommission sagt: ‚Wir müssen neue Zeitarbeitsunternehmen gründen, um den Jobcentern zu helfen. Das ist falsch. Wir haben gut funktionierende Zeitarbeitsunternehmen, die nur in Deutschland unter gesetzlichen Beschränkungen arbeiten, die es sonst nirgends in Europa gibt. Wenn wir die in vernünftige Verhältnisse anpassen, werden sie genau so gute Arbeit leisten wie an anderen Stellen auch, und dann können sie die Funktion erfüllen. ‚So wenig Staat wie möglich' muß das Prinzip sein, und der Staat muß seine Aufgaben aus einer Hand organisieren, wie das eine moderne Behörde tut, und nicht Bürgerinnen und Bürger im Kreis schicken zwischen verschiedenen Schreibtischen und Tausenden von Formularen".

Beim derzeitigen Wahlkampf zeigt sich Koch ein wenig verärgert darüber, "daß der Bundeskanzler, nachdem er so lange so groß versagt hat im Bereich der Arbeitslosigkeit, mit einer Frage wie dem Irak und der moralischen Frage von Krieg und Frieden versucht, die Bürger von den wirklich im Moment drängenden Problemen abzulenken". Aber der hessische Ministerpräsident zeigt sich auch zuversichtlich: "Ich denke, die Bürger sind inzwischen mündig genug, um genau zu wissen, warum zwei Tage vor der Verkündung der neuen Arbeitslosenzahlen mit mehr als vier Millionen plötzlich über den Irak gesprochen wird, und worum es bei der Bundestagswahl wirklich geht". Jürgen Liminski