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24.08.02 / Gesellschaft der Donaufreunde: Vater Rhein, Mutter Donau

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. August 2002


Gesellschaft der Donaufreunde: Vater Rhein, Mutter Donau
Auf einer nachgebauten "Ulmer Schachtel" bis Belgrad
von Martin Schmidt

Eine mitteleuropäische Hauptschlagader wie die Donau ist mehr als eine wirtschaftlich bedeutende Wasserstraße oder ein Erholungs- und Freizeitraum für die Menschen. In ihr fließt der Strom der Geschichte mit, und sie steckt voller Mythen, Märchen und Legenden.

Etymologisch führt die Donau, die zuletzt durch ihr verheerendes Hochwasser zum Schrecken vieler Anwohner wurde, bis zu den indogermanischen Kelten zurück. Ihr Name leitet sich von ‚danu' ab, was einfach Fluß bedeutet.

Noch stärker als im deutschen Sprachraum spiegelt sich der mit 2888 Kilometer zweitlängste Strom des Kontinents in den Sprichwörtern der Slowaken, Ungarn und Bulgaren wider. Für die Deutschen war dagegen seit jeher der Rhein der "Vater aller Flüsse".

Nicht von ungefähr wird ihm in einer alten Redensart die Donau sozusagen als Gemahlin zur Seite gestellt: "Die Donau ist aller wasser gnaden frau; der Rhein mag ihr mann mit ehren seyn."

Ein anderes Sprichwort lautet: "Wer an der Donau steht, vergißt wie daheim der Wind geweht." Hier klingt das Schicksal Zehntausender deutscher Auswanderer an, die im Zuge der ungarischen bzw. habsburgischen Südostkolonisation auf Schiffen die Donau hinabgefahren sind.

Der bekannteste Ausgangspunkt war das schwäbische Ulm mit den dort zu Wasser gelassenen "Ulmer Schachteln". Deren Geburtsstunde schlug 1570, als die Stadtoberen österreichische Schiffsbauer holten, unter deren Anleitung erste Ruderschiffe entstanden, die mehr Geschwindigkeit erreichen konnten als die bis dahin benutzten Flöße.

Die neuen Schiffe waren zwischen fünf und acht Metern breit und 15 bis 30 Meter lang. Wegen der Untiefen im Fluß hatten sie keinen Kiel, sondern einen flachen Boden. Zuerst nannte man diesen Bootstyp "Plätten" oder "Wiener Zillen"; der Begriff "Ulmer Schachteln" kam vermutlich erst im 19. Jahrhundert auf. Anfangs wurde er aus einer gewissen Geringschätzung heraus gebraucht, doch bald schon entwickelte er sich zu einem Markenzeichen.

Die Einführung der moderneren Schiffe belebte nicht nur den Warentransport auf dem Strom, sondern auch die Personenbeförderung. Schnell hatte sich herumgesprochen, daß diese Möglichkeit des Reisens weitaus bequemer und sicherer war als die Benutzung der Postkutschen.

Zahlreiche Auswanderer, aber auch Diplomaten, wohlhabende Patrizier, Militärs und sogar Mo-narchen vertrauten sich der Ulmer Schifferzunft und ihren "Schachteln" an. Ab dem 18. Jahrhundert verkehrte jede Woche mindestens eines der Boote flußabwärts.

Das neue Verkehrsmittel schrieb schon bald nach seiner Entstehung Geschichte: Im Jahre 1683 brachten Ulmer Schiffe 5000 Landsknechte des schwäbischen Kreises in das von den Türken belagerte Wien, und 1745 fuhr der in Frankfurt neugewählte deutsche Kaiser Franz I. mit seiner Gemahlin Maria Theresia und großem Gefolge auf 32 prächtigen Schiffen von Ulm bis zur Metropole des Habsburgerreiches.

In der Regel mußten die Ulmer Schachteln am Ziel ihrer Reise für einen geringen Preis verkauft werden, da eine Rückkehr gegen den Strom mit Hilfe von Pferden zu zeitaufwendig und zu kostspielig gewesen wäre.

Das Ende der kommerziellen Schiffahrt mit den Ulmer Schachteln kam Ende des 19. Jahrhunderts im Gefolge des Ausbaus der Eisenbahnen. Dennoch lebt das Andenken an sie auch über hundert Jahre später im Bewußtsein breiterer Bevölkerungskreise weiter, insbesondere natürlich in Ulm selbst.

Dort gibt es eine "Gesellschaft der Donaufreunde e. V.", die mit dem Nachbau einer Ulmer Schachtel alljährlich bis nach Wien oder manchmal auch bis Belgrad schippert. 1976 und 1987 ging es sogar bis zum Schwarzen Meer. Die Anfänge dieser nostalgischen Flußfahrten lassen sich bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgen, als einige Aktivisten aus der Ulmer Bürgerschaft aus geselligen oder sportlichen Gründen auf diese Weise die Donau hinabfuhren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die Unternehmungen einen festen Rahmen in Form eines gemeinnützigen Vereins, der sich - wie es in der Satzung heißt - der "Förderung der Heimatpflege durch Wahrung der althergebrachten ulmischen Tradition" verschrieb. Zum bisher letzten Nachbau einer Ulmer Schachtel in Ulm kam es 1963/64 durch einen einheimischen Schiffsbaumeister. Dieses auf den Namen "Stadt Wien" getaufte Boot, mit dem alle Vereinsfahrten zwischen 1964 und 1982 durchgeführt wurden, liegt heute als Museumsschiff auf der bayerischen Stadtseite vor Anker. Dort waren in alten Zeiten die Ulmer Schachteln gebaut worden, während auf dem schwäbischen Ufer die Kolonisten vom Heimatboden Abschied nahmen, um in der Branau, der Batschka, im Banat oder in der Dobrudscha den Neuanfang zu wagen.

Das jüngste Schiff entstand 1982/83 nach alten handwerklichen Regeln am Attersee in Österreich. Ausgestattet mit je einem langen Ruder an Bug und Heck zum Manövrieren und angetrieben von einem 75 PS-Dieselmotor verschaffte es auch diesen Sommer einer erlauchten Schar Ulmer Bürger ein außergewöhnliches Donauerlebnis. Zwischen 29. Juni und 8. Juli brachte das Schiff 27 Männer von Wien nach Belgrad, der jüngste 28 Jahre alt und der älteste stattliche 85. Um überhaupt teilnehmen zu können, mußten diese aus den Reihen der etwa 120 Vereinsmitglieder vorgeschlagen werden.

Die Route war insofern etwa Besonderes, als seit 13 Jahren erstmals wieder über Ungarn hinaus gefahren werden konnte. Zuvor hatten Kriege und Trümmer die nachfolgenden Flußkilometer versperrt. Erste Station war die slowakische Hauptstadt Preßburg, dann ging es in die südslowakische Grenzstadt Komorn (Komárno/Komárom) und in den 3000-Einwohner-Ort Bugdamm (Dunabogdány), dessen gut zur Hälfte ungarndeutsche Bewohner die Gäste mit schwäbischer Blasmusik empfingen.

Den nächsten Halt machte das Schiff in Ráckeve, wo es einen zweiten Verein der Donaufreunde gibt, der sich derzeit um die Anschaffung einer eigenen Ulmer Schachtel bemüht. Später folgten Frankenstadt (Baja) im ungarischen Teil der Batschka, Mohács - jene Stadt, die 1526 einen vernichtenden Sieg der Türken über die ungarischen Truppen erlebte -, Vukovar in Kroatien, Neusatz (Novi Sad) in der mitteleuropäisch geprägten Wojwodina und schließlich Belgrad.

Von dort ging es am 8. Juli per Flugzeug nach Hause. Die Ulmer Schachtel folgte Huckepack auf einem Sattelschlepper. In Ulm angekommen und noch erfüllt von den Eindrücken vielfältiger Landschaften, Städte und der allgegenwärtigen Gastfreunschaft kam man gerade recht zum Internationalen Donaufest unter dem Motto "Traumfluß nach Europa".

Knapp verpaßt hatte man allerdings den Abschluß einer anderen, geradezu exzentrischen Donauerfahrung: den Einlauf des 39jährigen Ulmers Bernd Hummel in seiner Heimatstadt am 5. Juli. Der Extremsportler hatte die ganze Strecke vom Donaudelta am Schwarzen Meer bis Ulm laufend zurückgelegt - 2600 Kilometer in 43 Tagen.

1982/83 nach alten Vorlagen erbautes Donauschiff "Ulm": Lebendige Erinnerung an Handels- und Auswanderertraditionen